Hamed Abdel-Samad: Islam
Hamed Abdel-Samad ist ein streitbarer Mensch. Er hat sich sogar einmal getraut, auf einer AfD-Veranstaltung einen Vortrag zu halten. Gilt als großer Islam-Kritiker, hat eine Fatwa am Hals und steht unter ständigem Polizeischutz. Ich habe schon so einige Bücher von ihm durch, zum Beispiel «Aus Liebe zu Deutschland», «Der Untergang der islamischen Welt» oder «Mohamed». Doch ist Abdel-Samad Islam-Kritiker, kein Islam-Basher. Seine Kritik ist immer wohlbegründet, sachlich und vernünftig im Sinne der Aufklärung. «Islam – Eine kritische Geschichte» ist Anfang 2023 heraus gekommen. Es ist aber nicht eine Art Abrechnung mit dem Islam, es ist, wie das Schlüsselwort „Geschichte“ anzeigt, eine mehr historische Betrachtung und Interpretation des Islams. Beginnt mit den historischen Grundlagen, der Entstehung des Korans, besser: des ersten Korans, geht vergleichsweise kurz an die Geschichte Mohameds, arbeitet sich danach weiter vor bis zum aktuellen Stand. Einen Schwerpunkt bilden speziell die nächsten Jahrhunderte nach Mohameds Tod, die Entstehung der verschiedenen Richtungen wie Sunniten und Schiiten, Ausbreitung der damals neuen Religion, die erst nur ein Glaube war. Wenn man eine Grundaussage heraus meißeln möchte, ist es die, dass der Islam den Übergang in die Moderne selbst verbaselt hat. Dass der Islam keine eigene Aufklärung zulassen konnte, trotz seiner Blütezeiten, in denen er eine tolerante und offene Religion war. Abdel-Samad erzählt, wie der Islam zu seiner Zeit von der Religion zum Machtinstrument wurde, mit dem die Eroberungen vom Indus bis nach Andalusien voran getrieben wurden, Identitätsstifter für die arabischen Staaten wurde. «Islam» ist also kein historisches Buch im eigentlichen Sinne, sondern eine Geschichte, die helfen soll zu verstehen, warum der Islam dort gelandet ist, wo er heute steht. Also eher im Abseits.
Als christlich geprägter Europäer oder Anverwandter weiß man vielleicht noch, dass der Islam vom Propheten Mohamed begründet wurde. Damit enden bei uns übliche Kenntnisse. Aber Mohamed hat nicht den Koran verfasst, er konnte nämlich weder lesen noch schreiben. Erst viele Jahrzehnte später entstanden erste schriftliche Teile des Korans, noch viel länger dauerte es, bis er im heutigen Sinne komplett war, die Suren und Hadithe umfasste. Doch eines galt am Koran von Anfang an, nämlich dass er das einzige und ewig gültige Wort Allahs sei. Und wörtlich zu interpretieren. Arabische Staaten gab es auf der arabischen Halbinsel noch nicht, es gab Sippen und Stämme, nur diese hatten moralische und religiöse Autorität. Doch mit dem Islam veränderte sich diese Situation. Dieser neue Glaube ermöglichte zum ersten Mal in diesem Teil der Welt den Zusammenschluss bisher getrennter Gruppen unter einer gemeinsamen Religion. Der Islam war das Bindeglied, die Leitidee. So war es nicht zu verhindern, dass die Mächtigen und Reichen den Koran so interpretierten, wie es ihnen maximal nutzte. Was nicht schwierig war, denn Mohameds Aussagen in seiner Zeit in Mekka waren friedlich und tolerant, in Medina dann wurde er zum Kriegsherr und Warlord, verfluchte Christen, Juden und Ungläubige. Hinzu kam, dass mit der Anweisung der Kalifen, den Koran zu verschriftlichen, auch deren Ideen mit einflossen. So wurde der Islam zu einer intoleranten, gewalttätigen und rückwärts gerichteten Religion. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Eine Blütezeit des Islam war das Mittelalter vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Einflüsse aus eroberten Regionen und Ländern wie Griechenland, Andalusien, Ägypten und Byzanz führten zu einem anderen Islam, der mit Christen und Juden in Eintracht lebte, Wissenschaften, Philosophie und Medizin förderte. Die Muslimen standen im Austausch mit Europa, Karl der Große war ein Bewunderer der muslimischen Staaten. Diese Zeit endete mit dem Einfall der Mongolen und später der Kreuzfahrer. Der Islam kam unter Druck, verlor seine Machtposition und reagierte so, wie er es noch heute tut. Mit der Rückkehr zur Orthodoxie, dem Sehnen nach der besten Zeit aller Zeiten, der Zeit Mohameds. Bis heute hat es der Islam nicht mehr geschafft, diese Rückschritte einzuholen. Mit der Aufklärung, der Reformation und der industriellen Revolution kam er noch weiter ins Hintertreffen. Wo er noch heute steht. Hamed Abdel-Samad erzählt die Geschichte des Islam bis heute, warum der Islam zu keiner Reform fähig ist, ständig beleidigt, Rationalität und Vernunft ablehnt. Die Aufklärung, die in Europa die Moderne einleitete, hat in den islamischen Gesellschaften nie stattgefunden. Was auch am Kleben am Koran liegt, der nicht in seinem historischen Kontext, sondern immer wörtlich interpretiert wird. Abdel-Samad kritisiert, aber erklärt auch den Islam, warum er so geworden ist, wie er ist. Doch wir sind im 21. Jahrhundert, tausende Muslime flüchten nach Deutschland, der Islamismus wird als eine der großen Bedrohungen gesehen. Abdel-Samad liest dem Islam die Leviten, aber er tut das konstruktiv, konkret und zukunftsorientiert. Gleichzeitig warnt er den Westen vor dem Einknicken, warnt vor linksidentitärem in Schutz nehmen wie vor rechtspopulistischem Verteufeln. Am Ende seiner Geschichte zeigt für beide Seiten ganz greifbar auf, wohin der Weg nur gehen kann.
So schreibt Abdel-Samad als letzten Absatz:
Die Geschichte des Islam ist nicht nur mit der Europas verflochten, sie wird auch unsere Zukunft mitbestimmen. Die Frage ist nur, ob die Demokratie den Islam für ihre Vorzüge öffnen kann oder ob der Islam sie islamisieren wird. Welcher Teil des Islam wird die Oberhand gewinnen? Die rational-philosophischen Gedanken aus dem Mittelalter? Der mystische Sufismus? Oder der identitär-orthodoxe Scharia-Islam aus dem Mittelalter? Alle drei Richtungen sind längst in Europa angekommen. Wir brauchen einen neuen, zeitgemäßen Gründungsmythos für unser Zusammenleben. Einen Mythos, der zukunftsorientiert ist und sich nicht aus der konfliktbeladenen Vergangenheit speist. Einen Mythos, der von der Freiheit, nicht von der Angst inspiriert wird. Die Geschichte sollte uns dabei als Mentor dienen. Deshalb müssen wir wieder über den Islam, seine Geschichte und seine Gegenwart reden!
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