Wolfgang Hegewald: Tagessätze
Wäre dieses Buch ein Gericht in einem Restaurant, würde ich sagen: Schmeckt ganz merkwürdig, aber irgendwie lecker. Von Wolfgang Hegewald habe ich zum ersten Mal im Deutschlandfunk gehört, in der Sendung „Zwischentöne„. Was er da so von sich gab, klang zumindest interessant. Wolfgang Hegewald stammt aus der DDR. Dort wollte man seine Werke nicht drucken. Im Westen galt der Autor, dessen Ausreiseantrag 1983 bewilligt wurde, als magischer Realist. Sprachliche Genauigkeit ist ihm wichtig. So sagt er: „Mit Sprachverwahrlosung beginnt Weltverwahrlosung“. Aus der lange Liste an Büchern von ihm pickte ich mir dann eben «Tagessätze» heraus. Ob das Buch für ihn typisch ist, kann ich nicht sagen. Aber ich begann zu lesen. Zuerst hatte ich erhebliche Mühe zu begreifen, was Hegewald da eigentlich schrieb, worauf er hinaus wollte, was die Botschaft sein sollte. War das eine Geschichte oder ein Roman? Offensichtlich nicht. Obwohl Hegewald das Buch „Roman eines Jahres“ nennt. Nein, es ist kein Roman im herkömmlichen Sinne. Es ist eine Sammlung von Destillaten für jeden Monat des Jahres 2020. An der Monty Python ihre Freude hätten.
Es geht in diesem Buch nicht um eine Geschichte, es geht um Sprache und was sie für uns bedeutet. Hegewald nimmt sich Geschehnisse, Medieninhalte, Nachrichten und Eindrücke, dreht sie auf links und zerlegt sie in die abenteuerlichsten Bestandteile. Zitat: Weltseitenblicke als Sprachkaleidoskop. So wird das Selbstverständliche plötzlich zu einem geheimnisvollen Ort des Schreckens oder existentieller Komik. So fragt er sich, ob das schon die Hölle sei oder noch das Fegefeuer, was ihm auf Reisen zwischen Hamburg und Helgoland, Neu-Ulm, Dresden und Rom geschieht und durch den Kopf geht. Oder in Halberstadt, wo er sich auf das Jahr 2640 freuen kann, wenn das Orgelstück von John Cage nach 639 Jahren endet. Er hört, dass Greta Thunberg im Wachsfigurenkabinett jetzt neu zwischen Papst Franziskus und Helene Fischer steht. Es geht um große und kleine Politik, um Wahlen und Kunstakademien, um Gott und Grammatik, um Literatur und den zugehörigen Betrieb. Und immer wieder um die Frage, ob wir begreifen, was wir gerade erleben. Manche Dinge handelt er in einem Satz ab, anderen widmet er wenigstens einen Absatz.
Das Buch unter einem Oberbegriff zusammen zu fassen, fällt etwas schwer. Es sind auch Geschichten, aber meistens Gedankensplitter oder Geistessplitter. Es ist auf jeden Fall das Spiel mit Sprache und wie weit sie Wirklichkeit abbildet. Was Sinn ist oder schon Unsinn. Der Verweis am Anfang auf Monty Python ist nicht zufällig. Wenn es auch nicht um den Sinn des Lebens geht, so doch über den Sinn von Sprache und was wir mit ihr machen. Manche mögen es für merkwürdige Gedanken halten, für Verdrehungen der Realität. Aber auch da die Parallele zum Anfang: Es mundet nicht immer jedem.
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