Was dem Einen seine Volksmusik, ist dem Anderen Death Metal oder Punk. Dann wären da noch die Freunde der Klassik und die Anhänger des Irish Folk, gerade die Deutschen scheinen ein Volk zu sein, das Schubladen braucht. Auch und gerade in der Musik. Doch gibt es Musiker, die in vielen Lagern Zuspruch erhalten, weil sie eben keine Schublade bedienen und zwischen diesen Welten wandern. Einer dieser Ausnahmemusiker ist der norwegische Saxophonist Jan Garbarek. Und der war am 11. Oktober 2012 wieder in der kleinen Großstadt an der Pader zu sehen und zu hören.

Jan Gabarek Band

Jan Gabarek Band

Meistens im Herbst erwartet man ihn. Er kommt leider nicht regelmäßig, manchmal wartet man mehrere Jahre. Und dann kommt er nicht im Herbst, sondern im späten Winter. Nein, nicht von einem jahreszeitlichen Sturm ist die Rede, sondern vom norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek. Am 11. Oktober 2012 war es wieder so weit. Die Jan Garbarek Band in der Paderhalle.

Hängen die ersten Plakate, ist nicht mehr viel Zeit für den Besuch des Vorverkaufs, oft sind in kurzer Zeit seine Konzerte ausverkauft. Sie sind in Paderborn eine Institution geworden, wie das Volksfest Libori oder das Schützenfest. Dass Jan Garbarek so regelmäßig in dieser Stadt in Ostwestfalen auftritt, hat wohl mehrere Gründe. Einer ist sicherlich, dass das Jazz-Publikum hier ihn hör- und spürbar schätzt, weil er die Mentalität dieser schon irgendwie norddeutschen Gegend so trifft wie wenige andere. Der Tenor-Saxophonist, der den nordischen Jazz wie kaum jemand sonst populär machte, ihn in gewisser Weise repräsentiert. Als typischer Nordeuropäer hat sich Garbarek dann in den 70er Jahren sein Image erworben: kühl, kontrolliert, beinahe distanziert. Doch dieser Abend sollte zeigen, dass das Bild angepasst werden muss.

Der amerikanische Musiker und Komponist George Russell bezeichnete Garbarek als „Das größte Jazzmusik-Talent, das Europa nach Django Reinhardt hervorgebracht hat.“ Geboren am 4. März 1947 in Mysen in Norwegen, begann er mit 14 Jahren Saxophon zu spielen und gehört neben Terje Rypdal, Arild Andersen und John Christensen nun schon seit vielen Jahren zu den Big Four der norwegischen Jazz-Szene.

Der Abend des 11. Oktober, es ist noch nicht richtig Herbst, klar und trocken,  nordisches Wetter. Ein stetiger Strom von Besucher verschwindet ruhig hinter den Türen der Paderhalle, im Foyer sammelt sich ein Publikum, das man am besten als gehobenes, liberales Bürgertum bezeichnen kann. Viele Leute jenseits der 50, wenige nahe der 30 Jahre. Die von Beton und wenig Holz geprägte kühle Atmosphäre will wohl so etwas wie einen Vorgeschmack der Musik Jan Garbareks geben. Ebenso der große Saal mit seinen fast 1000 Plätzen, die spärliche Bühnenausstattung mit einem großen Tuch im Hintergrund, das nur zwischen den Stücken die Farbe wechselt. Ausverkauft ist das Konzert dieses Mal nicht, aber sehr gut besucht. Das übliche Gemurmel vor Konzertbeginn, doch es ist nur leise, es trägt Vorfreude und Spannung auf die derzeitige Band von Garbarek. Weil man bei Jan Garbarek nie weiß, was einen nun erwartet.

