Harald Lesch/Thomas Schwartz: Unberechenbar

Die Bücher in meinen Regalen sind nach Themen geordnet. Reisen und Sprachen, Philosophie, Psychologie, Journalismus, Politik und Gesellschaft, Fachbücher und so weiter. In welcher Etage ich nun dieses Buch ablegen soll, ist mir ein wenig schleierhaft. Vielleicht eher Philosophie. Oder doch Gesellschaft? Auch wenn man Harald Lesch eher der Naturwissenschaft zuordnen würde, ist ja Thomas Schwartz Coautor, damit kommt die Theologie zum Zug. Sagen wir, das Buch ist ein Essay, in dem beide Welten zum Tragen kommen. Einmal die nüchterne Betrachtung des Wissenschaftlers, zusätzlich eine moralisch-ethische Sicht der Dinge. Es geht, wie könnte es anders sein, mal wieder um den Blick auf die Menschheit, wie sie sich auf diesem Planeten aufführt, was sie Unfassliches mit ihm anstellt und was dabei alles aus dem Blick gerät. Es ist zugleich ein Weckruf. Wie ich schon inzwischen so oft geschrieben habe, an die, die dieses Buch eh nicht lesen und denen die behandelten Themen total schnurzegal sind. Im Grunde ist das Buch also überflüssig. Warum sollte man dieses Buch dann trotzdem lesen? Weil es in drei Betrachtungsrichtungen umreißt, was und warum so viele Dinge im Moment schief laufen, so als Erweiterung des Arsenals an Argumenten im Diskurs. Auch wenn man sich, wie ich,  mit den betreffenden Themen schon lange auseinander setzt, muss ich dem Buch zugestehen, dass es dort immer noch neue Elemente liefert. Keine weiteren Zahlen, Daten und Fakten, sondern Interpretationen unseres menschlichen Daseins, die wir gerne ausblenden, nicht wahr haben wollen. Dann vielleicht doch nicht schon ein Dutzend Mal so gelesen.

Harald Lesch/Thomas SchwartzUnberechenbar

Die Welt im Krisenmodus. Corona, Klimawandel, nun noch der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen für die Energieversorgung und die Versorgung mit Lebensmittel. Von den explodierenden Preisen ganz zu schweigen. Wer weiß, was als Nächstes kommt. Dabei schien die Welt lange Zeit so überschaubar und die Zukunft absehbar, fast, als wenn man das Leben in eine mathematische Formel pressen könnte. Meinten wir. Innerhalb weniger Jahre zeigte sich, wie fragil unser Leben doch tatsächlich ist. Aller Glauben, wir hätten alles im Griff, zerlegt sich gerade mit Bravour. Also suchen wir nach Auswegen. Eines jedoch ist sicher: es geht immer nur vorwärts, niemals zurück. Wir werden zunehmend mit Krisen leben müssen, die interessante Frage ist dann, wie wir das machen. Die Antworten, so Lesch und Schwartz, haben wir bereits, nur sind sie aus dem Fokus geraten. Wir haben verlernt, Regeln, Verhaltensweisen und Verfahren zu beachten, die mal seit hundert Generationen vertraut und geübt waren. Irgendjemand hat uns dann erzählt, das wäre inzwischen alles überflüssig, der Markt wird das alles richten, die Globalisierung wird ihr Füllhorn über uns ausschütten. Alles wird gut. Pustekuchen.

Ich picke mal nur einige plakative Themen heraus, das Buch hat insgesamt weit mehr zu beackern. Vor gar nicht so langer Zeit hatten Häuser einen Vorratskeller, Wohnungen wenigstens eine Vorratskammer. Darin einen Vorrat an Kartoffeln, Marmelade, eingemachtes Obst und Gemüse. Heute gehen wir kurz zum Supermarkt, wenn wir etwas brauchen, Vorrat besteht höchstens in einer Packung Nudeln und einem Glas Tomatensauce. Die Globalisierungsindustrie hat uns lange erzählt, Vorräte seien nicht mehr notwendig, die Hersteller liefern direkt ins Haus. Kommen nun, wie in der Corona-Krise oder durch den Ukraine-Krieg, Lieferketten ins Trudeln, bricht die Panik aus. Mehl und Sonnenblumenöl werden gehamstert, als ginge morgen die Welt unter, Panikkäufe. Schon ein im Suezkanal quer stehendes Containerschiff wird zum GAU für die Amazon-Bestellungen aus China. Vorschlag der Autoren: Zurück zum Bevorraten, Verlassen auf lokale Quellen statt auf DHL Express in China. Anderes Beispiel.

Es ist modern zu glauben, Grenzen seien etwas Hinderliches, Beschränkendes. Nicht nationale Grenzen, sondern Grenzen der Belastbarkeit, der Verfügbarkeit und des wirtschaftlichen Wachstums. Doch Freiheit ist erst mit Grenzen möglich, erst wenn klar ist, wie weit die eigene Einflussnahme reicht. Das Morgen kann ich vielleicht noch überschauen, die Lage in drei Wochen steht in den Sternen. Nicht umsonst hieß der Bericht des Club of Rome Grenzen des Wachstums. Grenzen sind keine Zwangsjacke, sie sind Regenmäntel und Schutz des Selbst. Ein gutes Beispiel ist das Dorf, das sich durch seine Grenzen gegenüber dem nächsten Dorf definiert. Das Dorf bietet Übersichtlichkeit und Verlässlichkeit, man kennt fast all seine Nachbarn, man grüßt sich und weiß, wie der Hund heißt. Das Dorf hat auch negative Aspekte wie Indiskretion, Tratsch und Zank zwischen Nachbarn. Aber den Schutz, den das Dorf auch bietet, braucht diese Grenzen. Das mal hochgelobte global village, betont durch das Internet, hat sich als anonyme digitale Herumwuselei heraus gestellt.

