Es gibt ein Leben ohne Facebook

Es war 1987, als ich meine erste Email-Adresse bekam, sie war nur im Büro verfügbar, und auch nur über einen bestimmten Rechner. Das war eine Targon /35. Sie lautete boettchers.pad@nixdorf.com und hatte auch nur im Umfeld meines Jobs einen Sinn. Nämlich sich mit Kunden und Kollegen weltweit auszutauschen. In dieser Zeit eine Email-Adresse zu haben, machte mich zu einem Mitglied in einem erlauchten Kreis. Es gab keine Milliarden von Email-Adressen damals, vielleicht einige Hundertausende. Auch alle anderen Teilnehmer in diesem frühen Internet waren Ingenieure, Wissenschaftler, vielleicht noch einige Journalisten oder Lehrende. Kommuniziert wurde über Emails oder die Newsgroups. Letztere kennt heute fast niemand mehr, bis zum World Wide Web sollte es noch gut zehn Jahre dauern. Und noch länger bis zum Geschäftsmodell Facebook, das ich nicht mehr länger unterstützen wollte. Nicht wegen Zuckerberg, sondern aus anderen Gründen.

Wie die kleine Schar der Internet-User strukturiert war, so war der Ton untereinander gehalten. Zu 90% gepflegter und nüchterner Austausch über Technik und Wissenschaft, zu 5% über persönliche oder berufliche Krisen, die restlichen 5% hitzige Diskussionen. Aber es wurde so gut wie nie persönlich, schon gar nicht beleidigend oder grob. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich in 1997 zum ersten Mal den Netscape Navigator auf meinem PC installiert, ebenso im Büro. Man musste die URL, die Adresse der Seiten, direkt eingeben, Suchmaschinen wie A9 kamen erst einige Jahre später. Google noch viel später. Die Kommunikation verlief immer noch über Mailing-Listen und die Newsgroups. Dann erst entstanden die ersten Foren. Wie das Gentle Giant-Forum oder das Musiker-Forum von Gitarre&Bass. So weit die Vorgeschichte.

Facebook habe ich am Anfang nicht ernst genommen. Das schien wie eine Spielerei, die schnell wieder untergeht. Twitter war mir mit seinen 140 Zeichen zu beschränkt. Und doch richtete ich irgendwann einen Facebook-Account ein. Wie viele andere Leute auch. Nicht als persönliches Bedürfnis, sondern weil es alle taten. Wann dann die Sache aus dem Lot geriet, kann ich nicht mehr definitiv sagen, ich schätze, es war so in 2012 oder 2013. Da begann es mit den ersten Hass-Beiträgen in Foren oder bei Facebook. Ich für meinen Teil denke, dass Thilo Sarrazin nicht unschuldig ist an der Welle, die da los getreten wurde. Bei ihm begann es mit dem Hass auf Muslime und Migranten, plötzlich sank angeblich der IQ-Durchschnitt in Deutschland durch die Einwanderer und man hetzte gegen „Kopftuchmädchen“. Wie es heute aussieht, brauche ich nicht mehr zu schildern. Da war es in 2012 noch beinahe harmlos.

Der heutige Zustand in den sozialen Medien hat sich in 2016  ausgebildet. Seitdem ist es nicht mehr möglich, dem Hass und der Hetze zu entgehen. Weil Rechtspopulisten und Neunazis selbst in Themen wie Musik oder Kunst ihren Müll verbreiten, sich in Versalien auskotzen und jeder beschimpft wird, der nicht einstimmt in den Chor. Was mich daran so störte, war nicht die andere Meinung oder die andere Sicht der Welt. Es war die unglaubliche Dummheit, Menschenverachtung und Ignoranz. Konnte man dem erst noch entgehen, indem man verdächtige Threads ignorierte, weht einem inzwischen der braune Wind an Stellen entgegen, wo man ihn nicht erwartet. Natürlich gab es Widerspruch und Versachlichung von anderen Leuten, aber es waren nur verzweifelte Versuche, dem braunen Mob entgegen zu treten. Es sah mir am Ende danach aus, als wenn Intelligenz, Witz und Vernunft gegen all das Gebrülle keine Chance hatten. Weil das Brutale sich gegen das Ausgleichende durchsetzt.

Für mich war im März 2018 das Limit erreicht, als sich in den Kommentaren zu einem Facebook-Post über vegane Ernährung (sic!) die Kommentare des Pöbells ausbreiteten. In diesem Moment beschloss ich, meinen Facebook-Account zu löschen. Ok, sagen wir: offline setzen. Mein alter Freund in Paderborn hielt stramm dagegen, lieferte Fakten und Quellen, wobei ich ihn immer wieder um seine Standhaftigkeit beneide. Ich für meinen Teil sehe mich nicht dafür verantwortlich, die Welt zu retten. Ich werde das auch nicht schaffen, obwohl ich mit denen übereinstimme, die sagen, dass man diese Leute nicht ignorieren kann. Sondern nur bekämpfen. Doch da entsteht der Teufelskreis, in den ich nicht geraten möchte.

Es ist jedoch nicht der einzige Grund, mich aus den sozialen Medien zurück zu ziehen. Ich stellte bei mir selbst fest, dass ich zunehmend häufiger bei Facebook landete. Dass ich meine persönliche Umgebung und mein persönliches Leben einer Welt öffnete, die mit mir nur wenig zu tun hat. Ich merkte, dass es mir geradezu wichtig wurde, bei Facebook zu sein. Ich schrieb und veröffentlichte Dinge, die in diesen Medien nichts zu suchen haben. Vielleicht liegt es bei mir daran, dass ich mit diesen Medien schon so lange vertraut bin, im wahrsten Sinne mit Technik seit meinem zehnten, mit Computern seit meinem siebzehnten Lebensjahr aufgewachsen. Mir fiel auf, dass sich die synthetische/virtuelle Welt dort draußen = Internet mit meinem ganz privaten Leben vermischte. Ich begann zu verstehen, warum die Kiddies nicht mehr in der Lage sind, mal drei Minuten nicht mehr aufs Handy zu starren, nach einer halben Stunde Entzugserscheinungen aufweisen.

Ich kann dem Internet nicht entgehen, es ist mein Job, auf Spiegel Online will ich nicht verzichten. Auch nicht auf den STERN Online. Ich werde weiter meine Musik online bei JPC kaufen, bei ZOOplus Katzenfutter bestellen. Ich kann noch nicht einmal Facebook entgehen, weil ich unseren Firmenauftritt dort betreue. Aber darüber hinaus wird von mir wenig dort kommen. Kann sein, dass ich da einem rein persönlichen Problem entgegen trete. Aber seitdem ich Facebook nicht mehr privat sehe, geht es mir schon deutlich besser. 🙂

0 Kommentare
  1. Peter
    Peter sagte:

    Absolut deiner Meinung. Ich nutze Facebook seit fast 4 Jahren nicht mehr und ich bin immer noch glücklich über die zurückgewonnene Zeit!

    Sehr schöner Artikel.

    Gruß
    Peter

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