Die Glosse über den deutschen Straßenverkehr unten mag als das erscheinen, was eine Glosse im Grunde ist. Eine Lästerei, ein Überziehen. Merkwürdig ist es aber, wenn  ähnliche Betrachtungen unabhängig voneinander einen Faden zu bilden scheinen, wenn Beobachtungen zusammen passen ohne dass die Beobachtenden voneinander wissen. So zum Beispiel die politischen Entwicklungen diesseits und jenseits des Atlantiks, wo Parallelen zu sehen sind. Man könnte fragen: Amerikanisiert sich die deutsche Gesellschaft? Folgt der Tea Party in den USA bald die Tee-Partei in Deutschland?

So schreibt die Welt unter Berufung auf eine Studie des internationalen Forschungsverbunds Population Europe in Berlin in einer wenige Tage zurückliegenden  Ausgabe: „Alte und Kinderlose verlieren die Bedürfnisse von Jüngeren und Familien mit Kindern aus dem Blick und achten vor allem auf ihre eigenen Interessen. Demnach ist die Zustimmung von 65-Jährigen zu Kindergelderhöhungen um 85 Prozent weniger wahrscheinlich als die von 20-Jährigen. Die Zustimmung zu flexibleren Arbeitszeiten für Eltern sinkt zwischen dem 20. und dem 65. Lebensjahr um 50 Prozent. Ältere sprechen sich hingegen stärker für Änderungen im Rentensystem zu Lasten der Jüngeren aus.“

Und sucht man weiter in Medien und Statistiken, kommen mehr Beweise und Indizien zu Tage. Sie zeigen, dass in Deutschland die Zeit der Solidarisierung über soziale Schichten und Interessengruppen hinaus dem Ende entgegen geht. Die Zeit des gemeinsamen Leidens und Hungerns nach dem zweiten Weltkrieg ist über die letzten Generationen in Vergessenheit geraten. Statt dessen hat sich ein Bild entwickelt, dass der Tüchtige, Gesegnete, ja Vorbildliche ein Selbstdarsteller sein muss, jemand der selbstzentriert und ohne wesentliche Rücksicht seinen Tag und sein Bild nach außen gestaltet. Und für den eigene Interessen das Maß aller Dinge sind. Unterstützt wird diese Annahme noch durch die Bilder in den Medien, Online wie Print. Nicht das Sein hat noch irgendeinen Wert, nur noch das Haben, weil das Haben das Außenbild bestimmt. Und nur das Außenbild qualifiziert als erfolgreich und hebt aus der scheinbar anonymen Masse heraus, die H&M, RTL und Amazon geschaffen haben. Der Konsum, der zuerst als schöne neue Welt erlebt wurde, erdrückt nun den Einzelnen und macht ihn zu Einem von Abertausenden. Ein Borg kennt keine Individualität, im Gegenteil, er darf sie zum Schutz des Kollektivs nie haben, er würde das Kollektiv zerstören.

Diese schöne neue Welt des Konsums hatte als Nebenwirkung den Verlust von Individualität. Wo schon in einer einzigen Stadt Hunderte Leute zur gleichen Zeit mit der gleichen Jacke unterwegs sind, wo Buchhandlungen mit immer neuen und immer sinnloseren Büchern gefüllt werden, und wo Dutzende Leute darüber diskutieren, ob ihr iPhone denn nun das Gelbe vom Ei ist, da ist kein Raum für Individualität. Und wo kein Raum für Individualität im herkömmlichen Sinne ist, da muss eine neue Individualität erfunden werden. Das war nicht schwer, es gab ja Vorbilder diesseits und jenseits des Atlantiks. Die neue Individualität heißt Selbstzentrierung, Selbstüberschätzung und Durchsetzen eigener Interessen auf Gedeih und Verderb. Mit der intellektuellen Definition von Individualität vor einigen Jahrzehnten hat sie nichts mehr gemeinsam, aber immer noch besser diese neue als gar keine.

Globalisierung, Konsum ohne Grenzen und der daraus resultierende Verlust von Individualität führen in eine Welt, in der nur noch die Entscheidung zwischen Fressen oder Gefressenwerden ansteht. Das ist auf den Autobahnen zu merken, bei Meinungen zum  Kindergeld und an der Aldi-Kasse. Man könnte noch Dutzende von Glossen schreiben, wenn man nur ein wenig genauer hinschaut. Nur würde einem dabei angst und bange. Weil man merkt, dass man diese Welle nicht aufhalten kann. Oder doch?

Ich kaufe meine Kleidung ab jetzt im Raiffeisen-Markt, meine Bücher im Antiquariat und die Eier beim Bauern am Ende des Dorfes. Und hoffe, dass mich der Virus der neuen Individualität verschont.

Fallen Empires

Fallen Empires

1994 begannen vier junge Nordiren mit simplem Rock. 17 Jahre später haben sie 11 Millionen CDs verkauft und sind von den Playlists vieler Radiosender nicht mehr weg zu denken. Zu Recht.

Obwohl wenige Leute den Namen der Band kennen, ihre Songs kennt fast jeder, der auch nur gelegentlich Pop-lastige Sender wie  1Live, NJoy oder Radio21 hört. 1998 erschien ihr Debutalbum »Music for Polarbears«, bis zu »Final Straw« in 2003 wurden Snow Patrol der Sortierung Alternative Rock gerecht, eine am amerikanischen Grunge orientierte, raue und direkte Stilform.

