Manche Jahreszahlen haben sich eingeprägt, wie 1933, 1945 oder 1989. Zumindest in Deutschland. Aber was war so Besonderes in 1977? Ich bezeichne die Zeit, so um die Mitte der Siebziger, gerne als Beginn der Moderne. Forscht man etwas genauer nach, führten tatsächlich in 1977 viele Linien der gesellschaftlichen, kulturellen wie politischen Entwicklung, sowohl in Deutschland als auch in Europa, zu einem markanten Fixpunkt. Vieles von dem, was heute alltäglich ist, war damals neu und ein großer Fortschritt. Das Spektrum der Themen ist breit, angefangen beim Offensichtlichen wie dem ersten industriell gefertigten Homecomputer auf dem Cover. Doch der Blick in die Annalen offenbart mehr: der so genannte deutsche Herbst, die ersten greifbaren Ergebnisse der Genforschung und dem Aufkommen biologistischer Diskussionen, politische Umwälzungen und Neuorientierungen, bis hin zu neuen Stilen in der Musik, zum Teil noch relevant oder nur noch in Spuren in den heutigen Medien zu hören. All diese Phasen bis zu Ereignissen fasst Philipp Sarasin zusammen. Mit dem endgültigen Betrachtungsende 1977, jedoch mit umfassenden Rückblicken bis zu 1933. Leider passiert ihm das Gleiche, was mir oft in meinen Buchrezensionen passiert: Er taucht ein bisschen tief ab.


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Gehe ich in meinen Erinnerungen 50 oder mehr Jahre zurück, in die Zeit des Wirtschaftswunders und in den Siebzigern in die Modernisierung der Bundesrepublik, tauchen viele Fragen auf. Selbst in der späteren Phase war die Welt um mich herum, im Vergleich zu heute, eher homogen. Zwar wählte mein Vater SPD und ein Onkel CDU, aber vor dem Haus standen ein Kommunist und ein Erzkonservativer noch beieinander und diskutierten. Inzwischen ist die Atmosphäre frostiger geworden, oder, wie man so sagt, die Gesellschaft ist stark ausdifferenziert. Doch auch das Verhältnis der Menschen zum Staat hat sich stark verändert. Behörden, Regierung und Kommunen, leider auch zivile Dienste wie Polizei, Feuerwehr oder sogar Sanitäter, werden nicht selten mit Argwohn betrachtet. Wenn nicht sogar, wie Anfang Januar 2023 in Berlin, angegriffen, beschimpft, verspottet. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger sehen „den Staat“ als einen Lieferanten, der ihnen das Gewünschte und Bestellte zügig liefert, aber ansonsten möglichst keine Ansprüche an sie stellt. Freiheit wird überwiegend als negative Freiheit gesehen, als „Freiheit von“. Bloß keine Verbote und Einschränkungen, bloß kein Tempolimit. Heidenreich nennt es die Ökonomisierung des Staates, gepaart mit einer Infantilisierung. Ein wirklich demokratischer Staat muss an seine Mitglieder, auf allen Ebenen, Ansprüche stellen. Dass diese Zumutungen wie Wahlen, Bürgerbeteiligungen bis hin zu Wehrpflicht und Freiwilligem Sozialen Jahr mehr sind als hinderliche Pflichtübungen, gleichzeitig Privilegien sind, ist vergessen. Dabei geht es anders, wie Heidenreich mit Beispielen aus der Schweiz, aus Irland und Kanada zeigt. Wenn wir die Demokratie in Deutschland erhalten wollen, brauchen wir ein anderes Verständnis von Bürgertum. Und müssen wieder mehr Zumutungen wagen.

