Jean-Jacques Rousseau behauptete, die Ungleichheit der Menschen hätte begonnen, als nach dem Übergang vom Jäger und Sammler zur Landwirtschaft ein Bauer seinen Acker einzäunte und zu seinem Privateigentum erklärte. Man muss dem Genfer Philosophen zugute halten, dass man zu seiner Zeit über die Frühzeit des Homo Sapiens so gut wie nichts wusste. Erst moderne Methoden der Archäologie und der Biogenetik in den letzten Jahrzehnten haben einige zuverlässigere Hinweise ergeben, wie die Geschichte der Menschheit verlief. Während in den Schulen immer noch stereotype Geschichten erzählt werden. Dieses Buch möchte das ändern. Entstanden ist es aus den Diskussionen eines Anthropologen und eines Archäologen über einen Zeitraum von über zehn Jahren. Seit dem 19. Jahrhundert stritt die Wissenschaft darüber, wie eigentlich Menschen ganz früher gelebt haben, wie sie in Gemeinschaften zusammen fanden, ob sie viel oder wenig arbeiteten, wie überhaupt das Leben in der Zeit vor der Neolithischen Revolution, dem Übergang zur sesshaften Landwirtschaft, aussah und verlief. Es geht zum größten Teil um die Jungsteinzeit bis zu den letzten Jahrtausenden vor unsere Zeitrechnung. Wengrow und Graeber zeichnen ein anderes Bild als das gewohnte. Der Ausgangsgedanke im Buch ist überraschend, hat aber mit Rousseau zu tun. Nämlich ob es Ungleichheit unter den Menschen, sozial und wirtschaftlich, schon in den Anfangstagen gab. Oder wann sie so wurde, wie sie heute ist. Auf jeden Fall war alles ganz anders, als Rousseau meinte.

David Graeber/David WengrowAnfänge


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Geht man einmal dreihundert Jahre zurück, sammelten Menschen Erfahrungen und Wissen aus ihrer direkten Umwelt. Was in Haus und Hof funktionierte und was nicht, was stimmte und was nicht. Wir dagegen haben es im Vergleich dazu schwer. Unsere Umwelt ist so komplex und unüberschaubar geworden, dass wir ständig auf die Aussagen und Urteile anderer Leute angewiesen sind. Selbst in den Siebzigern des 20. Jahrhunderts noch interessierte uns im Wesentlichen Deutschland, eventuell noch ein bisschen die USA. Heute landen Vorgänge und Geschehen in Ländern auf der anderen Seite der Welt in Sekundenbruchteilen auf unserem Smartphone. Unmöglich, sich da eine eigene Meinung zu bilden, geschweige denn Richtiges von Falschem zu unterscheiden. Doch haben nicht wenige Menschen damit ein Problem. Selbst wenn die Möglichkeit bestehen würde, Nachrichten zu überprüfen, wer wollte denn ohne das nötige Fachwissen entscheiden, ob mRNA-Impfstoffe sicher sind, Glyphosat gefährlich oder harmlos, ob sich tatsächlich das Weltklima verändert. Doch wem vertrauen und was bezweifeln? Ortwin Renn kommt aus der Risikoforschung, hat sein Buch in 2022 für die 3. Auflage grundlegend überarbeitet sowie die Erfahrungen mit Corona und Flüchtlingskrise einfließen lassen. Und widmet sich ausgiebig der Frage, warum sich so viele Menschen lieber auf gefühlte Wahrheiten aus sozialen Medien als auf Ergebnisse der Forschung und Ratschläge von Wissenschaftlerinnen und Experten verlassen.

