Die Globalisierung begann in der Wirtschaft, nun schwappt sie auch ins Privatleben. Die Anzahl an Fernbeziehungen nimmt zu, in Zügen und Flugzeugen viele Menschen auf dem Weg zur Beziehung oder zurück zur Arbeitsstelle. Doch wie bei der gelobten Mobilität im Job stellt sich in der Fernbeziehung die Frage, wie es den Menschen dabei geht.

(Namen wurden aus Personenschutzgründen geändert)

Bleib!

Bleib!

Die Autobahn A2, eine endlose Kette von LKWs aus Litauen, Polen oder sogar aus dem fernen Russland, von Oberhausen bis Berlin. Längere Fahrten auf ihr eine Mischung aus Stress und aufkommendem Fernweh. Wie an jedem Freitag fährt Raimund von Nordrheinwestfalen nach Niedersachsen. Weil Pferde und Katzen nicht allein bleiben können, und weil Ilka ein großes Haus mit Garten hat. Die Ausfahrten kennt er inzwischen auswendig. Am steilen Berg vor Lauenau ist Vorsicht geboten, LKWs scheren unerwartet aus, genau an dieser Stelle passieren viele Unfälle. Bisher ist er glimpflich davon gekommen, dank ABS und Routine. Im Sommer eine schöne Strecke, sie geht durch das hügelige, grüne Weserbergland, im Winter bei Dunkelheit, Nebel und Regen werden aus den knapp 200 Kilometern gefühlte 500. Am Sonntagabend schafft er die Strecke schon mal in 90 Minuten, am Freitagnachmittag können es mit Baustellen sogar drei Stunden werden. Am Freitagnachmittag treibt ihn die Aussicht auf ein gemeinsames Wochenende, am Sonntagabend auf dem Weg zurück bleibt ein Gefühl der Unruhe und Unzufriedenheit, wenn der Job ihn wieder in das leere 30-Quadratmeter-Apartment zwingt. Gesund fühlt sich das nicht an.

Schätzungen gehen davon aus, dass jede achte Partnerschaft „auf Distanz“ gelebt wird. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht in einer gerade erschienen Studie von 13,4% der Paare, die entfernt zusammen leben. Die tatsächliche Zahl dürfte um ein Vielfaches höher liegen, wenn man diejenigen Paare berücksichtigt, bei denen ein Partner beruflich bedingt in den entfernten Zeiten in Hotels wohnt. So geht man im Schnitt davon aus, dass Akademiker im Laufe ihres Berufslebens bis zu 25% der Zeit in einer Fern- bzw. Wochenendbeziehung leben.

Barbara und Elo haben sich wie Raimund und Ilka übers Internet kennengelernt. An jedem Wochenende pendelt Barbara drei Stunden mit der Bahn von Düsseldorf nach Ratzeburg und wieder zurück. Auch hier ist es das malerisch in der Nähe des Ratzeburger Sees gelegene Haus, ein Traum für jeden, der sonst in Düsseldorf jeden Tag schon den Kampf um einen Parkplatz neu durchstehen muss. Während für Raimund die Fahrt anstrengend und nervenraubend ist, hat Barbara als freiberufliche Sozialpädagogin Schwierigkeiten, sich die sechs Stunden Fahrt von ihrem engen Zeitplan abzuknapsen. Wie für das Paar aus Niedersachen und Ostwestfalen ist es der ständige Wechsel zwischen Nähe und Distanz, der immer wiederkehrende Abschied, das Abbrechen von bisherigen sozialen Beziehungen und die Phasen des Zweifels und der Einsamkeit, die schon mal das Gefühl mit sich bringen, die Orientierung verloren zu haben.

Globalisierung, Mobilität und Flexibilität sind die Schlagworte der modernen Gesellschaft. Nicht nur der Beruf fordert, dass man heute hier und morgen dort arbeitet. Auch das Privatleben wird zunehmend globalisiert. Das Partnersuche-Portal Parship sieht den Anteil Paare, die sich über das Internet finden, nahe bei der 10%-Marke. Dass diese Menschen nicht in der gleichen Stadt wohnen, ist quasi vorprogrammiert, man verliebt sich nicht, weil man den gleichen Wohnort hat. Erst jetzt erforschen Wissenschaftler, wie an der Universität Mannheim, welche psychosozialen Folgen der Verlust eines eindeutigen Lebenszentrums und einer konstanten Beziehung haben. Dass Fernbeziehungen viel häufiger scheitern als konventionelle, nämlich zu 65%, haben sie schon belegt.

Was die Arbeitswelt aufgezwungen hat, findet so Eingang in das Privatleben: thematische, räumliche und seelische Mobilität wird zur täglichen Anforderung, auch jenseits der Fünfzig. Die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, wie sie für Generationen in den Wohnorten und sozialen Umgebungen noch normal war, ist Vergangenheit. Doch die Flexibilität, die die Wirtschaft von den Menschen einfordert, bietet sie ihnen im Gegenzug nicht.

Im März 2012 hat Barbara den nicht leichten Weg gewählt und ist zu Elo in den Norden gezogen. Ihren Kundenstamm im öffentlichen Sozialbereich muss sie mühsam neu aufbauen. Raimund sucht seit Monaten einen neuen Job in der jetzigen Heimat. Bisher vergeblich.