Felix HeidenreichDemokratie als Zumutung


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Die  Brandanschläge auf Häuser türkischstämmiger Bewohner in Mölln und Solingen, dazu die pogromartigen Überfälle auf ausländische Arbeitskräfte und Flüchtlinge in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, sind Teil bundesdeutscher Geschichte. Doch waren diese Geschehnisse nur Highlights rechtsextremen und fremdenfeindlichen Terrors. Die wahren Verhältnisse sind weitgehend vergessen. Zwischen September 1991 und Juli 1993 registrierten die Behörden mehr als 1.200 Brandanschläge auf von Ausländern und Flüchtlingen bewohnte Häuser. Hinzu kamen rund 2.700 schwere Körperverletzungen aus fremdenfeindlichen Motiven. Kaum erfasst wurden die kleinen Tätlichkeiten und Beleidigungen, die für viele Menschen Alltag waren, die nicht "deutsch" aussahen. Seit 1993 ist die Zahl der Brandanschläge und schweren Ausschreitungen deutlich zurück gegangen. Die Zahl der Angriffe auf subjektiv nichtdeutsche Personen stabilisierte sich dagegen auf hohem Niveau. Till Kössler und Janosch Steuwer haben einen Band heraus gegeben, der 22 Beiträge zur rechtextremen bis nationalsozialistischen Geschichte in Deutschland seit Ende des zweiten Weltkrieges bis in die späten Neunziger zusammenfasst. Wie üblich, wenn man hinter die Oberflächlichkeiten alltäglicher Nachrichten schaut, zerlegen die Zahlen und Fakten viele gewohnte Stereotype. Weder ist die rechte Gewalt ein ostdeutsches Phänomen, noch war der Westen in der Zeit nach der Wiedervereinigung und davor ein demokratisches Musterland. Man sollte zum Beispiel nicht vergessen, dass die größten rechten Hetzer der AfD wie Björn Höcke aus Hessen und Andreas Kalbitz aus München stammen. Hat der Westen also den Rechtsextremismus erst in den Osten exportiert?

Till Kössler/Janosch SteuwerBrandspuren


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Angeregt durch ein ähnliches Projekt über den ersten Weltkrieg von Wolf-Rüdiger Osburg begann Barbara Halstenberg 2015 mit Recherchen zu Kriegskindern aus dem zweiten. Zuerst mit wenig Erfolg. Als sie Zettel in Apotheken aushing, um weitere Zeitzeugen zu finden, stand ihr Telefon oft nicht mehr still. Am Ende hatte sie rund 100 Menschen interviewt, die überwiegend in den Zwanzigern und Dreißigern des 20. Jahrhunderts geboren waren. Die also als kleine oder junge Kinder den letzten Weltkrieg miterlebt hatten. Diese Interviews bilden die Grundlage ihres Buches, ergänzt um Hintergrundinfos zu wichtigen Themen aus historischer Sicht. Das, was Halstenberg von den letzten Zeugen dieser Zeit erfuhr, sortierte sie nach thematischen Merkmalen, es werden also keine kompletten Interviews wiedergegeben, sondern Auszüge, zum Teil aber auch über viele Seiten. Damit ergibt sich ein vielfältiges Bild, wie Kinder in diesen harten Zeiten aufwuchsen. Da geht es um ausgebombte Städte und Spielen in den Ruinen, die alltägliche Suche nach Essen, um Nazi-Blockwarte und viel um die Hitlerjugend, aber auch ganz andere Geschichte kommen zur Sprache. Der Zusammenhalt der Menschen, die verlorenen Väter, die Alltäglichkeit der nationalsozialistischen Ideologie. Selbst jüdische Menschen, die es geschafft haben, im Deutschland dieser Zeit zu überleben, kommen zu Wort. So entsteht ein Bild des Lebens in dieser Epoche aus der Sicht der Kinder. Ein Zeitzeugnis, das nicht immer nur Schrecken und Grausamkeit dokumentiert, sondern durchaus Humor und Ironie zulässt.