Ortwin RennGefühlte Wahrheiten


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Romane kommen mir eher selten in die Hände. Es sei denn, das Bücherbudget für den Monat ist aufgebraucht, der vierte Band von Precht zur Philosophie ist zu teuer und das örtliche Sortiment zu überschaubar. Obwohl eher zweifelhafte Orientierung, ließ mich dann die Position in der Spiegel-Bestsellerliste zu diesem Buch greifen. Was ich am Ende nicht bereut habe. Es war mein erstes Buch von Juli Zeh, aber es lässt mich in Zukunft vielleicht doch wieder zu dieser Autorin greifen. Der Plot ist eher überschaubar. Die Werbetexterin Dora kauft ein altes Gutshaus in Brandenburg, trennt sich von ihrem Freund Robert in Berlin und lässt sich mit ihrer Hündin Jochen in einem Dorf in der brandenburgischen Einöde nieder. Während sie mit einem riesigen verwilderten Grundstück kämpft, lernt sie nach und nach ihre Nachbarn kennen. Zuerst eine eher unangenehme Figur, den glatzköpfigen Dorf-Nazi Gote, danach Herrn "Heini" Heinrich, der am Anfang R2-D2 heißt. Es folgt das schwule Paar Tom und Steffen. So deutlich die Schubladen, in die sie diese Menschen einsortieren könnte, so undeutlich werden sie im Lauf der Geschichte.

Juli ZehUnter Menschen


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Kaum ein Journalist kann mit dem Namen Wolf Schneider nichts anfangen. In Wikipedia heißt es über ihn:

Von 1995 bis 2012 hielt Wolf Schneider Sprachseminare für Presse und Wirtschaft und war Ausbilder an Journalistenschulen. Er schrieb 28 Sachbücher, darunter Standardwerke wie Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß (1994), Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde (1987), Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil (1982) und Das neue Handbuch des Journalismus. Seit der Ausgabe vom Januar 2012 erscheint Das neue Handbuch des Journalismus unter dem Titel Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus (gemeinsam mit Paul-Josef Raue). Schneider rät zur knappen, aber informationsreichen Schreibweise.

Nun gibt es eine Wolf Schneider KI, die in Schneiders Sinne Texte analysiert oder sogar korrigiert. Ich habe mal einen Absatz aus einer Rezension der KI zur Überprüfung gegeben. So sieht das Ergebnis aus:

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen zunehmende Einsamkeit, bei älteren Menschen in der letzten Lebensphase und eher unerwartet bei jüngeren Menschen zwischen 19 und 25 Jahren. Beide Gruppen deshalb, weil bei ihnen starke Veränderung im Lebensverlauf auftreten. Einerseits Eintritt in den Ruhestand, Verlust der Partnerin oder des Partners, Verselbstständigung der Kinder. Dann wieder Studienbeginn, Umzug, Wegbrechen der gewohnten Kontakte zu Familie und Freunden. Das Buch «Einsam in Gesellschaft» mit sehr unterschiedlichen Beiträgen zum Thema Einsamkeit ist zum großen Teil an der TU Dortmund entstanden, durch eine Vortrags- und Diskussionsreihe unter dem Arbeitstitel "Lonely Lectures: Perspektiven auf Einsamkeit".

Die Beiträge reichen von rein wissenschaftlichen Sichten auf das komplexe und nicht immer leicht zu fassende Thema, bis hin zu Praxisberichten aus der Bahnhofsmission oder Hospizarbeit. Damit wird klar, dass dieses Buch nicht als Ratgeber für Menschen mit Einsamkeitsgefühlen gedacht ist, sondern eher für professionell betraute Leute in der Beschäftigung mit alleinstehenden oder einsamen Menschen. Eindeutiger Schwerpunkt ist die Betrachtung der Einsamkeit aus wissenschaftlichem, speziell sozialwissenschaftlichem und psychologischem Blickwinkel. Trotzdem kommt die Praxis nicht zu kurz.

Das Buch "Einsam in Gesellschaft" ist eine Sammlung von Beiträgen zum Thema Einsamkeit, die größtenteils an der TU Dortmund entstanden sind. Es behandelt die zunehmende Einsamkeit bei älteren Menschen in der letzten Lebensphase sowie bei jüngeren Menschen zwischen 19 und 25 Jahren. Diese beiden Gruppen sind besonders betroffen, da sie starke Veränderungen im Lebensverlauf durchmachen. Für ältere Menschen bedeutet dies den Eintritt in den Ruhestand, den Verlust des Partners oder der Partnerin und die Verselbstständigung der Kinder. Für jüngere Menschen wiederum geht es um den Studienbeginn, den Umzug und den Verlust der gewohnten Kontakte zu Familie und Freunden.

