Philipp Staab: Digitaler Kapitalismus
Philipp Staabs Biografie täuscht nicht. Aus ganzem Herzen Soziologe mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Ökonomie, so geriet auch dieses Buch. Lockerer formuliert: ein Brecher, den man nicht mal so eben weg liest. Nun ist Ökonomie nicht unbedingt mein Interessenschwerpunkt, das Digitale und seine Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik schon. Bald nach den ersten Seiten wurde mir klar, dass ich mit Staabs Buch keine nette Lektüre für die Mittagsruhe erwischt hatte, sondern ein in viele Details und Tiefen herab steigendes Werk. So schwer sich das Buch liest, so interessant ist Staabs Analyse dessen, was mit dem schwammigen Begriff digitaler Kapitalismus umschrieben wird. Der Verdacht ist berechtigt, es geht um die großen Internet-Herrscher Amazon, Google, Apple, Facebook. Und Konsorten wie Alibaba und WeChat dazu, ihre östlichen Pendants. Nun kann man sich einen schlanken Fuß machen und Amazon nur als eine andere Ausprägung eines Händlers sehen. Ohne weitere Feinheiten wie im Mittelalter die Fugger, heute Otto-Versand oder meine Hundeleckerli-Versorger Bosch und Vitakraft. Doch dieses Sicht ist nicht nur zu kurz, sie ist falsch. Denn es geht bei diesem Thema nicht allein um den Handel, es geht um die Digitalisierung, die Macht der Algorithmen, über die Methoden und Vorgehensweisen, die diese großen Metaplattformen nutzen, um eine ganz neue Art von Kapitalismus aufzuziehen. Als wenn das nicht schon komplex genug wäre, nimmt einen Staab noch mit in eine historische Analyse des Kapitalismus und warum es geradezu zwangsläufig in diese neue Art des Kapitalismus gehen musste. So dass man bei der nächsten Stehparty galant über den Fordismus und den Postfordimus mansplainen kann.
Wie aus diesem ersten Abriss über das Buches zu schließen, ist das Buch weniger Ökonomie für Anfänger noch eine einfache Erklärung für schwierige Themen. Philipp Staab geht in seiner Erklärungslinie vom Fordismus aus, dem Prinzip der Massenproduktion mit dem Massenkonsum. Begründet eben von Henry Ford, dem Pionier des Massenproduktion. Das funktionierte nicht nur sehr gut, sondern nach dem zweiten Weltkrieg besonders gut. Die im Zustand des lokalen Friedens in den USA aus dem Boden gestampften Produktionskapazitäten, während in Europa der Krieg tobte, wurden mit Kriegsende flugs in die Produktion von Konsumartikeln umgeschaltet. Die USA wurden zur Wirtschaftsmacht Nummer Eins in der Welt. Bis die Sache in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts ins Stocken geriet. Da hatten alle Leute Kühlschränke, Fernseher und Autos, die zehn Jahre hielten. Es kam zu einer Sättigung in der Nachfrage. Die Hersteller, damals noch alle klassische kapitalistische Industrie, versuchten mit der Individualisierung die Geschichte zu retten. Es soll Tage gegeben haben, an denen in Wolfsburg nicht zwei in der Ausstattung identische VW Golf vom Band liefen. Das Wirtschaftswachstum erlahmte in den Neunzigern erheblich. Zum Glück kamen erst der PC, dann die Tablets und die Smartphones. Ab 2000 wurde das Internet Volkssport. Kaum viel später entdeckte der Kommerz, dass sich über das Internet prima auch Sachen verkaufen ließen. Da hießen die Pioniere eBay, Amazon oder Google. Sie schafften es, eigentlich unknappe Waren wieder dem Käufer vorzuenthalten. Doch so einfach sollte es nicht sein.
Was daraus entstand, waren nicht Unternehmen, die in einem klassischen Markt mit Angebot, Wettbewerb und Nachfrage agierten. Wie AEG, Grundig und Nordmende bei Fernsehern. Stattdessen schufen diese neuen, großen, digitalen Player eigene Märkte. In denen war das Ziel, den Metaplattform genannten proprietären Markt in allen Aspekten zu beherrschen. Hinsichtlich Zugang oder Abschottung, Kontrolle der Leistungen und Preise. Ihr Kapital in Geld und Marktposition holen sich diese Player als Renten, sie produzieren nicht, sondern betrieben einen eigenen Markt. Eine große Rolle dabei spielte das private Risikokapital, das solche Methoden noch förderte. Tendenziell anders, aber mit den gleichen Prinzipien dahinter Google und Apple. Zwar ist Apple auch Hardwarehersteller, aber iPhone und iPad sind ebenso Metaplattformen. Wer drin ist, kann oder will nicht mehr heraus. Mit ihren App-Stores binden beide Anbieter den Konsumenten, verdienen, obwohl sie selbst fast keine Apps selbst entwickeln. Eher noch Google, das ist dann Teil eines Marktes für Dienstleistungen. E-Mail, Navigation oder Notizbuch. Bedenklich ist zudem, wie diese Unternehmen öffentliches Güter in privates Kapital umwandeln. In einem iPhone sind Dutzende Funktionen und Innovationen verwendet, die einstmals von Steuern bezahlt erforscht wurden. Noch weitere Auswirkungen nimmt Staab ins Visier. Angefangen dabei, dass Algorithmen Arbeitskräfte ersetzen. Bei Uber, Lieferando oder AirBnB werden Gewinne ohne eigene Produktion auf dem Rücken von Menschen erwirtschaftet, ohne dass diese noch Einfluss auf Löhne oder Arbeitsbedingungen hätten. Je weiter Staab ausholt, desto erschreckender werden die Auswirkungen des digitalen Kapitalismus. Ohne dass ein Staat noch Einfluss hätte.
Damit sind nur die grundlegenden Themen des Buches gerade angerissen, der Autor geht noch bei weiteren Betrachtungen tief ins Detail. Ein Lesevergnügen wird das Buch durch die Fachsprache und komplexen Gedankengänge nicht. Liefert für die aufgewendete Mühe jedoch erstaunliche und frappierende Einblicke in die Auswirklungen des digitalen Kapitalismus, der proprietären Märkte und des Raubbaus der digitalen Marktbeherrscher. Ich habe für das Buch ziemlich lange gebraucht, eben weil Staab nicht den Endverbraucher oder interessierten Laien im Visier hat. Trotzdem lohnt es sich als Übersicht über ökonomische Entwicklungen, die nicht offenbar und offensichtlich sind. Ohne dass es Staabs explizite Aussage ist, können diese digitalen Marktgiganten zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Schon indem sie Märkte ausplündern, ohne dafür Steuern zu zahlen oder moralische Verantwortung zu übernehmen. Vom digitalen Kapitalismus können schwere Verwerfungen drohen, bis auf den einzelnen Arbeitnehmer und Konsumenten. Es sei denn, die amerikanische Regierung und die EU schreiten brachial ein und stoppen die Ausbeutung aller Ressourcen. Optimistisch stimmt das Buch da leider nicht.
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