Wäre dieses Buch ein Gericht in einem Restaurant, würde ich sagen: Schmeckt ganz merkwürdig, aber irgendwie lecker. Von Wolfgang Hegewald habe ich zum ersten Mal im Deutschlandfunk gehört, in der Sendung „Zwischentöne„. Was er da so von sich gab, klang zumindest interessant. Wolfgang Hegewald stammt aus der DDR. Dort wollte man seine Werke nicht drucken. Im Westen galt der Autor, dessen Ausreiseantrag 1983 bewilligt wurde, als magischer Realist. Sprachliche Genauigkeit ist ihm wichtig. So sagt er: „Mit Sprachverwahrlosung beginnt Weltverwahrlosung“. Aus der lange Liste an Büchern von ihm pickte ich mir dann eben «Tagessätze» heraus. Ob das Buch für ihn typisch ist, kann ich nicht sagen. Aber ich begann zu lesen. Zuerst hatte ich erhebliche Mühe zu begreifen, was Hegewald da eigentlich schrieb, worauf er hinaus wollte, was die Botschaft sein sollte. War das eine Geschichte oder ein Roman? Offensichtlich nicht. Obwohl Hegewald das Buch „Roman eines Jahres“ nennt. Nein, es ist kein Roman im herkömmlichen Sinne. Es ist eine Sammlung von Destillaten für jeden Monat des Jahres 2020. An der Monty Python ihre Freude hätten.
Archiv für das Monat: Juni, 2024
Mittlerweile gibt es eine erkleckliche Anzahl von Büchern über den Alltag in der DDR vor und kurz nach 1989. Mal mehr, mal weniger persönlich. Mit meinem ausgeprägten Interesse für die östlichen Bundesländer kam ich deshalb um dieses Buch nicht herum. Zentrum der Geschichte ist die 1986 in Wismar geborene Protagonistin Stine, der Autorin nicht unähnlich, aber nicht mit ihr identisch. Es ist aber keine Geschichte nur über den „Ost-West-Graben“, es ist genau besehen nicht mal eine nur typisch ostdeutsche Angelegenheit. Was Stine erlebt, ist die Kontinuität von Gewalt in ihrer Familie, in der Nazizeit, in der DDR oder während der Baseballschlägerjahre. Diese Gewalt entsteht nicht aus sich selbst, sondern aus Verstrickungen, in einen repressiven Staat, in Ideologien und auch in der eigenen Familie. Diese Verstrickungen ziehen sich über Generationen, mir fiel dabei der Bibelspruch ein, dass die Sünden der Väter an ihren Kindern bis ins dritte oder vierte Glied heimgesucht werden. Angefangen vom Großvater, der mit dem Nationalsozialismus anbandelte, bis zu den Eltern, für die die DDR das bessere, ja das einzig richtige Deutschland war. Da werden Mythen gesponnen, Erzählungen gepflegt, Anekdoten wiederholt, bis sich ihr Wahrheitsgehalt erübrigt. Da wird ge- und verschwiegen, werden Wahrheiten zusammen geschustert. Bis Stine beginnt nachzuforschen, besonders im Fall ihres Großvaters Paul. Erst allmählich wird Stine klar, warum ihr Lebensweg so verlief, wie er verlief. Warum sie nicht darum herum kam, den Kontakt zu ihrer Mutter abzubrechen.
Ab ca. 2016 fiel mir auf, dass in Großbritannien immer mehr mit Karte bezahlt wurde. Heute kann man dort ohne Kredit- oder Bank-Karte nicht mal mehr eine Kugel Eis kaufen oder eine öffentliche Toilette benutzen. Also gerade die Briten, die mit dem Brexit doch ihre Unabhängigkeit bewahren wollten, unterwerfen ihren kompletten Zahlungsverkehr Banken und Finanzunternehmen. Offizielle Zahlen sagen, der Bargeldgebrauch in Großbritannien habe in 2020 um 50% abgenommen. Meine Alltagserfahrungen in 2024 würden 80% sagen. Dabei hat Bargeld viele Vorteile. Es ist inklusiv, man muss kein Bankkonto haben, um bar zu bezahlen. Es ist anonym, Zahlungen können nicht nachverfolgt werden, Konsumverhalten nicht analysiert. Bargeld funktioniert auch bei Stromausfall, als US-Dollar oder Euro in vielen Ländern. Trotzdem nimmt auch in Deutschland das digitale Bezahlen zu. Nur alte weiße Männer tragen noch Stapel an Geldscheinen in ihrer Tasche herum. Der Trend zum "bargeldlosen" Zahlen wird von zwei Bereichen voran getrieben. Einmal von den Banken, Big Finance, weil Bargeld Infrastruktur benötigt, gerade in Form von Mitarbeitern. Die Banken möchten gerne weiter rationalisieren, Filialen schließen, Geldautomaten abbauen. Je mehr digital bezahlt wird, desto mehr vermeiden die Banken Kosten. Der Bereich Big Tech verdient hier an den Investitionen der Banken, dort an neuen Bezahlverfahren. Der neuste Hype sind dann noch Krypto-Währungen, die ein neues Geld sein wollen, unabhängig vom Staat und von der Finanzindustrie. Was ist daran eher religiöser Glaube? Können Bitcoin oder Dogecoin unser heutiges Geld ersetzen?