Das Buch bietet eine Vielzahl von Beiträgen, die das Thema Einsamkeit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Es reicht von rein wissenschaftlichen Betrachtungen bis hin zu Praxisberichten aus der Bahnhofsmission oder Hospizarbeit. Dabei wird deutlich, dass das Buch nicht als Ratgeber für Menschen mit Einsamkeitsgefühlen gedacht ist, sondern eher für professionell betraute Personen, die mit alleinstehenden oder einsamen Menschen arbeiten. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der wissenschaftlichen, insbesondere sozialwissenschaftlichen und psychologischen Betrachtung der Einsamkeit. Dennoch kommen auch praktische Aspekte nicht zu kurz.

Insgesamt bietet das Buch eine fundierte und vielseitige Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit. Es liefert sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Einblicke und regt zum Nachdenken an. Die Beiträge sind gut strukturiert und verständlich geschrieben. Die Autoren verwenden klare und präzise Sprache, sodass auch Leser ohne Fachkenntnisse dem Inhalt gut folgen können. Ein positiver Aspekt des Buches ist die Vielfalt der Perspektiven, aus denen das Thema Einsamkeit betrachtet wird. Dies ermöglicht es, ein umfassendes Verständnis für die verschiedenen Facetten der Einsamkeit zu entwickeln. Die Beiträge sind gut recherchiert und mit konkreten Beispielen untermauert, was ihre Glaubwürdigkeit stärkt.

Ein möglicher Kritikpunkt ist, dass das Buch sich hauptsächlich an Fachleute richtet und weniger an Menschen, die selbst von Einsamkeit betroffen sind. Es fehlen konkrete Ratschläge oder Handlungsempfehlungen für Betroffene, die das Buch als Hilfe zur Bewältigung ihrer Einsamkeit nutzen könnten. Insgesamt ist "Lonely Lectures: Perspektiven auf Einsamkeit" eine empfehlenswerte Lektüre für Fachleute, die sich mit dem Thema Einsamkeit auseinandersetzen. Es bietet eine fundierte und vielseitige Perspektive auf das Thema und regt zum Nachdenken an.

Die neue Fassung mag zwar im Sinne von Wolf Schneider lesbarer zu sein, wächst jedoch von 170 Wörtern auf 248 Wörter an. Leider verändert sie auch Sinninhalte.

 

 

 

Da wären dann Bücher, die sich auf eine ganze Epoche beziehen, auf ein einzelnes Jahr wie bei Volker Ullrich, oder sogar nur auf eine einzelne Woche. Ralf Zerbach widmet sich in seinem Buch drei Jahren, jedoch drei in der deutschen Geschichte entscheidenden Jahren. In denen die Reichskanzler Brüning und dann von Papen versuchten, die Weimarer Republik wieder mit einer funktionierenden Regierung auszustatten. Bis eher aus Ratlosigkeit am 30. Januar 1933 Adolf Hitler Reichskanzler wurde und er Deutschland mit einem Terrorregime überzog. Nun gibt es schon reichlich Bücher zu dieser Zeit, insbesondere zu den Vorgängen in der Weimarer Republik wie auch zur Nazizeit. Brauchte die Welt also noch ein Buch zu diesem dunklen Kapitel in Deutschland? Nach dem Lesen würde ich das durchaus bejahen. Obwohl ich schon einen Stapel von Werken an geschichtlicher Literatur in den Regalen habe. Der wesentliche Unterschied bei Zerback gegenüber den anderen Büchern liegt im Fokus auf Vorgeschichte, die Vorgänge hinter den Kulissen der damaligen Tagespolitik und den vielen Randerscheinungen als Folgen. Da muss ich zugeben, dass ich das in solchen Details noch nicht gelesen hatte.


