Hasso Spode: Urlaub macht Geschichte
Als die Reisewelle die Fresswelle in den Siebzigern in Westdeutschland ablöste, galten die Deutschen als Reiseweltmeister. Das galt nicht nur für die Westdeutschen, sondern für die Ostdeutschen gleichermaßen. In den Achtzigern erreichte die Reiselust einen ersten Höhepunkt. Doch die Ostdeutschen reisten nicht weniger als die Westdeutschen, im Gegenteil, sie reisten eher mehr. Der Witz, der Reiseatlas der DDR sei das dünnste Buch der Welt, stimmt dabei ebenso wenig wie viele andere Stereotype der Wessis über die Ossis. Im Osten wurde nur anders gereist, die bevorzugten Reiseziele im Westen beschränkten sich zum großen Teil ja auch nur auf Österreich, Italien und Spanien. Während in den Achtzigern im Westen die kommerziellen Anbieter mit ihren Pauschalreisen das Reisen dominierten, waren im Osten der FDGB, die Betriebe, die FDJ und das ostdeutsche Reisebüro DER die wichtigsten Organisatoren für Reisen. Ostdeutsche mussten nicht auf Auslandsreisen verzichten. Beliebt waren besonders Ungarn und seine Hauptstadt Budapest, die einzige wirkliche Weltstadt des Ostblocks, mit westlichem Flair, internationalen Zeitungen und Schallplatten. Auch CSSR und Bulgarien standen als Ziele hoch im Kurs. Selbst Kuba, China oder Ägypten waren möglich, wenn man das nötige Budget zur Verfügung hatte. Doch der Individualtourismus blieb in der DDR immer wichtiger als FDGB-Reisen mit „Rotlichtbestrahlung“. Wie man die ständige Indoktrination mit Plakaten und Vorträgen in der DDR nannte. Deshalb war Camping geschätzt, wenn auch nicht so problemlos möglich wie im Westen. Überhaupt stimmte das Bild im Westen vom Urlaub der Ostdeutschen wenig bis gar nicht. Die verbrachten eben nicht ihre paar Urlaubstage in ihren Datschen.
Hasso Spode zeigt in seinem Buch die Entwicklung des Tourismus in der DDR, historisch wie in in seiner gesellschaftlichen Rolle. Zwar war Reisen in der DDR beschwerlicher, komplizierter und eingeschränkter als in der BRD. Was aber im Osten niemanden vom Reisen abhielt, ganz im Gegenteil. Reisen war dort auch eine Gelegenheit, sich der Kontrolle und der Überwachung zu entziehen. Deshalb geht das Buch auf viele gesellschaftliche und politische Aspekte des Urlaubs in der DDR ein. Nun liefert das Buch nicht unbedingt die großen politischen oder historischen Erkenntnisse, rundet das Bild der DDR in ihrem Alltagsleben dagegen ab. Es zeigt auch, dass gerade das Reisen in der DDR ein Freiraum war, der gerne genutzt wurde. Als die Stasi nicht selten Entwicklungen hilflos gegenüberstand, und der SED-Staat mit seinen Vorstellungen vom neuen, sozialistischen Menschen ins Leere lief. Wer sich für den Alltag in der DDR interessiert, findet in diesem Buch eine interessante Ergänzung.
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