Barbara HalstenbergAlles schaukelt, der ganze Bunker schaukelt


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Lilian Thuram ist weder Soziologe noch Politikwissenschaftler, kein Historiker und kein Philosoph. Er ist ehemaliger Profifußballer, hat in Italien und vor allen Dingen in Frankreich gespielt. Und Thuram ist schwarz, auf Guadeloupe geboren, bezeichnet jedoch Frankreich als seine Heimat. Bekannt ist er dort für sein Engagement gegen Rassismus und der resultierenden Ausgrenzung. In «Das weiße Denken» geht er ein nicht einfaches Thema an, dem man sich als Weißer mit einiger Mühe in der Sicht des Autors nähern muss. Es geht um internalisiertes Denken, um Denkschemata, die fast alle Menschen von klein auf lernen, und ihre Entstehung vergessen haben. Gerade die Majorität der westlichen Gesellschaft kennt mehr oder minder die Stereotypen. Dass Weiße die "besseren" Menschen sind, intelligenter, gebildeter, friedlicher, aufgeklärter. Schwarze dagegen werden nicht selten als minderbemittelt, gewalttätig und bildungsfern gesehen. Nicht immer und überall in gleichem Ausmaß, aber mit einer vergleichbaren Tendenz. Das ist jedoch nicht das einzige Denkschema. Das andere lautet: Männer sind stärker, intelligenter, einfach die Herren der Welt. Frauen weich, emotional, nicht durchsetzungsfähig. Es geht Thuram aber nicht darum, dieses stereotypische Denken anzuprangern oder irgendwelche Schuld zu verteilen. Er fragt viel mehr danach, woher diese Zuschreibungen für weiße und nicht-weiße Menschen stammen, denn statt Schwarze und Frauen kann man auch Juden und Jüdinnen oder asiatische Menschen nennen. Immer wieder geht es um Zuschreibungen, speziell hier jedoch, dass weiße Menschen die Welt und den Rest der Menschheit nur aus ihrer weißen Sicht wahrnehmen, und sich oft ihrer Verzerrungen der Wirklichkeit nicht bewusst sind.


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Ein paar Quizfragen zum Einstieg. Was ist der Unterschied zwischen einem einfachen und einem konstruktiven Misstrauensantrag? Welches Bundesland hatte mal zwei Kammern, den Landtag und den Senat? Bis der Senat 1992 durch Volksentscheid als nicht demokratiekonform abgeschafft wurde. Warum ist der Bundesrat keine Kammer, und wie sind dort die Abstimmungsregeln? Insbesondere mit dem Hintergrund, dass es schon lange weder auf Bundes- noch auf Länderebene eine Regierung einer einzelnen Partei gibt. Und wie konstituiert sich eigentlich eine Kommune? Ich dachte immer, ich wüsste eine Menge darüber, wie die Bundesrepublik so funktioniert. Politisch strukturell, meine ich. Nach dem Lesen dieses Buches musste ich zugeben, dass ich eher wenig wusste. Frank Decker ist Politologe und Hochschullehrer. Daraus resultiert, dass dieses Buch über die deutsche Demokratie weder mit Meinungen noch mit Sichtweisen irgendetwas am Hut hat. Es geht streng wissenschaftlich zu. Aber nicht trocken. Schon gar nicht langweilig. Am Schluss versteht man dann, warum manche Dinge in Deutschland eben so sind, wie sie sind. Dass dahinter das Grundgesetz steht, oder weil es die Geschäftsordnung des Bundestages so vorschreibt. Doch damit nicht genug, man weiß auch mehr über die gravierenden Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der Berliner, ehemals Bonner Republik. Warum sie mit ihrer Verfassung so viel stabiler ist. In dem Buch geht es also um Fakten und Gesetze, was mich an ein Nachschlagewerk zur Physik in meinem Studium erinnert. Wie hieß es 1970 so schön in der Werbung: Achten Sie auf die Goldkante - es lohnt sich.


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Wer heute durch Dresden oder Köln, Hamburg oder Berlin geht, kann sich keine Vorstellung machen, wie es dort im Sommer 1945 aussah. Vom Krieg fast vollständig zerstört, es herrschten Hunger und Obdachlosigkeit. Selbst kleine Städte wie Halberstadt oder Paderborn waren in den Innenstädten nur noch Ruinenfelder. Aus dieser Phase gibt es jetzt noch Zeitzeugen, auch wenn sie zum 8. Mai 1945 noch Kinder waren. In 24 Beiträgen und Interviews berichten sie, wie sie das Ende des Krieges erlebt haben, wie es war, als noch kein Frieden herrschte, aber wenigstens kein Krieg mehr war. Von Hunger und Vertreibung, von verlorenen Vätern und Familien. Als sich noch keine Fragen nach Schuld und Verantwortung stellten, sondern es nur ums Überleben ging. Nicht irgendwelche Leuten kommen zu Wort, sondern Namen, die mir noch sehr geläufig sind: Hans-Jochen Vogel, Burkhard Hirsch, Klaus von Dohnanyi, Martin Walser, sogar der von mir geschätzte Journalismus-Dozent und Stilexperte  Wolf Schneider. Gerhard Baum, Armin Mueller-Stahl, Hans Modrow, Edzard Reuter.