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Sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen zunehmende Einsamkeit, bei älteren Menschen in der letzten Lebensphase und eher unerwartet bei jüngeren Menschen zwischen 19 und 25 Jahren. Beide Gruppen deshalb, weil bei ihnen starke Veränderung im Lebensverlauf auftreten. Einerseits Eintritt in den Ruhestand, Verlust der Partnerin oder des Partners, Verselbstständigung der Kinder. Dann wieder Studienbeginn, Umzug, Wegbrechen der gewohnten Kontakte zu Familie und Freunden. Das Buch «Einsam in Gesellschaft» mit sehr unterschiedlichen Beiträgen zum Thema Einsamkeit ist zum großen Teil an der TU Dortmund entstanden, durch eine Vortrags- und Diskussionsreihe unter dem Arbeitstitel "Lonely Lectures: Perspektiven auf Einsamkeit". Die Beiträge reichen von rein wissenschaftlichen Sichten auf das komplexe und nicht immer leicht zu fassende Thema, bis hin zu Praxisberichten aus der Bahnhofsmission oder Hospizarbeit. Damit wird klar, dass dieses Buch nicht als Ratgeber für Menschen mit Einsamkeitsgefühlen gedacht ist, sondern eher für professionell betraute Leute in der Beschäftigung mit alleinstehenden oder einsamen Menschen. Eindeutiger Schwerpunkt ist die Betrachtung der Einsamkeit aus wissenschaftlichem, speziell sozialwissenschaftlichem und psychologischem Blickwinkel. Trotzdem kommt die Praxis nicht zu kurz.


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Hat man in Facebook nur gelegentlich auf so etwas reagiert, wenn auch nur aus Neugier, wird man damit überschüttet. Leute, die Terpentin trinken, sich mit ätzenden Desinfektionsmittel einreiben oder abstruse Heilungsmethoden anbieten. Bevorzugt irgendetwas mit Geistern, Astralwesen oder kosmischen Kräften. Der Eindruck, dass Esoterik und Aberglaube gerade wieder groß in Mode sind, täuscht nicht. Leider fast immer verbunden mit Verschwörungsglauben, wenn nicht sogar mit Antisemitismus. Pia Lamberty und Katharina Nocun gehen den vielen Wurzeln dieses Humbugs nach. Tatsächlich ist Esoterik kein Kind der Neuzeit, eine Hochzeit war trotzdem gerade der Zeitraum der Sechziger und Siebziger bis heute. Mit dem Aufkommen der Hippie-Bewegung und des Propagierens eines New Age. Man denke nur an den angeblich endenden Maja-Kalender oder das Zeitalter des Wassermanns. Gefährlich werden solche Konstrukte besonders, wenn sie mit völkischen oder faschistischen Ideologien verbrämt werden. Schaut man genauer dahinter, werden oft die Bezüge zwischen Esoterik und braunem Gedankengut sehr deutlich. Dass Nazis und Esoteriker zusammen auf Demos laufen, dass Impfgegner und Glatzköpfe eine gemeinsame Front bilden, wundert dann nicht mehr. Doch es gibt gerade für Esoteriker und Verschwörungsgläubige eine gemeinsame Basis: Das Gefühl des Kontrollverlustes, Angst vor den galoppierenden Veränderungen und die Abfolge immer neuer Krisen. Das Buch geht auf viele Aspekte und Gefahren ein, zeigt historische Entwicklungen anhand konkreter Personen und Gruppen. Da dürfen natürlich Homöopathie, Rudolf Steiner und seine Lehren, Demeter und Pseudowissenschaften nicht fehlen. Hat man sich mit diesen Themen schon länger beschäftigt, bringt das Buch nicht unbedingt neue Erkenntnisse. Möchte man jedoch einen Einstieg in die schillernde Welt der digitalen Esoterik und der absurdesten Verschwörungstheorien, ist das Buch eine gute Quelle. Zudem es sehr plakativ und erschreckend die Auswirkungen solchen Gedankengutes aufzeigt.

