Brett Scott: Cloudmoney

Ab ca. 2016 fiel mir auf, dass in Großbritannien immer mehr mit Karte bezahlt wurde. Heute kann man dort ohne Kredit- oder Bank-Karte nicht mal mehr eine Kugel Eis kaufen oder eine öffentliche Toilette benutzen. Also gerade die Briten, die mit dem Brexit doch ihre Unabhängigkeit bewahren wollten, unterwerfen ihren kompletten Zahlungsverkehr Banken und Finanzunternehmen. Offizielle Zahlen sagen, der Bargeldgebrauch in Großbritannien habe in 2020 um 50% abgenommen. Meine Alltagserfahrungen in 2024 würden 80% sagen. Dabei hat Bargeld viele Vorteile. Es ist inklusiv, man muss kein Bankkonto haben, um bar zu bezahlen. Es ist anonym, Zahlungen können nicht nachverfolgt werden, Konsumverhalten nicht analysiert. Bargeld funktioniert auch bei Stromausfall, als US-Dollar oder Euro in vielen Ländern. Trotzdem nimmt auch in Deutschland das digitale Bezahlen zu. Nur alte weiße Männer tragen noch Stapel an Geldscheinen in ihrer Tasche herum. Der Trend zum „bargeldlosen“ Zahlen wird von zwei Bereichen voran getrieben. Einmal von den Banken, Big Finance, weil Bargeld Infrastruktur benötigt, gerade in Form von Mitarbeitern. Die Banken möchten gerne weiter rationalisieren, Filialen schließen, Geldautomaten abbauen. Je mehr digital bezahlt wird, desto mehr vermeiden die Banken Kosten. Der Bereich Big Tech verdient hier an den Investitionen der Banken, dort an neuen Bezahlverfahren. Der neuste Hype sind dann noch Krypto-Währungen, die ein neues Geld sein wollen, unabhängig vom Staat und von der Finanzindustrie. Was ist daran eher religiöser Glaube? Können Bitcoin oder Dogecoin unser heutiges Geld ersetzen?

Brett Scott hat selbst lange in Start-Ups der Finanzszene in London gearbeitet und verfügt daraus über eine Menge Hintergrundwissen. Doch ist er eher ein Verfechter des Bargeldes. Doch Bargeld stört im Finanzwesen, nicht nur wegen der zusätzlichen Kosten. Die heutige Welt der Unternehmen und Banken ist globalisiert und digitalisiert. Firmen wie Amazon oder PayPal funktionieren nur digital, international und abstrakt. Allein Amazon setzt in jeder Sekunde 14.000 US-Dollar um, nur mit digitalem Bezahlen. Zudem erlaubt Bargeld nicht, die Wünsche und Einstellungen der Kunden zu verfolgen, Marktentwicklungen zu analysieren und Marketing voran zu treiben. Um diese Entwicklungen zu überschauen, beschäftigt sich Scott mit den grundsätzlichen Fragen. Was ist Geld überhaupt, wie ist es entstanden? Tatsächlich war es zu Anfang eine Art abstrahiertes Tauschgeschäft. Statt Fisch gegen Holz zu tauschen, wurde ein Zwischenschritt eingelegt. Mit dem Aufkommen der Banken veränderte sich diese Logik. Was wir heute als Konto bezeichnen, ist kein Bargeld mehr, sondern eine Verpflichtung der Banken, Zahlen auf der Kontoübersicht in reales Geld der Staatsbanken zu wandeln. Scott beschreibt diese Abläufe noch einmal im Detail, auch wie Geld zwischen Banken hin und her wandert. Wie Geld überhaupt geschaffen wird, eben nicht durch Drucken in den Zentralbanken. Es geht in diesem Buch zuerst um die Geldwirtschaft, wie sie bis in die Achtziger des letzten Jahrhunderts existierte. Gerade mit der Globalisierung änderte sich der Umgang mit Geld grundlegend. Geld löste sich von seiner Körperlichkeit. Mit diesem Hintergrund schafft Scott erst einmal ein Verständnis für das, was in Banken und in der Finanzwirtschaft hinter den Kulissen passiert.

Der zweite, beinahe größere Teil, beschäftigt sich mit Krypto-Währungen. Dabei fällt immer wieder der Begriff Blockchain. Krypto-Währungen sollen ein Geld sein, das unabhängig ist von Staaten und Banken, ein libertäres Modell von Geld. Doch was eine Krypto-Währung ist, wie sie funktioniert, was eine Blockchain ist, zeigt sich als hoch komplexes technologisches Gebilde. Immerhin schafft es Scott, die Mechanismen dahinter einigermaßen verständlich darzustellen, ohne dass größeres IT-Wissen notwendig ist. Scott beschreibt die Vorgänge, wie Bitcoin-Token geschaffen werden, das sogenannte Mining. Wie die Blockchain grundsätzlich funktioniert und warum. Doch ein Bitcoin-Token ist kein Geldstück, sondern eher eine Art Sammelobjekt, wie Gold oder ein Gemälde, die für reales Geld erworben werden. Damit ist Scotts letztendlicher Schluss sehr klar: Krypto-Währungen sind kein Geld, können Bargeld schon gar nicht ersetzen. Sie sind eher so etwas wie ein Glaube, eine Religion. Die Gründe, warum selbst Facebook oder Amazon in das Thema einsteigen, liegen ganz woanders. Nämlich dort, dass das Unternehmen sind, die Geld verdienen wollen und Marktmacht steigern.

Gerade die Krypto-Währungen sind ein sehr kompliziertes und schwer zu verstehendes Thema. Deshalb ist dieses Buch von Brett Scott keine leichte Lektüre. Es schafft aber, wenn man das will, ein Basiswissen über Krypto-Währungen und die Arbeitsweise der Finanzindustrie. Er legt auch überzeugend dar, warum Bargeld im Grunde unverzichtbar ist, wenn wir die Ökonomie und unseren eigenen Alltag nicht in die Hände von Banken und Technologie-Unternehmen legen wollen. Facebook wurde oft als Datenkrake bezeichnet. Inzwischen gibt es viel mehr Läden, die als Geld-Kraken unterwegs sind. Am Ende immer nur für ihren Profit, oder für Macht.

Brett Scott ist ein englischer Autor, Journalist und Aktivist. Er beschäftigt sich im Wesentlichen mit Fragen des internationalen Finanzwesens, seiner Reformierung und alternativen und digitalen Währungen. Nach einem Studium der Anthropologie sowie der Internationalen Entwicklung bei dem Ökonomen Ha-Joon Chang in Cambridge arbeitete er als Broker, später an Universitäten und für Institutionen wie „The Finance Innovation Lab“. 2013 veröffentlichte er »The Heretic’s Guide to Global Finance: Hacking the Future of Money«. Brett Scott lebt in Berlin..

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