Hauke Goos/Alexander SmoltczykEin Sommer wie seither kein anderer


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Mal wieder ein Buch über Ossi-Bashing? In gewisser Weise ja, aber anders als zuerst gedacht. Immer wieder schön, wenn ein Buch sich in eine ganz andere Richtung aufmacht als erwartet. Detlef Pollack ist selbst in Ostdeutschland aufgewachsen, hatte jedoch das Privileg, ins kapitalistische Ausland reisen zu dürfen, schon vor 1989. Zwar war er gerade am 9. November 1989 nicht zuhause, sondern auf einem theologischen Seminar in Zürich, doch hat er lange Zeit die Vorgänge in der damaligen DDR verfolgt und begleitet. Wenn er nicht sogar ein Teil der Veränderungen war, als Student der evangelischen Theologie. Er ist demnach ein profunder Berichterstatter, was sowohl vor der Wiedervereinigung als auch danach geschah. Seine zweite Qualifikation ist sein soziologischer Hintergrund, der insbesondere im letzten großen Kapitel zum Tragen kommt. Hat er  eine andere Sicht auf die als Jammer-Ossis und notorische AfD-Wähler im Westen gesehenen Bewohner der neuen Bundesländer? Ja und Nein, überraschender Weise. Sein Fazit ist eher, dass an den Vorwürfen etwas dran ist, aber eben anders als gedacht. Weil die Wessis die Ossis mal wieder nicht verstehen. Weil es eine Menge Fehlinterpretationen gibt. Und weil die Wessis, so wie ich, die ganze Geschichte nicht kennen.

Detlef PollackDas unzufriedene Volk


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Wieder so ein Buch, das schwerlich in eine Kategorie zu bekommen ist. Tobias Ginsburg nimmt den Leser mit auf die Reise durch sein Spezialgebiet. Schlagende Verbindungen, Männerbünde, die den echten deutschen Mann retten wollen, Rapper aus dem rechten Spektrum, kleine Jungs, die auch gerne dazu gehören möchten. Überhaupt sind die studentischen Verbindungen mit ihren Ritualen aus Saufen und Pöbeln ein Hauptgebiet von Ginsburg, sowohl im Westen wie im Osten. Dann noch das Boss-Kapitel, über Kollegah, Kai und den Mainstream. Zum Schluss eine Reise in Polen, zum berüchtigten Thinktank Ordo Iuris, doch auch zu den Protestierenden in Warschau und an anderen Orten. Ginsburg tarnt sich bei seinen vielen Besuchen, passt sich an die Kulturen der rechten und rechtsextremen Kreise an. Spielt die üblen Spiele mit. Die Schilderungen der Menschen, denen er begegnet, lassen mich oft ratlos zurück. Denn was sie alle eint, von den Burschenschaftlern bis zu den aalglatten Direktoren der polnischen Netzwerke, ist Hass. Hass auf den Feminismus, auf Liberalität, auf Frauen, auf die Demokratie. Wenn man so will, ist das Buch eine Art Reisebericht. Der besonderen Art.

Tobias GinsburgWie gefährlich sind die Reichsbürger?


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Von November bis Dezember 1972 kam ich für sechs Wochen zur Kinderkur nach Borkum. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind eher angenehm, freundliche und zugewandte Menschen, Bastelnachmittage, Ausflüge an den Strand und Aufhacken des steinhart gefrorenen Sandes in den Dünen. Nur wenig Heimweh, keine Sterneküche, aber auch kein schlechtes Essen.  Nachmittags gab es Kakao und Kuchen. Ich hatte Glück gehabt. Viele andere Kinder nicht. Anja Röhl hatte selbst schlechte Erfahrungen als Verschickungskind gemacht. Sie entdeckte 2019 das Trauma der Verschickungskinder und machte es in der Öffentlichkeit sichtbar. So gründete sie als Betroffene im September 2019 einen Verein: «Aufarbeitung und Erforschung Kinderverschickung e. V.», dazu gibt es auch eine Website zur Vernetzung. In ihrem Buch geht es um die Geschehnisse in den Heimen von der Nordsee bis Berchtesgarden. Von denen sie erfuhr, als sie eine Website öffnete, wo sich Betroffene melden und ihre Geschichten erzählen konnten, die ihnen auf diesen Verschickungen passierten. Es geht um Misshandlungen, Prügel, Demütigungen, sexuellen Missbrauch bis hin zum Tod von Kindern. Wenn man diese Geschichten liest, denkt man, dass so etwas eigentlich undenkbar ist, doch es sind persönliche und authentische Schilderungen. Doch es ist nicht nur das Ziel öffentlich zu machen, was da im Namen von Gesundheit und Erholung den Kindern zustieß. Anja Röhl zeigt auch, dass die Folgen der NS-Ideologie und -Pädagogik noch lange über das Ende des zweiten Weltkrieges hinaus wirksam waren.