Pia Lamberty & Katharina NocunGefährlicher Glaube


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Als 1990 die Berliner Mauer fiel und das Ende der Sowjetunion absehbar war, war es nicht nur das Ende des kalten Krieges zwischen den beiden großen Machtblöcken. Der Westen, also die USA und Europa, hatten sich durchgesetzt. Nicht nur durch militärische, sondern gerade durch ökonomische Überlegenheit. Mit dem Entfall der Bedrohung durch den Osten erwartete man nun, dass sich eine liberale Weltordnung etabliert, mit den wichtigsten Kennzeichen Demokratie und Kapitalismus. Heute, 30 Jahre weiter, ist die Realität eine andere. Nicht nur der Krieg ist zurück in Europa, in der Ukraine, auch der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis eskaliert, europäische Staaten wie Polen und Ungarn, zunehmend die Slowakei und Tschechien, wenden sich von der liberalen Demokratie ab. Die Weltmacht USA hat ihren großen Glanz verloren, China und demnächst Indien sind neue Player auf der Weltbühne. Der Westen, so Masala, sei gleich einer ganzen Reihe von Illusionen aufgesessen. In einem Glauben, die Welt würde sich nun immer weiter demokratisieren, Krisen und Konflikte könnten durch militärische Interventionen gelöst werden. Der peinliche Abzug aus Afghanistan, die verbrannte Erde im Irak und in Somalia erzählen eine andere Geschichte. Die Träume ab 1990 waren Wunschvorstellungen. Carlo Masala fasst die Entwicklungen seit 1990 bis heute zusammen, und zeigt, dass der Westen mit seiner Demokratie und seinen Vorstellungen einer Weltordnung nach seinem Gusto schon lange verloren hat. Die Welt ist in Unordnung geraten, eine neue Ordnung wird lange auf sich warten lassen.

Carlo MasalaWeltunordnung


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MaxPlanckForschung ist das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft und berichtet über aktuelle Forschungsarbeiten an ihren Instituten aus vielen Gebieten. Von Grundlagen über Medizin und Biologie bis zur Informationstechnik. Es hat den Anspruch, wissenschaftliche Themen allgemeinverständlich aufzubereiten. Die Zielgruppe sind interessierte Laien, Schüler, Lehrer und Journalisten.Veröffentlicht werden Berichte aus den Rubriken: „Zur Sache“, „Physik & Astronomie“, „Biologie & Medizin“, „Material & Technik“, „Umwelt & Klima“ sowie „Kultur und Gesellschaft“. Daneben ist in jeder Ausgabe unter dem Titel „Fokus“ ein Themenschwerpunkt vorhanden. Es erscheint alle drei Monate in deutscher und englischer Sprache. Das Abonnement ist kostenlos, als Print oder Online. Natürlich stehen auch Versionen zum Download bereit.

 

Wen könnte dieses Thema interessieren, außer vielleicht Juristen? Wenn man Bücher bei der Bundeszentrale für politische Bildung ordert, kann man sicher sein, dass der Inhalt von allgemeinem Interesse ist. Dass das auch hier der Fall ist und um welches Oberthema es sich dreht, macht der Autor Benjamin Lahusen schon unterhaltsam in der Einleitung klar. Da sitzt ein Referendar der Gesetzeskunde in einem Gerichtssaal bei einem Fall des Privatrechts. Kurz bevor er droht einzuschlafen, blättert er in einem Fachbuch und stößt auf einen Begriff: das Justitium. Dahinter verbirgt sich der Fall, wenn in einem Staat die Rechtspflege still steht. Im alten Rom bezeichnete "iustitium" sogar den Stillstand des gesamten öffentlichen Lebens, zum Beispiel in der Trauerzeit nach dem Tod des Staatsoberhauptes. So fragt er sich, ob in Deutschland in der Endphase des zweiten Weltkrieges, dem von Goebbels ausgerufenen totalen Krieg, oder nach dem Ende des Krieges und dem Ende des deutschen Reiches es einen Stillstand der Rechtspflege gab. Fast zehn Jahre, ausgebremst von der Corona-Pandemie, forscht er zum Thema, der Rechtspflege in Deutschland von 1943 bis in die Fünfziger. Erstaunlich wenig trocken wird das Thema. Dazu aus unserer heutigen Sicht mit erstaunlichen Vorgängen und Geschehnissen.

