Tobias Ginsburg: Die letzten Männer des Westens
Wieder so ein Buch, das schwerlich in eine Kategorie zu bekommen ist. Tobias Ginsburg nimmt den Leser mit auf die Reise durch sein Spezialgebiet. Schlagende Verbindungen, Männerbünde, die den echten deutschen Mann retten wollen, Rapper aus dem rechten Spektrum, kleine Jungs, die auch gerne dazu gehören möchten. Überhaupt sind die studentischen Verbindungen mit ihren Ritualen aus Saufen und Pöbeln ein Hauptgebiet von Ginsburg, sowohl im Westen wie im Osten. Dann noch das Boss-Kapitel, über Kollegah, Kai und den Mainstream. Zum Schluss eine Reise in Polen, zum berüchtigten Thinktank Ordo Iuris, doch auch zu den Protestierenden in Warschau und an anderen Orten. Ginsburg tarnt sich bei seinen vielen Besuchen, passt sich an die Kulturen der rechten und rechtsextremen Kreise an. Spielt die üblen Spiele mit. Die Schilderungen der Menschen, denen er begegnet, lassen mich oft ratlos zurück. Denn was sie alle eint, von den Burschenschaftlern bis zu den aalglatten Direktoren der polnischen Netzwerke, ist Hass. Hass auf den Feminismus, auf Liberalität, auf Frauen, auf die Demokratie. Wenn man so will, ist das Buch eine Art Reisebericht. Der besonderen Art.
Es ist nicht Ginsburgs erstes Abtauchen in diese Gesellschaften. Er wiederholt oft, dass auch ihn diese abstrusen Denkschemata, die Verschwörungstheorien und abseitigen Konstrukte der Realität streckenweise fassungslos machen. Gerade weil der Furor, mit dem da gegen Frauen und Feminismus und die Moderne überhaupt, in Polen besonders erzkatholisch und radikalkonservativ, gekämpft und gewütet wird. Und doch spannt das Buch einen Horizont auf. Auf der einen Seite am Anfang die vernarbten Gesichter in muffigen, nach Bier und Zigaretten riechenden Kellern und Verbindungshäusern. Eine Welt abseits des Alltages, eher im Geheimen wirkend, zurück gezogen, versteckt. Aber voll Hass und Wut auf das, was sich Frauen und Minderheiten in den letzten Jahren an Sichtbarkeit und Freiheit erkämpft haben. Am Ende des Buches der Besuch in Polen, dem Land, in dem die Demokratie nach und nach abgebaut wird. Dort wird sichtbar, wie sich rechte populistische Netzwerke untereinander verbinden. Nicht nur in Polen, sondern auch im restlichen Europa, die Lega Nord, die AfD, Vox in Spanien. Bis hin in evangelikale Truppen, zu Trumpisten und in die Teaparty in den USA. Versteckte und öffentliche Treffen und Kongresse zur Vorbereitung des ersehnten Schritts zurück in eine glorreich zusammen gesponnene Vergangenheit, in der Männer noch Männer waren und ein siegreicher und starker Führer die Geschicke der Länder bestimmt. Wie gefährlich diese Entwicklungen tatsächlich sind, wird erst klar, wenn sich Beatrix von Storch, Steve Bannon und Matteo Salvini im italienischen Verona treffen.
Man mag über die versoffenen Studenten und ihre lustigen Uniformen, über die Nazi-Quadratschädel aus den Muckibuden mit ihrem Männlichkeitswahn lächeln, doch gerade bei diesen Leuten könnten Rechtspopulisten und Extremkonservative durchaus Gehör finden. Immerhin haben bei einer Umfrage der Uni Leipzig 21% der Befragten gemeint, ein einzelner mächtiger Führer in Deutschland wäre keine schlechte Sache. Zudem eint Neonazis, Nazi-Rapper und Rechtspopulisten noch ein Aspekt: Ihr Hass und ihre Bereitschaft zur Gewalt. Ihr Hass auf die Moderne, in der sie sich nicht mehr repräsentiert und gehört fühlen. Diese möglichen Querverbindungen macht Ginsburg nur durch die Blume deutlich, an dieser Stelle hätte er deutlich interpretieren und aufzeigen müssen. Anstatt dem Leser das Offensichtliche zu überlassen. So beginnt man das Buch mit einem Grinsen, bis das Grinsen am Ende des Buches erstirbt. Ich habe mich zuerst gefragt, ob Ginsburg nicht zu schwarz sieht, ob diese eher marginalen Zirkel nicht ein wenig zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Bis er am Ende sichtbar macht, dass sich da viel mehr zusammen brodelt, wenn jetzt auch nur in Osteuropa. Doch wie wird die nächste Präsidentenwahl in den USA ausgehen? Wie wird Putin sich weiter verhalten? Langsam und eher verhalten spinnt Ginsburg den roten Faden durch das Buch. Wirklich vernehmbar, worum es ihm geht, wird es erst nach den letzten Seiten deutlich. Also schon mehr als ein Reisebericht. Mehr eine Warnung vor denen, die lieber heute als morgen demokratische und liberale Gesellschaften auf den Müllberg der Geschichte werfen möchten.
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