Sebastian Pittelkow/Katja Riedel: Rechts Unten

Wofür die «Alternative für Deutschland», die AfD, im deutschen Parteienspektrum steht, ist einfach und zugleich schwer zu beantworten. Entstanden ist sie 2013 in Oberursel als Euro-kritische, liberalkonservative Partei, bis sie wenig später von Rechtspopulisten übernommen wurde. Die bisherigen Größen der Partei, wie Bernd Lucke, wurden entmachtet und aus der Partei gedrängt. Der verbliebene Vorstand mit Frauke Petri und Alexander Gauland steuerte die Partei bis ganz weit nach rechts. Ihren großen Auftritt hatte die AfD dann mit dem Einsetzen der Flüchtlingswelle in 2015, als sie sich an die Spitze der Flüchtlingsgegner, Islam-Hasser  und angeblichen Retter Deutschlands setzte. Seit dem Abebben der Migration nach Europa kämpft sie darum, sich einen Sinn und eine Bedeutung zu geben. Zum Beispiel durch Anbiederung an Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Das, was anstatt politischem Wirken bis heute übrig blieb, sind interne Grabenkämpfe, noch immer nicht ganz aufgeklärte Spendenskandale, dazu rechtsextreme, fremdenfeindliche oder schlicht peinliche Auftritte im Bundestag und in den Ländern. Sieben Jahre lang haben Sebastian Pittelkow und Katja Riedel zusammen mit Kolleginnen und Kollegen das Treiben der AfD verfolgt. Und dabei erstaunliche wie verstörende Aktivitäten der Rechtextremen ans Licht gebracht. Wie die «Quasselgruppe», merkwürdige Spenden von deutschen und schweizerischen Milliardären sowie befremdliche Kontakte nach Russland. Wenn man über den Alltag hinausgehende Informationen über diese Partei, die eigentlich keine ist, erfahren möchte, liegt man mit diesem Buch goldrichtig.

Das Primat der Politik besteht, nach landläufiger Auffassung, eben darin, unterschiedliche Interessen und Ansprüche zwischen vielen Seiten zu klären und hoffentlich zu einem Kompromiss zu kommen. Hier beginnt das Problem der AfD. Zwar hatte die Partei in ihren Anfängen, mit ihren Gründern Bernd Lucke und Konrad Adam, eine solche politische Ausrichtung, dann später jedoch unter Alice Weidel und Alexander Gauland mutierte die AfD zu eine Dagegen-Partei ohne wirklichen Willen zu konstruktivem Wirken. Spätestens mit dem Austritt des Mitgründers Jörg Meuthen übernahmen die Rechtsextremen wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz das Ruder. Inzwischen wird die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Unfähigkeit zur Kooperation resultiert daraus, dass die Partei keine Sammlung von Menschen mit politischen Zielen sei, so Pittelkow und Riedel, sondern ein Selbstbedienungsverein von gescheiterten Existenzen. Die AfD ist mit ihren internen Grabenkämpfen und ihrem Postengeschacher ausgelastet. Doch das Buch geht weiter. Vor der Bundestagswahl 2017 kam ans Licht, dass die AfD und speziell Alice Weidel Unsummen aus dubiosen Quellen erhalten hatten. Ein unscharfer Förderungsverein investierte riesige Summen für Wahlplakate und Internet-Auftritte. Mit jedem weiteren Jahr bewegte sich die Partei noch weiter nach rechts, unterstützt gerade aus dem Großkapital, wo doch die AfD angeblich die Partei der kleinen Leute sein wollte. Es sei fraglich, so Autorin und Autor, wer tatsächlich die AfD steuert. Und je tiefer sie mit ihren Recherchen voran kommen, desto mehr Fragen treten auf. Bis hin zu den Verstrickungen mit und Verbindungen nach Moskau, wo nicht wenige AfD-Leute gern gesehen und gefördert wurden.

Sebastian Pittelkow und Katja Riedel schildern ihre Recherchen quer durch Europa und was sie über die AfD, ihre geheimen Förderer und versteckten Antreiber heraus gefunden haben. Es geht dabei nicht um Vermutungen oder Meinungen, sondern um belegte Fakten, Kontoauszüge und geleakten Mail-Verkehr, seltsame öffentliche Stellungnahmen von AfD-Leuten, 40.000 Posts in der internen «Quasselgruppe», Männer mit viel Geld und konkreten Namen, die die AfD für ihre eigenen Zwecke nutzten. Vieles mussten Pittelkow und Riedel gar nicht selbst heraus finden, eine stattliche Zahl an Informanten aus der Partei selbst gaben ihnen oft Hinweise oder offenbarten Querbeziehungen. Aus Rachsucht, um anderen Leuten in der Partei zu schaden oder sich selbst nach vorne zu bringen. Heraus gekommen ist ein Buch, das sich überwiegend wie ein Krimi liest, wenn es nicht so erschreckend wäre, dass es nicht um Fiktion geht, sondern um eine reale politische Partei, die nun schon viele Jahre in unseren Parlamenten sitzt.  Die Recherche-Ergebnisse der insgesamt vielen Journalistinnen und Journalisten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind schlichtweg erschreckend. Noch erschreckender fast, dass diese Vorgänge wohl bis zu 25% der Einwohner der neuen Bundesländer und 13% der Westdeutschen nicht interessieren. In jedem Fall liefert das Buch einen detaillierten und auch faszinierenden Einblick in diese Partei. Wenn man sie nach Lektüre dieses Buches noch kaum so nennen mag. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass wir Medien wie NDR, WDR, ARD und Zeitungen heute dringender denn je brauchen. Von wegen Lügenpresse.

Sebastian Pittelkow (* geboren 1982 in Dresden) arbeitet als investigativer Journalist für NDR und die ARD, gehört zur Recherche-Kooperation von NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung». Studiert hat er Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig, danach war er Reporter beim MDR. Schon seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der AfD und dem Osten Deutschlands. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Katja Riedel (* 1979 in Rotenburg a. d. Fulda) arbeitet ebenso als investigative Journalistin, gehört ebenso zur Recherche-Kooperation von NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung». Nach Studium in Leipzig, Gießen und München besuchte sie die Deutsche Journalistenschule in München, danach war sie Redakteurin bei der «Süddeutschen Zeitung» bis 2016. Sie wechselte ins Berliner Büro des Investigativresorts des WDR. Ihre Arbeiten wurden ebenfalls mehrfach ausgezeichnet.

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