Benjamin LahusenDer Dienstbetrieb ist nicht gestört


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"Deutschland. Aber normal." war eine Wahlparole der AfD in der letzten Bundestagswahl. Was die AfD unter "normal" versteht, ist klar. Eine normale Familie besteht für sie aus Vater, Mutter und Kindern, ein normaler Mann findet nur Frauen sexuell attraktiv, normal ist es, wenn der Titel Doktor selbstverständlich auch Doktorinnen einschließt. Dabei ist der Begriff der Normalität spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts schwer ins Wanken geraten. Eine Norm, von diesem Begriff leitet sich Normalität ab, ist eine willkürliche Definition oder Festlegung, die irgendwann irgendjemand irgendwo mal gemacht hat. Doch für die meisten Menschen heißt normal nur, was die breite Mehrheit richtig, schön oder gut findet. Also genau diese Menschen. Stephan Lessenich hat als Soziologe eine andere Sicht der Dinge. Deshalb widmet er sich in diesem Buch nicht der Frage, was denn nun normal sein soll, sondern warum und wie eigentlich gar nichts mehr normal ist. Mehrere Faktoren haben Normalität inzwischen in Frage gestellt. Minderheiten wie Schwule oder schwarze Deutsche wollen die Zonen der Unsichtbarkeit verlassen, fordern ihren Anteil an sozialer Teilhabe ein. Seit vielen Jahrzehnten fanden es vorwiegend Männer schick, mit dem Auto mit Höchstgeschwindigkeit über bundesdeutsche Autobahnen zu rasen. Der Klimawandel stellt dieses angebliche Recht inzwischen in Frage. Das Aasen mit fossiler Energie hat spätestens ein Ende, nachdem der Möchtegern-Zar in der russischen Hauptstadt kein Öl und Gas mehr liefern darf. Ganz zu schweigen davon, was Corona mit der angeblichen Normalität angestellt hat. Normal ist also so gut wie nichts mehr. Dem Warum geht Stephan Lessenich nach.

Stephan LessenichNicht mehr normal


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Als Ende März 2020 der erste Lockdown wegen der Covid-19-Pandemie in Kraft trat, war es für einige Menschen beinahe eine Erleichterung. Nämlich für die Leute, die sich von der Schnelllebigkeit und dem Rummel in der westlichen Zivilisation eh überfordert fühlten. Andere Leute verfielen in Sorge um ihr Leben in Panik, trauten sich nicht mehr aus dem Haus. Das Bunkern von Klopapier, Mehl und Nudeln wurde zum Volkssport. Eine weitere Gruppe sah in dem zur Verhängung des Lockdowns am 16. März 2020 notwendigen Parlamentsbeschlusses eine Wiederholung des Ermächtigungsgesetzes, mit dem sich die junge Weimarer Republik quasi selbst entmachtete. Spätestens seit dem Sommer 2020 kursierten die wildesten Verschwörungserzählungen, mal war Bill Gates der böse Bube, mal für die Rechtsextremen die jüdischen Globalisten. Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie vulnerabel und instabil unsere Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich sind, wie viele in der jüngeren Vergangenheit falsche Entwicklungen waren. Nun, da aus der Pandemie eine Endemie geworden ist, sollte eigentlich das Leben wieder wie gewohnt weiter gehen. Von den aktuellen Krisen abgesehen. Das Gegenteil ist der Fall. Aus den letzten Jahren sind Querdenker und Verschwörungsgläubige übrig geblieben und suchen sich neue Themen. Dazu zeigt sich eine zunehmende Skepsis gegenüber dem demokratischen Staat und besonders seinen Institutionen. Die Mitte-Studie 2022/23 der Friederich-Ebert-Stiftung zeigt beunruhigende Tendenzen in der deutschen Gesellschaft. Jean-Pierre Wils widmet sich in seinem Essay der Frage, was seit der Pandemie passiert ist, was dazu unsere politische Kultur so verändert hat. Wenig überraschend zeigt er auf, dass dahinter viel ältere Entwicklungen zu finden sind.


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