So zeigen Lesch und Schwartz, wie viele der Zukunftsversprechen sich als hohle Phrasen herausgestellt haben. Die lange als beliebig berechenbare und voraussagbare Welt ist ein Mythos. Die Excelisierung hat nicht funktioniert.  Stattdessen müssen wir wieder lernen, mit der Nichtvoraussagbarkeit, der Ambiguität und Uneindeutigkeit zurecht zu kommen. Das Leben ist kein Ponyhof, war es noch nie, und wird es in Zukunft noch weniger sein. Wenn wir uns nicht zurückbesinnen auf das, was den Homo Sapiens immer ausgemacht hat. Kreativität, Anpassung, auch Grenzen und Tabus zu akzeptieren, Regeln zu beachten, unter den Menschen und gegenüber der Natur. Nachhaltigkeit und Vorsicht sind gefragt, nicht ein immer Höher, Schneller und Weiter. Mit diesen Prinzipien sind wir schon lange auf die Nase gefallen. Nur haben das Viele noch nicht gemerkt und palavern weiter über die Macht des Marktes. Es geht nicht um ein Zurück in die Vergangenheit, sondern ein Lernen aus der Vergangenheit, um die Zukunft zu gestalten. Das will das Buch nahe bringen, eine Rückbesinnung auf alte Stärken, ohne den Hype um Selbstoptimierung und Maximieren der Freiheit, die sich als Trugschluss heraus gestellt haben. Das wird nicht allen schmecken, doch die Argumente in diesem Buch sind schwer zu widerlegen. Ein Nachdenken an diesen Stellen könnte sich lohnen.

Harald Lesch (* 28. Juli 1960 in Gießen) ist ein deutscher Astrophysiker, Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist, Fernsehmoderator und Hörbuchsprecher. Er ist Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Seit 1995 ist Lesch Professor für Astrophysik am Lehrstuhl für Astronomie und Astrophysik – Beobachtende und Experimentelle Astronomie an/bei der Universitätssternwarte der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem unterrichtet er Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München. Seine Hauptforschungsgebiete sind kosmische Plasmaphysik, Schwarze Löcher und Neutronensterne. Er ist Fachgutachter für Astrophysik der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Mitglied der Astronomischen Gesellschaft. Außerdem ist er Sachbuchautor. Bekannt ist Lesch vor allem durch seine Fernsehauftritte, zunächst als Moderator der von 1998 bis 2007 ausgestrahlten Sendereihe alpha-Centauri. Daraus entwickelte sich seine Medienpräsenz im Fernsehen und im Radio. Typisch für seinen Moderationsstil in beiden Medien ist, dass er allein einen Vortrag hält (meist in einem 15-minütigen Rahmen) oder mit einem Gesprächspartner ein Zwiegespräch führt. Auf diese Art versucht er, dem Publikum komplexe wissenschaftliche und philosophische Sachverhalte nahezubringen. Seit 2005 veröffentlicht Harald Lesch regelmäßig Bücher bzw. Buchbeiträge mit dem Wissenschaftshistoriker Harald Zaun, so z. B. den Bestseller Die kürzeste Geschichte allen Lebens. Seit 2014 engagiert sich Harald Lesch außerdem im Beirat der Heraeus Bildungsstiftung; seit Oktober 2015 ist er Mitglied des Bayerischen Klimarats.

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Thomas Schwartz (* 31. Mai 1964 in Landstuhl/Pfalz) ist ein deutscher römisch-katholischer Priester, Theologe, Honorarprofessor, Autor, Verleger und Fernsehmoderator. Er ist Hauptgeschäftsführer des Hilfswerks Renovabis. Schwartz wirkte 2003 bis 2008 in der Fernsehsendung Alpha bis Omega mit, in der er sich mit Harald Lesch über theologische und philosophische Themen austauschte. Die Sendung Schwartz für die Seele moderiert er allein. Die Reihen werden nachts und Sonntags vormittags im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Von 2005 bis 2010 war er Verleger und Herausgeber des Hochschulmagazins presstige, dem größten studentischen Hochschulmagazin Bayerns.  […] Thomas Schwartz engagiert sich für zahlreiche sozialen Projekte und die Christen im Heiligen Land. 1999 wurde er von Kardinal-Großmeister Carlo Kardinal Furno zum Ritter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem ernannt und durch Anton Schlembach, Großprior der deutschen Statthalterei, investiert. 2017 wurde er in Nachfolge von Karlheinz Knebel Prior der Augsburger Komturei. Er ist Mitglied im Deutschen Verein vom Heiligen Lande. Im Dezember 2021 wurde er von Raphaël Bedros XXI. Minassian ICPB, dem armenisch-katholischen Patriarchen von Kilikien, zum Monsignore der armenisch-katholischen Kirche ernannt.

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