Bauer/Gigerenzer/Krämer/Schüller: Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich
Statistisch ist jeder fünfte Mensch ein Chinese. Oder eine Chinesin. Beim Abzählen an der nächsten Kaffeetafel der Familienfeier stellt sich also heraus, dass Onkel Karl Chinese ist. Alter Kalauer. Jetzt mal im Ernst. Wenn ein namhaftes Magazin meldet, dass ein neues Mammographieverfahren die Zahl erkannten Brusttumore um 50% steigert, klingt das doch toll. Werden also bei 1.000 Frauen statt zwei Tumore dann drei Tumore erkannt, sind das 50% mehr. Der relative Wert ist also viel beeindruckender als der absolute Wert, der Eins beträgt. Aber man hat eine tolle Schlagzeile. Deshalb benutzen Medien eben gerne relative Werte statt absolute, die reinen Zahlen. Umweltverbände sagen, dass in Deutschland 15.000 Menschen im Jahr durch zu viel Feinstaub sterben. Woher kommt diese Zahl? Die Todesursache Feinstaub habe ich noch nie gesehen. Naturschützer wollen Windkraftanlagen verhindern, weil die 100.000 Vögel im Jahr „schreddern“. Nicht töten oder verletzen, sondern „schreddern“. Klingt doch viel grausamer. Aber woher haben die wieder diese Zahl? Aus eigener Beobachtung weiß ich, dass Amseln, Meisen oder Spatzen gar nicht in dieser Höhe fliegen, in der der Rotor selbst bei starkem Wind sechs oder sieben Sekunden für eine Umdrehung braucht. Läuft da jemand durch die Gegend und zählt tote Vögel unter Windrädern? Oder werden da Statistiken erzeugt, die entweder zusammen phantasiert oder mit aberwitzigen Rechenkunststückchen die Aufmerksamkeit steigern? Die Autoren haben deshalb nun nach ihrem ersten Buch noch einmal nachgelegt. Es geht um Mathematik und Statistik, obwohl der Titel des Buches den entsprechenden Ernst vermissen lässt.
An nahezu jedem Tag, den der Herrgott werden lässt, überbieten sich Medien, sei es Online oder Print, mit Zahlen zu Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft. Leider sind diese Zahlen, gerne als Statistiken bezeichnet, entweder völlig hanebüchen, erfunden oder verzerrt. Oder sie verbreiten Prognosen, die besagen, dass Smartphones das Gehirn schädigen oder dass Veganismus vor Corona schützt. Zwar gibt es an solchen Aussagen oft ein Körnchen Wahrheit. Aber was dann in der Zeitung oder im Facebook-Post steht, hat mit den eigentlichen Aussagen höchstens noch am Rande zu tun. Doch nicht nur Zahlen in Medien führen teils beabsichtigt in die Irre, auch bebilderte Darstellungen von Zahlen sind nicht selten ziemlicher Blödsinn. Da beginnen Balkendiagramme auf der Y-Achse nicht bei Null, so dass Veränderungen ihrer Höhe ganz anders aussehen als die absoluten Werte. Als Steigerung werden zwei Kurven übereinander gelegt, die eine mit der Y-Achse links, die andere rechts. So kann man dann der Leserin oder dem Leser weismachen, dass immer weniger Krankenhäuser immer mehr alte Menschen versorgen müssen. Indem man die eine Kurve dehnt, die andere nicht. Sind das Gebäude oder Einrichtungen? Hier in Paderborn wurden drei Krankenhäuser organisatorisch zusammen gelegt, sind das weniger Krankenhäuser? Es wird gefälscht und getrickst, dass sich die Balken biegen. Also die Balkendiagramme. Nun können dahinter zwei Ursachen stehen. Die erste Ursache ist absichtliches Täuschen über die Wahrheit. Das ist besonders in sozialen Medien der wichtige Grund. Genau so kann es sein, dass Journalisten und auch Politiker nicht die geringste Ahnung von Mathematik und Statistik haben. Beides ist der Demokratie wenig förderlich, wenn es zum Beispiel um Corona oder Migration geht. Ach ja, Corona und die Übersterblichkeit. Faszinierend, wenn drei Institutionen ganz verschiedene Werte darüber angeben und dann noch darüber gestritten wird, ob Opa mit oder an Corona gestorben ist. In beinahe all diesen Fällen stellt man sich als erste immer die Frage, auf welche Basisrate sich die Angaben beziehen. Ob Corona-Tote in den USA oder in Bayern, ob im Krankenhaus oder überall.
Dieses Buch hat einen Vorläufer mit dem Titel «Warum dick nicht doof macht und warum Genmais nicht tötet». Ziele des Buches sind wie sein Vorgänger zuerst, grundlegende Fähigkeiten zu vermitteln, wie man Statistiken interpretiert und somit bewertet. Es soll auch klar machen, wie diese Statistiken erzeugt und verwendet werden. Nicht zuletzt stehen hinter vielen Schlagzeilen, Statistiken und Balkendiagrammen Menschen, die im Grunde selbst nicht verstehen, was sie da von sich geben. Oder weil sie ihre eigene Meinung mit größter Selbstsicherheit für unfehlbar halten. Wie Gottlieb Daimler, der 1901 meinte, die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen würde eine Million nicht übersteigen, weil es nicht genug Chauffeure gäbe. Oder wie der IBM-Chef Thomas J. Watson in 1943, der den weltweiten Bedarf an Computern in der Zukunft auf maximal fünf dieser Maschinen schätzte. Das Buch soll, wie schon das erste der Autoren, Menschen vor fragwürdigen bis falschen Zahlen und Daten schützen, indem grundlegende Begriffe der Statistik vermittelt werden. Doch es wird eben nicht kompliziert, sondern es geht darum, eigentlich selbstverständliche Fragen zu Statistiken zu stellen. Nämlich worauf sich die Zahlen beziehen, woher sie kommen, wo der Trick liegt, um der Aufmerksamkeits-Ökonomie gerecht zu werden. Man braucht wirklich keine großartigen Kenntnisse in Mathematik, um den vier Autoren zu folgen. Nur etwas Humor. Denn bierernst bringen die Vier das Thema zum Glück eben nicht rüber. Aber vor Aha-Erlebnissen wird gewarnt, davon serviert das Buch nämlich reichlich. Und wer davon noch nicht genug hat, besucht die Website Unstatistik.de, auf der die Autoren die schlimmsten Statistikverbrechen sammeln.
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