Ulrich Herbert: Das Dritte Reich

Da ich gerade einmal in diesem Thema bin, kann ich mir das nächste Buch gleich noch vornehmen. Nach Andreas Wirschings Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts der Fokus nun auf die Zeit von 1933 bis 1945. Wobei ich mich mittlerweile immer mehr auf Geschichte konzentriere, weil sie erstaunlich viel Verständnis für die Gegenwart schafft. Eine Parallele zu Wirschings Buch bei Herbert ist die, dass auch er im Vorwort ausdrücklich erklärt, dass sein Buch keine detaillierte Darstellung ist. Es sollen die historischen Linien und Abläufe heraus gestellt werden, wie geschichtliche und politische Fäden aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu zwangsläufig in das Dritte Reich führten. Doch das streift Herbert nur am Anfang, bevor es in die tatsächliche Zeit vor und im Zweiten Weltkrieg geht. So lässt sich das Buch in zwei wesentliche Teile gliedern. Einmal den Weg aus der Weimarer Republik in die Nazidiktatur und ihre Methoden, danach die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Wobei die Kriegszeit eindeutig den größeren Umfang beansprucht. Das wieder im Taschenbuchformat, für kleines Geld bei der BPB. Nun halte ich mich selbst für sowohl interessiert in als auch gut informiert über die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Doch ich muss gestehen, dass in diesem – Verzeihung – Büchlein doch eine Menge mehr steckt als zuvor erwartet. Herbert schafft es, wirklich nur die historischen Linien heraus zu arbeiten, für ein überschauendes, doch trotzdem dichtes Bild zu sorgen.

Ulrich HerbertDas Dritte Reich

Im Vergleich zu Wirschings Buch ist dieses von Ulrich Herbert deutlich weniger wissenschaftlich orientiert. Die Sprache ist einfacher, das Zielpublikum sind Alltagsleser oder Schüler oder einfach Leute, die mehr als das Gängige wissen wollen. Was Herbert dabei sehr gut schafft, ist, an den entscheidenden Stellen dann doch tief genug in Einzelheiten zu gehen, um das Verständnis für die weiteren Entwicklungen zu fördern. So kommt er eben nicht um die letzten Jahre zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik herum. Das zweite Kapitel beschreibt die Zeit von der Machtergreifung bis zum Kriegsbeginn. Dabei werden schon hier viele Stereotypen zerlegt. Hitler und die NSDAP waren eben nicht wie Zauberer für die wirtschaftliche Erholung in den Dreißigern verantwortlich, sondern die Weltwirtschaft erholte sich fast überall in Europa, nach der Wirtschaftskrise. Auch die ganzen Phantasien um Autobahnbau und Vollbeschäftigung zeigen sich bei näherer Betrachtung als Mär. Was ab 1935 passierte, war die brutale Umstellung der deutschen Industrie auf den zukünftigen Krieg. Es hatten deshalb wieder so viele Menschen Arbeit, weil Deutschland für den Krieg hochgerüstet wurde. Auch die Motivationen Hitlers und der NSDAP für den nächsten Krieg arbeitet Herbert schön heraus. Dass der Krieg schon 1939 begann, war dann so nicht geplant.

Im nächsten Kapitel mit Beginn des Krieges entlarvt Herbert weiter Behauptungen, die immer noch gerne kolportiert werden. So zeigt er an Daten und Zahlen, dass die Wehrmacht keineswegs so unschuldig und unbeteiligt an den Gräuel und Verbrechen in Polen und der Sowjetunion war. Überhaupt erschreckt die Grausamkeit und Brutalität, die sich Deutsche bis zum Ende des Krieges besonders in Osteuropa geleistet haben. Das Grauen des Krieges wird nicht ausgeschlachtet, als Effekt, sondern zeigt sich in einer Sammlung nüchterner Zahlen. Über verhungerte Menschen in der Sowjetunion, ermordete Behinderte in Deutschland und sinnlose Erschießungen polnischer Politiker und Intellektueller. So wird zum Teil verständlich, warum die Rote Armee mit solcher Wut in Deutschland einfiel. Was dabei jedoch auch sichtbar wird, ist der ungeplante Lauf der Dinge. Die Nazis waren nicht sehr oft auf das vorbereitet, was sie auslösten. Auch der Weltkrieg als solcher war nicht geplant, sondern beruhte auf einem gehörigen Schuss Dilettantismus Hitlers und seiner Schergen.

Herberts Darstellung dieser Zeit in Deutschland und Europa sorgt für einige Aha-Erlebnisse, was es interessant und, wenn auch etwas unpassend zum Thema, unterhaltsam. Es macht den Zeitstrahl über den Zweiten Weltkrieg sehr deutlich, man hat am Ende des Buches einen wesentlich besseren Überblick. Nicht nur über das Wann und Wie, sondern man bekommt eine Einsicht in das Warum. Kritische Diskussion scheut der Autor nicht. Zum Beispiel wenn er schreibt, dass die Bombardierungen deutscher Städte in diesem Maße weder sinnvoll noch vertretbar, im Grunde sogar kontraproduktiv waren. Eins belegt er jedoch eindrücklich, dass es als Verursacher der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts nur einen Verursacher gab. Und der saß in der Berliner Reichskanzelei.

Von 1971 bis 1975 studierte Ulrich Herbert Geschichte, Volkskunde und Germanistik an der Universität Freiburg. […] 1985 wurde er mit einer Arbeit über „Fremdarbeiter“ im „Dritten Reich“ promoviert. Dieses Buch wurde schnell zur Grundlage der öffentlichen Diskussion über die Geschichte der Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und deren ausgebliebene Entschädigung. 1987 bis 1988 ging er als Research Fellow an das Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv. […] Von 1992 bis 1995 war Herbert Direktor der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg, wo er Anstoßgeber und Förderer für Arbeiten von Karin Orth und Michael Wildt wurde. Danach wechselte er auf den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg, dem er bis 2019 treu blieb. […] Von 2000 bis 2008 leitete Herbert zusammen mit Rüdiger vom Bruch eine Forschergruppe, die im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft deren Geschichte von 1920 bis 1970 untersucht. Das Vorhaben umfasste 19 Einzelprojekte, bis 2010 sind elf Bände über die Geschichte der DFG erschienen. […] Von 2001 bis 2007 war Herbert Mitglied des Wissenschaftsrats und leitete dort von 2005 bis 2007 die Arbeitsgruppe „Geisteswissenschaften“, deren „Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland“ die Diskussion über die Lage dieser Fächergruppe nachhaltig bestimmt hat. Herbert engagierte sich dabei auch gegen die so genannte 12-Jahres-Befristung, die wissenschaftlichen Mitarbeitern an Hochschulen, die nur befristet beschäftigt waren, nach 12 Jahren eine Weiterbeschäftigung untersagte. Das Gesetz wurde inzwischen geändert. Von 2007 bis 2013 leitete er an der Universität Freiburg zusammen mit Jörn Leonhard die School of History des „Freiburg Institute for Advanced Studies“ (FRIAS), das im Rahmen der Exzellenzinitiative gegründet wurde. 1999 erhielt Herbert den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, eine der bedeutendsten deutschen Auszeichnungen für Wissenschaftler. 2014 erhielt er den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie „Sachbuch“ für sein Buch Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2018 den Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft.

Dieser Text basiert auf dem Artikel Ulrich Herbert aus der freien  Enzyklopädie Wikipedia  und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

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