Auf der aktuellen Tournee ist er mit seinem langjährigen Begleiter am Piano, Rainer Brüninghaus, dem Inder Trilok Gurtu an den Percussions und dem Brasilianer Yuri Daniel am Bass unterwegs. „Die menschliche Stimme ist mein Ideal“, sagt Jan Garbarek und es gibt wohl kaum einen Saxophonisten, der diesem Ideal so nahe gekommen ist. Ulrich Greiner schreibt über ihn in der ‚Zeit‘: „Die Utopie des unendlichen Atems und des natürlichen Wohlklangs treibt Garbareks Musik an, sie schwitzt nicht, sie ist heiter im Sinn des Worts, das vom griechischen Aither kommt und klarer Himmel, reine Luft bedeutet.“

Es ist kurz nach acht. Die Band beginnt mit einigen älteren Stücken von Garbareks Alben »Belonging« und »Places«. In dieser Besetzung gerät man schnell in die Gefahr wie die Fusionband Weather Report zu klingen. Doch nicht bei dieser Band, Garbareks Stimme und Ausdruck an diesem Instrument sind unverwechselbar, Rainer Brüninghaus ist ein exzellenter, aber genauso eigenwilliger Pianist in allen Stilen. Yuri Daniel spielt einen bundlosen elektrischen Fünfsaiter, zurückhaltend, sanft, sich nie in den Vordergrund spielend. Trilok Gurtu spielt Schlagzeug, indische Tablas, südamerikanische Congas und alles, was an Percussion verfügbar ist. Nach den eher klassischen Stücken Übergang zu moderneren Kompositionen. Und es kommt genau das, was so einmalig bei Garbarek ist: die Vier schöpfen aus allen musikalischen Stilen, vom klassischen Jazz über den Cool Jazz bis hin zu Melodien und Klängen aus dem Mainstream, Pop und Rock. Stetiger Wechsel der Solisten, Dialoge zwischen Bass und Saxophon, Piano und Bass, Schlagzeug und Saxophon. Brüninghaus und Gurtu liefern sich sogar einen Dialog zwischen Percussion und Piano, witzig, augenzwinkernd, mit einer Spielfreude, die man selten auf Jazzbühnen sieht. Dazwischen ein lächelnder, manchmal witzelnder Jan Garbarek.

Doch der große Teil des Abends gehört den anderen, Jan Garbarek zieht sich immer wieder zurück, überlässt seinen drei Mitmusikern das Feld. Bass- und Schlagzeug-Solos, in der populären Musik fast verschwunden, feiern hier ihre Rückkehr. In einem Moment noch sphärische, schwebende Klänge vom Saxophon und breite Klangteppiche vom Keyboard, dann wieder Rückkehr zu Sounds, die man eher im Hardrock erwartet. Es grooved, es stampft, es rockt. Dann wieder nur der Flügel, an dem sich Rainer Brüninghaus von der Neoklassik a’la George Winston über den Ragtime bis in den Freejazz arbeitet. Ständig ändern sich die Atmosphäre und der Klang, mal Solos, mal Duetts, dann wieder die komplette Band, doch immer passt es, immer ist es stimmig. Und alles ist erlaubt, auch Anleihen beim Pop und Synthesizer-Sounds. Das ist der Jan Garbarek, den sein Publikum liebt. Ständig präsent, aber nie vordergründig. Ständige Veränderung, aber immer er selbst. Und mit einer Stimme, die unverwechselbar und einmalig ist.

Gegen Ende gehört dem Inder Trilok Gurtu noch einmal allein die Bühne. Er beginnt mit einem Schlagzeug-Solo, geht über auf Tablas und Congas, legt einen Scat-Gesang darüber, es folgt eine Reise durch die Welt der Percussion, zu der bei ihm auch ein mit Wasser gefüllter Blecheimer gehört. Am Ende steigt Garbarek mit einer Obertonflöte ein und Garbarek und Gurtu beenden die Einlage mit einem furiosen Duo für Percussion und Flöte.

Nach weit über zwei Stunden Reise durch die Möglichkeiten, was Jazz  auch sein kann, endet der Auftritt mit Standing Ovations und zwei Zugaben, die letzte schon unter Saalbeleuchtung. Vier großartige Musiker, zusammen wohl 100 Jahre Jazz-Erfahrung und dazu schier unglaubliches musikalisches und technisches Können.

Eintritt erwünscht

Eintritt erwünscht

Hier ein Lächeln auf den Gesichtern der Zuschauer,  dort aber manchmal auch ein Grinsen. Weil diese Musiker sich selbst nicht immer ernst nehmen, sich nicht in den Olymp setzen, sondern auf dem Boden der musikalischen Realität bleiben. Und was macht die Jan Garbarek Band so einmalig? Dass sie sich aus allen Schubladen bedient und am Ende in keine mehr hinein passt. Und damit Freunde aus allen Schubladen findet.