Karolina Kuszyk: In den Häusern der anderen
Die Geschichte Polens ist mehr als wechselhaft. Ein Spielball zwischen Russland und dem deutschen Reich, mal gar nicht mehr eigener Staat, sondern mit einem baltischen Staat verbunden. Bis 1918 existierte Polen nicht einmal mehr als eigene Nation. Und doch prägten die Deutschen auch nach 1918 die Gebiete im Westen. Als das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg verlor, kam es zur Westverschiebung Polens. Ab 1944 wurden die polnischen Bewohner im sowjetisch besetzten Ostpolen gezwungen, in die so genannten „wiedergewonnenen Gebiete“ umzusiedeln, die vorher unter anderem als Ostpreußen, Hinterpommern, Schlesien und Danzig zum Deutschen Reich gehört hatten. Die ursprünglich dort ansässige deutsche Bevölkerung floh oder wurde vertrieben. Mitnehmen durften sie höchstens einen Koffer oder einen Rucksack, zurück blieben Häuser, Höfe, Möbel und alltägliche Dinge wie Teller und Tassen. Die neuen polnischen Bewohner übernahmen das Zurückgelassene, plünderten und stahlen, oder zogen gleich selbst in die verlassenen Häuser ein. Selbst beinahe mittellos, sind so bis heute die Überreste deutschen Lebens in West- und Nordpolen zu finden. So entstanden gleich zwei Geschichten, die zeigen, wie Biografien und Dinge über Zeiträume, Landesgrenzen und Generationen hinweg bis heute miteinander verwoben sind. Wie das Vergangene und Verlorene bis ins Heute Bedeutung hat. Wenn man das Verhältnis von Polen und Deutschen in der jüngeren Geschichte verstehen will, hilft dieses Buch ungemein. Noch mehr, weckt es Interesse an dieser eher unbekannten Geschichte Europas. Viel Geschichte, viele Geschichten, die nachdenklich machen.
Karolina Kuszyk stammt selbst aus dem polnischen Legnica, das früher Liegnitz hieß. Sie erzählt von den zuvor ostdeutschen und ab 1945 westpolnischen Gebieten wie Ostpreußen, Schlesien oder Pommern. Durch die Vertreibung aus Ostpolen kamen Menschen in das neue Westpolen, die selbst sehr arm in die damals von Plünderei und einer kulturellen Neubesetzung geprägten Gebiete kamen. Ihre Eingewöhnung dauerte oft Jahrzehnte, auch weil viele der polnischen Vertriebenen glaubten, dass die Deutschen bald zurück kämen, dass es nur eine Übergangszeit sei. Doch was folgte, war eine Repolonisierung der ehemals deutschen Orte und Städte, die Umbenennung von deutschen in polnische Straßennamen, die Beschlagnahme ganzer Viertel durch die sowjetische Armee, die Beseitigung von deutschen Denkmälern. Kuszyk erzählt von mit Hakenkreuzen gekennzeichneten Schüsseln, die die einstigen Bewohner zurückließen und die dann in die Hände der mittellosen Zuwanderer fielen. Jedoch auch von Besuchen der damals vertriebenen Deutschen, die in Polen noch die Dinge wiederfinden, die sie mal zurückließen. Wie Kindertassen, Betten und Möbel. Die Zeitzeugenberichte, auf denen Kuszyk sich dabei neben Reportagen, Romanen und Forschungsbeiträgen hauptsächlich beruft, liefern ein vielschichtiges Bild dieser Schicksale. Geschichten, die sich über Generationen fortschreiben.
Karolina Kuszyk erzählt die Geschichten in Form des Essays, oft durch eigenes Erleben sehr detailreich und genau beobachtet. Sie begleitet noch einmal Menschen auf ihren Wegen, wie eine Frau mit ihren Kindern, die gleich zweimal aus ihren Heimatort vertrieben wurde und im Februar 1945 im Feuer des Angriffs auf Dresden landete. Doch auch, wie später von Polen und Deutschen gemeinsam versucht wird, die zerstörten und geplünderten deutschen Friedhöfe wieder zurück zu bringen. Kuszyk schreibt keine lineare Geschichte, es liest sich eher wie ein Umherspringen in der Vergangenheit, einmal erinnert sie sich noch selbst an ihre Kindheit in Legnica, dann flechtet sie Zeitzeugenberichte an, später Berichte von Organisationen, die versuchen, Wunden zu heilen und die Betonung auf eine gemeinsame Geschichte von Polen und Deutschen zu legen. So emotional und manchmal betroffen die Autorin berichtet und erzählt, wird es nie kitschig oder rührselig. Im Gegenteil, das Buch hat mich dazu gebracht, die Geschichte Polens noch einmal zu verfolgen und nachzuvollziehen. Vielleicht auch, weil mein Großvater väterlicherseits bis 1922 Bednarczyk hieß und aus Westpreußen kam.
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