In 2006, mit der Veröffentlichung von »Eyes Open«, der Wandel zum Status Quo, Melodik und Form aus dem Grunge, aber nun Sound und Arrangement aus der Pop-Musik. Vermutlich wurde diese Entwicklung  verursacht durch das Dazustoßen des Keyboarders Tom Simpson, aber auch durch die Rückkehr des Produzenten Jacknife Lee, Simpson ist für viele Songs verantwortlich, während die Texte weiter vom Sänger Gary Lightbody stammen. Songs wie »Shut Your Eyes«, »Chasing Cars« oder »You’re All I Have« sind von keiner Playlist moderner Formatsender mehr weg zu denken. Dieses Talent, Songs von gleichbleibender Güte quasi am Band zu produzieren, haben in der Tat wenige Bands. Eingängige Melodien mit komplexen Arrangements und einem großen Repertoire an Sounds und Stilformen, genau diese Linie setzt sich auf »Fallen Empires« fort.

Leichtfüßige Liebeslieder oder simple Balladen sind nichts für Snow Patrol. Vom Grunge ist die Ernsthaftigkeit geblieben, die Optimismus nicht ausschließt und Emotionen in den Vordergrund stellt. Keine simplen Pop-Songs für Aufzug oder Kaufhausberieselung, aber auch keine Musik, die nichts neben sich verträgt. Nicht umsonst holen sich Snow Patrol in den letzten Jahren Preise wie Best Irish Band oder Best British Group in Serie ab. Britischer Pop-Rock-Grunge vom Feinsten. Doch nie seelenlos oder oberflächlich.

Mit »Fallen Empires« wollten Snow Patrol im November 2011 ein weiteres Highlight setzen. Zum großen Teil gelingt das wie mit dem Titelstück »Fallen Empires« oder mit »This Isn’t Everything You Have«. Es ist großartige, klug gemachte und hervorragend produzierte Pop-Musik, hier sind sich Snow Patrol treu geblieben. Einziger Wermutstropfen ist, dass man die gleiche Sache nicht endlos abwandeln kann. Manche Songs klingen wie schon einmal gehört. Dann wieder taucht ein Song wie »The Garden Rules« auf, tatsächlich neu und erfrischend und ein Highlight des Albums.

Kennt man Snow Patrol von den früheren Alben, bringt »Fallen Empires« nicht so viel Neues wie »Eyes Open«, es ist kein Paradigmenwechsel mehr. Es ist das Weiterstricken bekannter Muster. An dieser Stelle könnte man etwas enttäuscht sein. Aber wegen der neuen Songs wird man auch als Snow Patrol-Kenner nicht um dieses Album herumkommen, doch Neues hören und Vertrautes schätzen. Wer gute, abwechselungsreiche Pop-Musik von Razorlight oder The Perishers mag und die Band noch nicht kennt, sollte spätestens mit dieser CD einen Einstieg wagen. An den Abwechselungsreichtum von »Up To Now« reicht »Fallen Empires« – leider – nicht heran.

Urteil: Dreieinhalb von fünf möglichen Schneeflocken.

 

Beim Fahren auf Deutschlands Autobahnen wünscht man nicht selten, es würde schneller voran gehen. Und weniger stressig. Wie es der ADAC mit seinem Slogan gerne hätte. Ist die Autobahn noch so gut ausgebaut, zügig voran geht es selten, entspannt schon gar nicht. Zu viele Autos? Die M25, die Autobahn rund um London herum, ist vierspurig, 24 Stunden am Tag proppevoll und doch läuft der Verkehr meist flüssig. Zu viele LKWs? Auf der A2 von Oberhausen bis Berlin wären zwei Spuren für die PKWs da, trotzdem staut es sich jeden Tag auf Dutzenden von Kilometern. Nein, das Problem scheint sich woanders zu verstecken. Vielleicht im deutschen Autofahrer?

So beobachtet man oft, dass die rechte Spur bis auf Sichtweite frei ist, die mittlere gut belegt und die linke komplett voll. Das Rechtsfahrgebot auf Autobahnen scheint in Deutschland überwiegend unbekannt. Das Argument ist klar, es könnte ja ein LKW kommen, und dann muss man ja eh wieder raus. Also bleibt man in der Mitte oder gleich ganz links. Noch unerklärlicher wird es bei leichtem Schneefall oder Nebel mit Sichtweiten von 500 Metern. Sofort werden alle Lampen eingeschaltet, deren Bezeichnung mit Nebel anfängt. Man müsste eigentlich eine Sonnenbrille aufsetzen. Oder die Standardsituation, rechts LKWs mit 90 km/h, in der Mitte Autos mit 92 km/h, links die noch Schnelleren mit 97 km/h, dahinter eine Schlange von Leuten, die gerne wenigstens das vom ADAC bisher erfolgreich verhinderte Tempolimit von 130 km/h fahren würden. Das Reißverschlussverfahren an Baustellen in Deutschland: so dicht wie möglich auf seinen Vordermann auffahren.

Generationen von Fahrlehrern scheinen versagt zu haben, grundlegende Regeln, Gebote und Verbote sind unter Deutschlands Autofahren wohl unbekannt oder verdrängt. Nicht ohne Sinn, denn es zählt ja nur das eigene Vorankommen, der Rest soll sehen, wo er bleibt. Vorausschauendes Fahren, Verzicht auf Rechte zugunsten des Verkehrsflusses und Fairplay haben auf Deutschlands Autobahnen keine Existenzberechtigung. In Dänemark, Großbritannien oder in Belgien fällt auf, dass das anders geht, und gerade in diesen Ländern gilt ein Tempolimit. Sollte das irgendwie zusammen hängen? Freie Fahrt für mündige Bürger. Dabei erschreckt am meisten, dass diese mündigen Bürger unsere Bundesregierung wählen. Wo sie schon beim Verstehen von Verkehrsregeln überfordert sind.