Wenn man möchte, kann man mit Büchern über die DDR, die Wiedervereinigung und die Jahre danach ein großes Billy-Regal 80 x 220 bestücken. Auch bei mir sind eine ganze Menge Bücher zu diesen Themen zusammen gekommen. Eines kann man sich allerdings abschminken: die eine Erkenntnis, warum es so gelaufen ist, was falsch war, warum der Osten noch heute so anders tickt als Lüdenscheid oder Freilassing. Und doch habe ich mir ein weiteres Buch der BPB zum Thema angetan. Dieses ist tatsächlich anders als viele andere Beiträge. Einmal stammt es aus der französischen Forschung, dann geht es anders vor, dazu sind die Schwerpunkte anders gelegt. Entstanden ist es über den Weg der „Oral History“ mehrerer Wissenschaftler, was mehr ist als nur mündliche Berichte über die Vergangenheit. Es ist eine andere Form der Interviewtechnik. 30 Menschen erzählten ihre Lebensgeschichte in der DDR und was im Nachhinein davon übrig blieb. In diesem Sinne ist «Die DDR nach der DDR» nicht die Sicht von oben, also von Staat, Politik und System nach unten, sondern aus dem Erleben von ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern nach oben. Damit ergeben sich andere Sichtweisen und Interpretationen, wird die Fokussierung der Betrachtungen auf den real existierenden Sozialismus anders gelegt. Am intensivsten werden auch nicht Wirtschaft und Politik betrachtet, sondern Kultur, Kunst, Privatleben, Alltagserfahrungen. Ich muss zugeben, öffnet das Buch doch noch neue Sichten und Sichtweisen auf die DDR. Und was von ihr übrig blieb. Und warum.

Agnès Arp/Élisa Goudin-SteinmannDie DDR nach der DDR


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Man sollte Wissenschaftlern, bevor sie Bücher schreiben, eine journalistische Grundausbildung verpassen. Sonst passiert nämlich das, was diesem Buch passiert: Zwei bzw. drei der fünf Kapitel des Buches sind für Leserinnen und Leser ohne den entsprechenden Hintergrund schlichtweg unverständlich. Das mag für Bücher auf dem freien Markt noch angehen, für Bücher in der Bundeszentrale für politische Bildung eher unangebracht. Dann zum Inhalt. Den Bedeutungsverlust der Sozialdemokratie kann man auf veränderte Gesellschaftsstrukturen zurückführen. Die klassische Zweiteilung in Arbeit und Kapital hat eben in einer Dienstleistungsgesellschaft kaum noch Berechtigung. Doch auch die konservativen Parteien, CDU/CSU, die Tories in Großbritannien oder die Democrazia Christiana in Italien haben Federn lassen müssen. Wenn sie nicht sogar auf Kleinparteien geschrumpft sind, wie in Frankreich. Wo doch gerade die Christdemokraten nicht nur in der Bundesrepublik viel dazu beigetragen haben, nach dem zweiten Weltkrieg einen liberalen und demokratischen Staat aufzubauen. Konservative Parteien sind auf dem absteigenden Ast, wenn auch in Deutschland nicht ganz so drastisch. Biebricher geht es zwar auch um die Union hier in der BRD, aber insgesamt um die Konservativen in Italien, Frankreich und Großbritannien, warum diese zum Teil in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht sind. Was Konservatismus eigentlich ist, beschreibt Biebricher schon in der Einleitung sehr plakativ: "Das Problem besteht darin, dass Konservative typischerweise nicht eigentlich das Bestehende zu verteidigen versuchen, wie es ihrem Selbstverständnis entspricht, sondern das Vergehende." Das klingt danach, dass es interessant werden könnte. Wird es aber nur zum Teil.
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Der Lebensborn, eine Einrichtung in der Nazi-Zeit, war mir aus verschiedenen Quellen schon geläufig. Aber wie es so ist, man kennt zwar einen Begriff, aber was dahinter steht, bleibt eher unklar. Was ich meinte, aber was der Lebensborn e. V. eben nicht war: So etwas wie eine arische Zuchtanstalt im Sinne des nationalsozialistischen Rassebegriffes. Der Lebensborn war eine Einrichtung von mehreren Häusern unter der Führung der SS, der Schutzstaffel. In deren Heimen brachten Frauen Kinder zur Welt, die entweder geheim gehalten werden sollten, deren Mütter unverheiratet waren oder die Väter nicht verfügbar. Untergetaucht, an der Front, bereits anderweitig verheiratet. Voraussetzung jedoch war, dass sowohl Mütter als auch Väter arisch, die Väter bevorzugt in der SS beteiligt oder anderweitig mit Beziehungen in der Politik. Waren Kinder behindert oder entsprachen nicht dem nationalsozialistischen Menschenbild, war der Heimaufenthalt zu Ende. Akzeptierte Kinder konnten auch an Pflegeeltern oder in die Adoption vermittelt werden. Dorothee Schmitz-Köster geht es jedoch primär nicht um die Lebensborn-Heime an sich, sondern um die Väter der Kinder. Wie bekamen die Väter die meistens unverheirateten Mütter in die Heime? Was waren die Motivationen und welche Typen von Vätern waren beteiligt? Welche Bürden tragen die ehemaligen Lebensborn-Kinder bis heute? So verschieden die Muster-Männer und Seitenspringer, flüchtenden Erzeuger und Ersatz-Väter auch waren, eins haben sie gemeinsam: Aus heutiger Sicht sind fast alle unbrauchbare Väter. Es spiegelt das Selbstbild der involvierten Väter, wie auch die rassistischen wie verlogenen NS-Geschlechterrollen. Dazu das Agieren einer Institution, deren kruder Utilitarismus den Interessen unterschiedlichster Männer entgegenkam.


