Roether/Sarkowicz/Zimmermann: 100 Jahre Radio in Deutschland

»Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Vox-Haus auf Welle 400 Meter.« So begann am 29. Oktober 1923 die Zeit eines damals ganz neuen Mediums. Inzwischen hat das Radio, genauer der Hörfunk, viele Etappen hinter sich bringen müssen. Argwöhnisch beäugt in der Weimarer Republik und wie selbstverständlich staatsdienend, als Propagandainstrument in den Händen der Nazis, auferstanden aus Ruinen nach 1945, im Westen runderneuert am Beispiel der BBC, bevor die Alliierten ihn in die Hände des neuen deutschen Staates gaben. Auf der anderen Seite des Zaunes blieb das Radio Instrument des Staates, mit ihm sollte im real existierenden Sozialismus der neue Mensch gebildet, erzogen und informiert werden. Auch diese Phase fand 1989 ihr Ende. Seitdem gibt es wieder den MDR und der NDR hat neue Sendegebiete hinzu bekommen. Deutschland, einig Radioland. Zum runden Geburtstag hat nun die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Deutschen Rundfunkarchiv diesen Sonderband heraus gegeben. Für mich als Radiofreak seit meiner Kindheit, Fan von WDR 5 und Deutschlandfunk, ein Muss. Dabei als Hardcover im Großformat für nur sieben Euro ein tolles Geschenk für alle, die immer noch Radio hören, lieben und nicht darauf verzichten möchten.

23 Beiträge erzählen nicht nur die Geschichte des Radios in Deutschland. Sie erzählen über sein Werden, seine Stärken und seine Schwächen. Über das Radio als Machtinstrument bei den Nazis, als Schule der Demokratie nach dem zweiten Weltkrieg. Es geht um die Menschen, die das Radio in Deutschland geprägt haben. Nicht nur als ernste Journalisten wie Peter von Zahn und Hans Bredow, sondern auch um die, die das moderne Radio einführten und Stars wurden, lange vor dem Fernsehen. Peter Frankenfeld, Hans Rosenthal, Thomas Gottschalk und Günther Jauch bis hin zu Dave Colman. Das Buch erzählt viel über Geschichte und Politik, doch belässt es nicht dabei. Auch technische Details kommen zur Sprache, wie das trimediale Produzieren in der Neuzeit. Es geht um die Formatierung des Radios in den Siebzigern und Achtzigern, nach den Vorbildern aus der USA. Fragen nach der Zukunft des Radios dürfen nicht fehlen. Das behandelte Themenfeld rund ums Radio ist breit, viele Aspekte und Entwicklungslinien werden aufgezeigt. Einschließlich der Einflüsse auf alle Radios mit der Freigabe des privaten Rundfunks in den Achtzigern. Eben wie das Radio entstand, das wir heute kennen.

Das alles hinterlegt mit Bildern aus allen Zeiten des Radios von den Anfängen bis zur Gegenwart, über die Menschen und Ereignisse, die das Radio prägten. Es ist eine wunderschöne und lesenswerte Hommage an das heute eine Drittel unserer Kommunikationswelt. Ein grandioses Buch für alle, für die das Radio früher das einzige und wichtigste Medium war, lange vor Fernsehen und Dudelfunk, Internet und Streamingdienste. Es zeigt zugleich die politische Seite des Radios. Es war gerade in der Neuzeit immer ein Spiegel der Gesellschaft, hat sich gerade seit den Siebzigern des letzten Jahrhundert an neue Konzepte, anderes Denken und kulturelle Veränderungen angepasst. Vielleicht ist das das Zentrum dieses Buches, die Wechselwirkungen zwischen Radio, Kultur und Gesellschaft. Jahreszeitlicher Tipp: Es ist noch genug Zeit zum Bestellen. Gerade als Geschenk für die, die die Wandlungen des Radios noch selbst mitgemacht haben.

Wie ich, mit dem Telefunken Bajazzo meiner Eltern über Diodenkabel in den Philips-Kassettenrecorder. Selig an die Abende mit Winfried Trenkler und Michael Rüsenberg zurück denkend. Aber da hatte ich schon ein Telefunken MAGNETOPHON 204TS-Tonbandgerät.

 

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