Volker Ullrich: Acht Tage im Mai
Dass Geschichte mehr ist als das sture Auswendiglernen von Zahlen und Fakten in der Schule, habe ich zum ersten Mal mit Golo Manns Buch Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts erlebt. Nicht ganz so umfangreich, aber ähnlich faszinierend ist Volker Ullrichs Buch Acht Tage im Mai. Gebürtig aus Celle, nur einige Kilometer von meinem Schreibtisch entfernt, studierte er Geschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie und Pädagogik an der Universität Hamburg, arbeitete von 1966 bis 1969 am Historischen Seminar. Von 1990 bis 2009 leitete Ullrich das Ressort „Politisches Buch“ bei der Wochenzeitung Die Zeit. Ist als Rezensent für viele Medien tätig, verfasst er auch öfters das Kalenderblatt des Deutschlandfunks. Inzwischen Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Also auf jeden Fall profunder Historiker, dem das Thema Drittes Reich und Hitlerdiktatur nahe liegt. In diesem Buch geht es konkret um die Zeit vom 1. bis zum 8. Mai 1945, als die geplanten tausend Jahre eines Reiches schon nach zwölfen wieder endeten. Aber wie spannt man mit acht Tagen eine nicht gerade schmale Geschichte auf? Indem man jeden dieser Tage in Relation zu der Vorschichte und den Konsequenzen setzt. Und das macht den Reiz dieses Buches aus.
Man kann geschichtliche Betrachtungen sehr unterschiedlich betreiben. Oft geht eine Interpretation oder Deutung damit einher, nicht selten geprägt von der politischen Orientierung des Autors. Ullrich tut das genau nicht. Er dokumentiert, was an dem jeweiligen Tag an historischen Ereignissen geschah und wer wie beteiligt war. Nach diesem jeweils ersten Schritt folgt dann die Vorschichte der Ereignisse und ihre Auswirkungen in ihrer Zeit und in der Zeit danach. Mit diesem Prinzip füllt sich die Geschichte eben mit weitreichender Bedeutung und bestätigt wiederum, dass für ein nur ansatzweises Verstehen der Gegenwart immer die Vergangenheit hinzugezogen werden sollte. Trotz der Tatsache, dass Ullrich immer nur dokumentiert, niemals bewertet oder deutet, entsteht für den Leser ein eigenes Bild, die Geschehnisse vor und kurz nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches bekommen Gestalt. Dabei bleibt Ullrich sachlich, indem er genau so die Verbrechen und Vergehen der alliierten Kräfte nennt, ohne Bewertung, Entschuldigung oder Begründung. Weil es in einem Krieg kein Weiß und kein Schwarz gibt. Entgegen dieser manchmal beinahe erschreckenden Sachlichkeit ist das Buch tatsächlich mehr ein Thriller als eine Tatsachenbeschreibung.
So tauchen dann auch viele Namen auf, die mir als Jahrgang 1956 noch sehr geläufig sind. Kurt Schumacher, Annemarie Renger, Willy Brandt, selbst Marlene Dietrich, die damals amerikanische Truppenbetreuerin war und in Bergen-Belsen ihre Schwester wiederfand. Nicht als KZ-Insassin, sondern als Kino-Betreiberin. Diese Versatzstücke aus vielen Leben, einschließlich Anne Frank, stellen die Daten und Fakten in eine Szene aus realen Personen und nehmen dem Text ein wenig die Nüchternheit. Sie machen deutlich, wie und warum viele Namen in diesen Tagen eine mal große, mal nebenläufige Rolle spielten. Aus dieser Sicht ist das Buch genial aufgestellt und geschrieben. Wie aus der Sicht eines nicht beteiligten Beobachters, der sich seinen eigenen Gefühlen dann doch nicht entziehen kann.
Wenn das Buch nun keinen Zweck und keine Lehre vermitteln will, entsteht die Frage, was der Autor denn mehr zeigen will als nur Fakten und historische Gegebenheiten. Diese Antwort gibt Volker Ullrich im letzten Satz des Epiloges: „Man muss sich das Ausmaß der Verheerungen, der materiellen wie der moralischen, vor Augen halten, um zu begreifen, wie unwahrscheinlich dies am 8. Mai 1945 erscheinen musste und welche Errungenschaft es bedeutet, heute in einem stabilen, freiheitlichen und friedlichen Land leben zu können. Vielleicht ist es an der Zeit, daran zu erinnern.“
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[…] den Punkt, sehr lesbar, geradezu unterhaltsam und mit vielen Details. Vorher waren schon 1923 und Acht Tage im Mai dran. Im Vergleich zu den früheren Werken ist «Hitler» eher ein schmales Büchlein. Ich habe es […]
[…] sich auf eine ganze Epoche beziehen, auf ein einzelnes Jahr wie bei Volker Ullrich, oder sogar nur auf eine einzelne Woche. Ralf Zerbach widmet sich in seinem Buch drei Jahren, jedoch drei in der deutschen Geschichte […]
[…] Betrachtung als Unsinn herausstellt. Volker Ullrich, Autor des faszinierenden Buches über die letzte Woche des Dritten Reiches, hat nun ein Buch über genau dieses deutsche Schicksalsjahr 1923 geschrieben. Und macht deutlich, […]
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