Deutschlandfunk KulturGewalt und Demütigungen statt Ruhe und Erholung


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Als das Corona-Virus Anfang 2020 von China aus sich auf die Reise in alle Welt machte,  war recht schnell klar, woher es kam: Aus den früher unberührten Urwäldern, die immer mehr von Menschen durchdrungen werden. Doch mit dem Finger auf die Asiaten zu zeigen, die exotische Tierarten als Delikatessen verspeisen, sollten gerade wir Europäer uns sparen. Wir sind seit den Achtzigern fleißig dabei, noch viel gefährlichere Mikroben zu züchten. Nämlich Bakterien, die zunehmend gegen die Wunderwaffe der Medizin, die Antibiotika, resistent werden und über Penizillin nur lachen können. Sogar Infektionen, die wir schon lange als Vergangenheit sahen, wie Tuberkulose oder Salmonellen, tauchen vermehrt in einer Version auf, gegen die Antibiotika nicht mehr nützen. Von den mehrfach resistenten Keimen in den Krankenhäusern ganz zu schweigen. Das haben die Bakterien nicht selbst so ausbaldowert, sondern wir produzieren sie durch den unnötigen und massenhaften Einsatz von Antibiotika in den Megaställen. Wie in Niedersachsen, mit bis zu 50.000 Schweinen oder Hühnern, zusammen gepfercht auf kleinstem Raum, auf Legeleistung oder Fleischansatz gezüchtet, mit kaputten Immunsystemen und unerträglichen Haltungsbedingungen. Da werden allein prophylaktisch Tonnen Medikamente unters Futter gemischt, die nicht nur in Hühnerkot oder Gülle in die Umwelt gelangen. Selbst im Schnitzel oder in der Putenbrust beim Discounter sind die Antibiotika noch nachweisbar. Der Grund: So viel Fleisch und Umsatz wie möglich, so billig wie möglich. Wie beim Klimawandel heißt die Devise dann: Augen zu und durch. Hauptsache die Grillwurst schmeckt und kost' nix.


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Gibt es "das" Judentum? So wenig, wie es "den" Islam oder "das" Christentum gibt. Man denke nur an die lange Liste unterschiedlicher christlicher Richtungen von altkatholisch, römisch-katholisch und griechisch-orthodox bis zu evangelisch und reformiert-lutherisch. So gab es auch im Judentum unterschiedliche Strömungen und Richtungen, die nicht immer friedlich ausdiskutiert wurden. Und doch gibt es einen Unterschied zwischen Muslimen, Christen und Juden. Also zwischen den drei monotheistischen Weltreligionen. Nur die Juden wurden beinahe in ihrer ganzen Geschichte nicht nur als eine Religion betrachtet, sondern als eine Kultur, im großen Verlauf der Geschichte sogar als eine Rasse. Obwohl aktuell noch der letzte Dummbatz wissen sollte, dass es keine menschlichen Rassen gibt. So schließt sich dieses Buch beinahe an das zuletzt gelesene an. Ein Zufall, keine Absicht. Geschrieben hat es der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn, erschienen ist es schon 2022. Doch nicht immer ist ein Buch über Geschichte eine dröge Aufzählung von Daten und Fakten. Dieses Buch ist anders. Zwar ist der Kern eine historische Darstellung, doch sein Autor erlaubt es sich, auch seine persönlichen Kommentare und Interpretationen einzubringen. Natürlich optisch und layouttechnisch abgesetzt. Das hat den Vorteil, dass es deutlich lebendiger wird und auch Blicke hinter die historischen Kulissen möglich sind. Dann hätte das Buch noch beinahe in meine Kategorie "angefangen und abgebrochen" Einzug gehalten. Doch wie schon bei anderen Büchern zuvor habe ich den Anfang mit langen Zähnen durchgehalten. Zum Glück.

DeutschlandfunkHistoriker Michael Wolffsohn im Gespräch


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