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Als die Reisewelle die Fresswelle in den Siebzigern in Westdeutschland ablöste, galten die Deutschen als Reiseweltmeister. Das galt nicht nur für die Westdeutschen, sondern für die Ostdeutschen gleichermaßen. In den Achtzigern erreichte die Reiselust einen ersten Höhepunkt. Doch die Ostdeutschen reisten nicht weniger als die Westdeutschen, im Gegenteil, sie reisten eher mehr. Der Witz, der Reiseatlas der DDR sei das dünnste Buch der Welt, stimmt dabei ebenso wenig wie viele andere Stereotype der Wessis über die Ossis. Im Osten wurde nur anders gereist, die bevorzugten Reiseziele im Westen beschränkten sich zum großen Teil ja auch nur auf Österreich, Italien und Spanien. Während in den Achtzigern im Westen die kommerziellen Anbieter mit ihren Pauschalreisen das Reisen dominierten, waren im Osten der FDGB, die Betriebe, die FDJ und das ostdeutsche Reisebüro DER die wichtigsten Organisatoren für Reisen. Ostdeutsche mussten nicht auf Auslandsreisen verzichten. Beliebt waren besonders Ungarn und seine Hauptstadt Budapest, die einzige wirkliche Weltstadt des Ostblocks, mit westlichem Flair, internationalen Zeitungen und Schallplatten. Auch CSSR und Bulgarien standen als Ziele hoch im Kurs. Selbst Kuba, China oder Ägypten waren möglich, wenn man das nötige Budget zur Verfügung hatte. Doch der Individualtourismus blieb in der DDR immer wichtiger als FDGB-Reisen mit "Rotlichtbestrahlung". Wie man die ständige Indoktrination mit Plakaten und Vorträgen in der DDR nannte. Deshalb war Camping geschätzt, wenn auch nicht so problemlos möglich wie im Westen. Überhaupt stimmte das Bild im Westen vom Urlaub der Ostdeutschen wenig bis gar nicht. Die verbrachten eben nicht ihre paar Urlaubstage in ihren Datschen.


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