Lukas Haffert: Stadt Land Frust

Es gibt Fragen, auf die ich selbst nie kommen würde. Zum Beispiel die, ob die Menschen in den Städten und auf dem Land ihre Kreuzchen auf den Wahlzetteln an verschiedenen Stellen machen und warum. Spoiler alert: Es ist tatsächlich so. Nun wohne ich selbst auf dem Dorf, wenn auch in der Nähe zu einer Mittelstadt mit 130.000 Einwohnern. Aber wie viel Dorf ist mein Dorf eigentlich? Verglichen mit einem Dorf im Wendland, in der Lausitz oder im Bayrischen Wald ist unser Dorf recht bunt und gut ausgestattet. Ostwestfalen gehört sicher nicht zu den abgehängten Regionen, hier regiert vor allen Dingen die mittelständische Industrie. Vor meiner Haustür liegt Glasfaser, die drei Buslinien nach Paderborn, Büren und Salzkotten fahren im Stundentakt. Doch die landläufige Vorstellung von Land und Dorf ist anders. Und Dorf und Stadt sind unterschiedlich, in ihrem ökonomischen, kulturellen und politischen Selbstverständnis. Das war in den ersten drei Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg anders. Die Wahlergebnisse von CDU/CSU und SPD waren in Städten und Dörfern ähnlich hoch, beide Parteien waren noch Volksparteien. Inzwischen kränkelt selbst die CSU in den ländlichen Gebieten. In Sachsen eine ähnliche Entwicklung.  Es gab aber vor den Achtzigern auch keine Grünen und keine AfD. Aber nicht nur das hat sich verändert. Auf dem Land gibt es kaum noch akzeptable Jobs, kaum noch Einkaufsmöglichkeiten. Die Städte, die urbanen Zentren, gelten deshalb als hip und anziehend. Die Gründe liegen nicht nur, aber zum Hauptteil in der Veränderung unserer Ökonomie und gesellschaftlichen Struktur. Wissensarbeiter und Kreative sind die neuen Helden, sie zieht es in die Städte, nicht aufs Land. Produziert wird nun in Asien oder Billiglohnländern. So verändert sich die Balance zwischen den beiden Polen, mit weitreichenden sozialen und politischen Auswirkungen.

Deutschlandfunk KulturDer Konflikt zwischen Stadt und Land wächst

Betrachtet man nun einmal tiefer gehende Analysen des Wählerverhaltens und des politischen Spektrums in den letzten Jahren, bekommt man erstaunliche Ergebnisse. Die etwas verblüffend sind. Die Grünen haben ihre Hochburgen in den großen Städten, je näher am Stadtzentrum, desto höher die Ergebnisse. Dazu sind die wichtigen Universitätsstädte oft in grüner Hand, wie Göttingen oder Freiburg. Die AfD erzielt ihre Erfolge seit 2015 immer mehr in den Randbereichen der Städte, nicht in den Speckgürteln, sondern dort, wo die ökonomisch nicht so Erfolgreichen wohnen. Oder gleich in ländlichen Gebieten, je weiter ab vom urbanen Treiben, desto besser. SPD und CDU/CSU, früher nach dem alten Rechts/Links-Schema Vertreter der Arbeiter oder des Bürgertums, verlieren besonders auf dem Land immer weiter Anteile. Nur die FDP kann sich weder so recht auf dem Dorf noch in der Stadt verorten. Je stärker die Unterschiede, Hamburg hier, Dorf in Mecklenburg dort, desto stärker ausdifferenziert sind die politischen Schwerpunkte, dadurch auch die soziale Orientierung. Es gibt also neben der ökonomischen Grenzziehung zwischen Stadt und Land inzwischen eine zusätzliche politische und eine kulturelle. Was im Vergleich zu den Sechzigern und Siebzigern so deutlich nicht der Fall war. Urbane Bewohner sind nicht multikultureller, toleranter und offener, weil sie in den großen Metropolen wohnen. Sondern weil es solche Menschen mit hoher Bildung und gesellschaftlicher Offenheit in die Städte zieht. Doch je stärker die Unterschiede, desto größer das gegenseitige Unverständnis. Zum Ende zeigt Haffert das Extrem in dieser Geschichte. Erst seit den Nullerjahren hat Deutschland wieder eine Hauptstadt, die eine Metropole ist. Von dort regiert die Politik ein ganzes Land. Doch Berlin ist anders als Paris oder London.  Am Beispiel Berlin wird gezeigt, wie extrem der Unterschied zwischen Stadt und Land sein kann. Welche Fragen wird die weitere Entwicklung relevant werden, um das Land nicht weiter dem Frust auszuliefern.

Hafferts Herangehen an das Thema kommt von der wissenschaftlichen und politischen Seite. Kommt deshalb nicht ohne Statistiken und reichlich Zahlen aus. Doch ist das Buch keine dröge wissenschaftliche Abhandlung, sondern bietet erstaunliche, interessante und verblüffende Erkenntnisse. Für mich hat es eine wesentlich detaillierte Sicht auf die Unterschiede zwischen Stadt und Dorf gebracht. Schon deshalb, weil die gezeigten Statistiken in den üblichen Medien so nicht zu sehen sind. Obwohl Haffert an anderer Stelle vorgeworfen wird, er bilde mit seinem Buch alte Vorurteile ab, kann ich das so nicht bestätigen. Haffert geht nicht von dem einen Dorf und der einen Stadt aus, Hamburg, Berlin, München oder Stuttgart sind immer noch unterschiedlich betrachtet, weil in ihrer Historie jeweils unterschiedlichen Entwicklungen unterworfen. Stattdessen versteht man am Ende, warum Städte und Dörfer inzwischen so unterschiedlich ticken. Nämlich aus einem umfassenden Wandel in unserer Wirtschaft und einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft. Schön, dass es Bücher gibt, die neue Sichten und neue Fragen aufwerfen. Ohne viel Fachkauderwelsch und Fremdwortkaskaden. Dazu bestätigt Haffert noch einmal, dass man für ein interessantes und lesenswertes Buch keinen dicken Schmöker in die Welt bringen muss.

Lukas Haffert (* 1988) ist Oberassistent am Lehrstuhl für Schweizer Politik und Vergleichende politische Ökonomie. Von 2010 bis 2014 promovierte er bei Wolfgang Streeck am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und verbrachte Forschungsaufenthalte an der Georgetown University und beim Internationalen Währungsfonds in Washington, D.C.. Nach dem Abschluss der Promotion war er für ein Jahr Max-Weber-Fellow am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Münster und St. Gallen. Seine Dissertation über die politische Ökonomie von Haushaltsüberschüssen wurde mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft und dem deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet. Seine Forschungsschwerpunkte sind Politische Ökonomie, Fiskalpolitik, vergleichende Politikwissenschaft und historischer Institutionalismus. (Aus seiner Vita an der UZH)

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