Christian Montag: Du gehörst uns!

Inzwischen ein vertrautes Bild: Leute sitzen zusammen im Restaurant und wenigstens einige von ihnen wischen auf ihrem Smartphone herum. Anstatt miteinander zu reden. Doch auf „die jungen Leute“ zu schimpfen, verengt das Bild. Auch RentnerInnen sitzen nicht mehr auf der Parkbank und füttern Tauben, sondern tippen auf die winzigen Bildschirme. Das Wort von der Smartphone-Sucht ist immer häufiger in den Medien zu hören, Wissenschaftler sprechen lieber von problematischer Internetnutzung. Doch die Wörter verschleiern die wirkliche Situation, niemand ist von dem technischen Gerät abhängig, auch nicht von dem Netzwerk auf Basis des Protokols TCP/IP. Es sind die sogenannten sozialen Medien, von Facebook und Twitter über Instagram bis hin zu Snapchat und Whatsapp, die die Aufmerksamkeit binden. Es gibt sogar schon Länder, in denen die Nutzung des Smartphones beim Überqueren von Straßen mit Strafe belegt ist. Darüber ist schon viel geschrieben worden, meistens ging es dann um Datenschutz oder den digitalen Kapitalismus. Christian Montag geht auf das Thema aus psychologischer Sicht ein. Was bewirkt, dass Menschen so geradezu süchtig nach Facebook und Whatsapp sind? Was sind die psychologischen Hintergründe und wie machen die Plattformkonzerne es, dass sie Menschen so binden? Und gibt es eine psychologische Veranlagung dazu, derart in den Fängen der digitalen Welt zu landen? Ja, ein Buch mit wissenschaftlichem Hintergrund. Doch der Autor ist sich seiner eigenen Schwächen sehr wohl bewusst. Was das Buch menschlicher macht.

Christian Montag: Du gehörst uns!Netzwerke mit toxischen Nebenwirkungen

Dabei ist vielen Benutzern sehr wohl bewusst, dass das Daten-Geschäftsmodell von Meta = Facebook + YouTube + Instagram oder Google mit den gesammelten Daten Schindluder treibt. Diese Konzerne haben über jeden Benutzer unzählige Daten bis hin zur sexuellen oder politischen Orientierung. Verdient wird das Geld mit Werbung, über das Microtargeting passgenau auf jeden Einzelnen zugeschnitten. Doch dazu müssen die Plattformen dafür sorgen, dass die BenutzerInnen möglichst oft und möglichst lange bei ihnen verbleiben. Je mehr Zeit, desto mehr Daten. An dieser Stelle gibt es bei Montag Analysen aus psychologischer und verhaltensökonomischer Sicht. Auf Grundlagen der Persönlichkeitspsychologie, vor allen Dingen den „Big Five“, einem Modell mit fünf Aspekten der Persönlichkeitsstruktur, hat er erforscht, wie und warum sich Menschen so unterschiedlich gegenüber den sozialen Medien orientieren. Es sind viele Aspekte, die die Nutzungsdauer des Netzes optimieren, seien es Farben und Layout, sei es die Möglichkeit zu endlosen Scrollen oder der unendlichen Abfolge von YouTube-Videos, die immer genauer zu den BenutzerInnen gewählt werden. Man könnte sogar sagen, dass es persönliche Aspekte sind, die den Einen immer tiefer ins Virtuelle ziehen, die Andere völlig kalt lassen. Gerade diese psychologischen Betrachtungen und Forschungsergebnisse habe ich bisher in keinem anderen Buch so gefunden, und sie sind durchaus faszinierend. Montag schüttet das Kind jedoch nicht mit dem Bade aus. Intelligente Algorithmen könnten Anzeichen für mentale Erkrankungen aufzeigen, die Gesundheit fördern und die medizinische Begleitung optimieren.

Warum die sozialen Medien so gefährlich werden können, liegt auch und gerade an ihrer Herkunft aus dem digitalen Kapitalismus. Montag plädiert deshalb dafür, dass soziale Medien nicht mehr von Unternehmen ausgeschlachtet werden, sondern dass beispielsweise die EU ein europaweites Netz anbietet. Ohne Werbung, ohne die Gefahr der politischen Manipulation, ohne Datensammelei, ohne Überwachung. Alle Versuche, die Digitalkonzerne zu regulieren, sind bisher gescheitert. Zuckerberg und Musk lügen stattdessen das Blaue vom Himmel herunter. Es ist also insgesamt eine sehr große Bandbreite von Sichtweisen und Themen, die Christian Montag behandelt. Im Zentrum stehen dann am Ende die Resultate seiner Forschungen über soziale Medien aus psychologischer Sicht, erklären Verhalten und warum bestimmte Methoden von Facebook & Co so zuverlässig funktionieren. Es ist aber kein staubtrockenes Buch mit Stapeln von Tabellen und Statistiken. Montag zeigt mit vielen praktischen Beispielen, auch sich selbst kritisch betrachtend, die Funktionsweisen der sozialen Medien. Was auch heißt, dass sie wahrscheinlich nicht reformierbar sind, entweder man liebt sie oder man hasst sie. Am Ende des Buches schreibt Montag, dass das Buch eigentlich nicht so dick werden sollte. Gut, dass er sich anders entschieden hat, denn er liefert damit eine der besten und informativsten Werke über soziale Medien und ihre Gefahren. Und über Alternativen.

Prof. Dr. Christian Montag ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm sowie Visiting-Professor an der University of Electronic Science and Technology of China (UESTC) in Chengdu, China. Studiert hat er Psychologie in Gießen, promoviert und habilitiert an der Universität Bonn. Forschungsschwerpunkte sind die biologischen Grundlagen der Persönlichkeit sowie das Feld der noch recht neuen Psychoinformatik. Er ist gefragter Experte, seit er 2018 das Buch „Homo Digitalis“ veröffentlichte, in Medien wie ARD, ZDF und RTL, «SPIEGEL», «Der Standard» und «The New York Times».

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