Normalerweise halte ich mich aus politischen Diskussionen heraus. Diese Tendenz hat in den letzten Jahren eher zugenommen, nicht, weil ich unpolitischer geworden wäre, sondern weil die Sache mir zunehmend unübersichtlicher geworden ist. Doch gelegentlich erhellt sich eine Geschichte durch eine Kleinigkeit. Bei mir war diese Kleinigkeit eine Serie von Posts in Facebook, einer davon kam von mir und ich meinte, ich würde mir manchmal die Rückkehr in die Siebziger wünschen. Eine Zeit in der alles übersichtlicher war. Eine Antwort auf mein Posting war der Hinweis, dass es in den Siebzigern den Kalten Krieg gegeben hat. Eine politische und militärische Lage, in der nur einfaches technisches Versagen hätte dazu führen können, den Untergang des Abendlandes auszulösen.

Genau dieser Fall ist einmal eingetreten und die Katastrophe würde durch vernünftiges Handeln eines russischen Leutnants verhindert. Zu dieser Katastrophe wäre nicht mal ein einziger Flüchtling oder islamistischer Terrorist notwendig gewesen, das hätten Sowjets und Amerikaner mit ihren Gigatonnen Atomwaffen im Alleingang geschafft. Hatten wir deshalb Angst? Im Grunde nein, denn wir hatten, tatsächlich oder eingebildet, das Gefühl, die Sache zu verstehen. Wir hatten insgesamt das Gefühl, noch alles halbwegs zu verstehen. Die Ölkrise, den Kalten Krieg, Unfälle in Atomkraftwerken. Wir hatten sogar einen Tucken das Gefühl, diese Dinge beeinflussen zu können.

Jeder kann meine Meinung haben

Das war auch sehr einfach. Unsere Meinungen resultierten aus wenigen Quellen. Aus Tagesschau, dem Spiegel, vielleicht dazu die TAZ, unsere Familie und ein paar Verwandte, Freunde und Nachbarn. Öffne ich heute Facebook und Twitter, habe ich geschätzt eine Quadrillion Meinungen, Statements, Behauptungen und Stellungnahmen. Das macht die Geschichte unübersichtlich. Schon deshalb hatte ich manchmal vor, mich bei Facebook abzumelden, weil ich nicht mehr begriff, was da vor sich geht. Was davon ist noch wahr oder authentisch? Was ist Fakt und was ist Behauptung? Was passiert da überhaupt? Warum wird ohne ersichtlichen Grund so manche Sau durchs Dorf getrieben?

Nun geht es mir an dieser Stelle wohl nicht alleine so. Mit fortgeschrittenem Lebensalter, einer Menge Lebenserfahrung, als Akademiker, als gelernter Journalist nach den Fächern Recherche und Presserecht, sollte ich doch diese offensichtlichen Folgen der Globalisierung und um sich greifenden sozialen Medien verstehen. Früher war schon Paris sehr weit entfernt. Heute ist medial gesehen Peking um die Ecke. Was macht man, wenn die Welt um einen herum zunehmend unverständlich, undurchschaubar, unbegreiflich wird? Wenn das Gefühl entsteht, man ist abgehängt?

Genau diese Frage hat schon mal Leute beschäftigt, die an der University of Kent arbeiten. Könnte sein, dass sich durch deren Forschungen das Dunkel etwas lichtet. Diese Leute haben sich damit auseinander gesetzt, warum es in den letzten zehn Jahren in zunehmender Zahl Verschwörungstheorien gibt. Angefangen hatte es zum Beispiel mal vor langer Zeit damit, dass Paul McCartney schon lange tot sei, bewiesen wurde es angeblich auf dem Cover von Abbey Road durch seine fehlenden Schuhe, durch ein Autokennzeichen, durch die Zigarette in der rechten Hand (weil Paul Linkshänder ist). Lady Diana wurde Verschwörungstheorien nach durch den Geheimdienst MI5 umgebracht. Flugzeuge hinterlassen keine Kondensstreifen, sondern sie verspühen Gift und bringen die Menschheit um. Chem Trails genannt. Warum glauben Menschen an krudeste Verschwörungstheorien?

Im Westen nichts wirklich Neues

Die Forscher aus Kent meinen es zu wissen. Sie sagen, dass je geringer die Selbstwirksamkeit und je stärker das Gefühl der Benachteiligung sei, desto größer die Bereitschaft, an Verschwörungstheorien zu glauben. Je mehr man sich als Opfer eines nicht verstandenen Vorgangs fühlt, desto eher hilft eine Verschwörungstheorie. Und je geringer der Bildungsgrad, desto größer die Neigung, komplexe Phänomene so zu erklären, um dem Druck des Nichtverstehens auszuweichen. Im Glauben, die anderen Leute würden es verstehen. In vielen Verschwörungstheoretikern kocht eine Mischung aus Angst, Ohnmacht und Kontrollverlust. Doch wächst mit jedem Tag die Komplexität des Alltags. Das Internet hat seinen Beitrag dazu geleistet, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Man versteht nicht mehr, was um einen herum passiert. Man verliert die Orientierung. Ein fruchtbarer Boden für Echokammern und Filterblasen.

Wenn in einer Stadt wie Dresden 0,1% der Einwohner Muslime sind, aber Pegida die Islamisierung des Abendlandes fürchtet, ist das nichts anderes als eine Verschwörungstheorie. Verschwörungstheorien haben einen immensen Vorteil. Sie basieren auf Behauptungen, nicht auf Fakten. Und jeder, der die Theorie anzweifelt oder dagegen argumentiert, ist einer der Verschwörer oder zumindestens darauf aus, den Followern der Theorie Böses zu wollen.

Genau deshalb ist eine Diskussion mit Pegida- oder AfD-Anhängern fruchtlos, denn man will ihnen ihre Verschwörungstheorie wegnehmen, die ihnen doch hilft, in einer nicht mehr verstehbaren und überschaubaren Welt halbwegs unbehelligt zu überleben. Argumente helfen nicht, weil sie die Verschwörung noch viel mehr zu beweisen scheinen, sei es seitens der Lügenpresse, der Politiker oder Andersdenkender. Diese Gegenwirkung steigert noch die Heftigkeit, in der um die Verschwörungtheorie gestritten wird. Im Gegenteil, je mehr diese Theorien ad absurdum geführt werden, desto sicherer sind ihre Anhänger, dass sie stimmen. Weil der Widerstand der Anderen beweist, dass man selbst auf dem richtigen Weg ist. Als wenn mit den Rücktritt der Kanzlerin plötzlich der Strom an Flüchtlingen abnehmen würde. Verschwörungstheorien sind etwas Feines. Man kann sich in sie einwickeln und sie beinhalten den Automatismus, dass jeder Versuch, Fakten dagegen zu stellen, die Theorie bestätigt.

Das Fazit

Betrachtet man die endlosen Schlammschlachten in Facebook oder in Talkshows unter diesem Gesichtspunkt, bekommen die Geschichten etwas Putziges. Plötzlich sieht man die typischen Merkmale und Mechanismen der Verschwörungstheoretiker. Dazu bekommt man die Erkenntnis, dass Argumentieren gegen den Schwachsinn nicht nur unnütz ist, sondern gleich noch Öl ins Feuer gießen bedeutet. Für mich nur eine weitere Bestätigung, mich aus den Diskussionen heraus zu halten. Nicht, weil ich unpolitisch bin. Sondern weil ich zunehmend den Blödsinn darin erkenne. Sollen sich diese Leute doch ihr Öl selbst besorgen.