Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken

Das Erscheinen dieses Buches sei ein Großereignis, so wird Steven Pinker* auf dem Cover zitiert. Ziemlich starker Tobak. Worum es geht, macht der Titel des Buches klar, nämlich über zwei verschiedene Betriebsarten unseres Denkens. Einmal die schnelle Beurteilung von Situationen und das schnelle Entscheiden, auf der anderen Seite das gezielte und mühsame Nachdenken und Urteilen durch Abwägung von Argumenten, Fakten und Vorwissen. Klingt eher einfach, füllt dann am Ende doch fast 600 Seiten. Hat man sich durch das dicke Buch gearbeitet, und ja, es fällt leicht, denkt man zumindest ein wenig anders über sein eigenes Denken. Daniel Kahneman beginnt sein Werk kurz, eher etwas kryptisch, warum, versteht man am Ende des Buches. Danach führt er in die Unterscheidung der zwei Betriebsarten ein. Das eine Denkschema nennt er System 1, was wir landläufig mit Intuition, Bauchentscheidung oder Selbstverständlichkeit bezeichnen. System 1 ist schnell, meistens unbewusst und basiert auf naheliegenden Erinnerungen. System 2 dagegen ist das wirkliche rationale und kritische Nachdenken über etwas. Dazu braucht es den Zugriff auch auf lang zurückliegende Erinnerungen, auf spezialisiertes Wissen und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Kahneman führt uns auf diesem Wege in die Systematik unseres Denkens ein. Die Erkenntnisse daraus sind manchmal erschütternd. Und stellen unser Denken und seine Zuverlässigkeit auf eine harte Probe.

*) Professor am Harvard College des Fachbereiches Psychologie der Harvard-Universität

 

Das klingt zuerst einmal nicht so sonderlich unplausibel und neu. In der Pizzeria entscheiden wir in Sekundenbruchteilen, ob Margherita, Tonno oder Prosciutto. Zum Lösen von logischen oder mathematischen Aufgaben jedoch müssen wir uns vertiefen, auf Formeln zurückbesinnen und unsere Erkenntnisse selbstkritisch überprüfen. Von lebensentscheidenden Aufgaben wie Partnerschaften, Studienfächern oder Jobwahl ganz zu schweigen. Bis hierhin keine so ganz neue Erkenntnis. Doch dann lässt Kahneman die Katze aus dem Sack. Was wir für sinnvoll und zuverlässig halten, ist es ganz und gar nicht. Einmal, weil System 1 mit Statistik, Mengen und Fakten so seine Probleme hat. Dafür Muster liebt und sie sogar dort erkennt, wo sie nicht vorhanden sind. System 2 auf der anderen Seite ist tendenziell faul, Nachdenken kostet eine Menge Energie, ist langwierig. Noch schlimmer wiegt, dass sich System 2 gerne auf die Vorschläge von System 1 verlässt. Das passiert aber nicht flottierend, sondern folgt speziellen Varianten wie dem Priming, elementaren Bewertungen, der mentalen Schrotflinte oder dem Gesetz der kleinen Zahlen. Damit geht Kahneman so richtig in die Untiefen unseres Denkens, schematisiert die Verfahren und Irrwege, gibt den Abläufen griffige und unmittelbare Namen. Um diese Prinzipien zu vermitteln, gibt er Leserinnen und Lesern kurze Beispiele, die nur Sekunden beanspruchen, aber seine Schlussfolgerungen greifbar machen. Um nicht zu sagen: das Publikum wird vorgeführt. Aber danach ist es lustig. Überhaupt ist das Buch in so einem authentischen und ehrlichen Stil geschrieben, dass es eine Freude ist. Kahneman zeigt selbst, wie er den Täuschungen seines Denkens unterlegen ist, wo er in mentale und logische Fallen gelaufen ist. Vor allen Dingen aus einem Grund, nämlich weil System 1 jede Statistik unverständlich ist. System 1 erkennt nicht, dass seine Einschätzungen nicht richtig sein können, weil die Zahlen und Fakten dagegen sprechen. Kahneman geht noch weiter, indem er zeigt, dass selbst professionellen Mathematikern und Statistikern diese Fehler unterlaufen.

Das ist das Faszinierende an diesem Buch. Worum es in ihm geht, kann jeder an den kleinen Beispielen nachvollziehen und muss sich am Ende fragen, worauf er sich da tatsächlich verlässt. Zwar ist System 1, aus der Evolution heraus entstanden, sinnvoll und zuverlässig, wenn es darum geht, Säbelzahntiger und Giftschlangen zu erkennen. In unserer modernen technischen Welt führt es uns immer wieder auf die falschen Gleise, täuscht Zuverlässigkeit vor, wo sie nicht existiert. Aber das Buch erklärt noch mehr. Warum glauben Menschen völlig überzeugt daran, dass die Erde eine Scheibe sei und Hillary Clinton Chefin eines Rings für den Missbrauch von Kindern im Keller einer Pizzeria. Wo das Restaurant doch keinen Keller hat. Kahneman geht richtig tief in die Themen hinein, strukturiert die Sache auch, so dass seine Erkenntnisse nachvollziehbar werden. Wenn man etwas darüber erfahren möchte, wie Menschen denken und warum, ist das Buch eine der wahrscheinlich besten Quellen. Und man wird in Zukunft mit schnellen Zuschreibungen für die Dinge in der Welt vorsichtiger sein. Bei Menschen erst recht.

Daniel Kahneman (hebräisch דניאל כהנמן ) (geboren am 5. März 1934 in Tel Aviv) ist ein israelisch-US-amerikanischer Psychologe und emeritierter Hochschullehrer, der 2002 mit Vernon L. Smith den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Die zugrundeliegende, ausgezeichnete Prospect Theory entwickelte er mit Amos Tversky. […] Daniel Kahneman und Amos Tversky legten die Grundlagen der Verhaltensökonomik. Sie entwickelten die Prospect Theory, um menschliche Urteile bei wirtschaftlichen Entscheidungen realistischer als im traditionellen Kosten-Nutzen-Modell zu modellieren. Galten Kahneman und Tversky an der Hebräischen Universität anfangs als Rivalen, so legte sich das im Jahr 1969. Von dann an saßen sie häufig zusammen in einem Seminarraum, durch die geschlossene Tür war oft Lachen zu hören. Tverskys Frau sagte später, jene Beziehung sei intensiver gewesen als eine Ehe. (Wikipedia)

 

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  1. […] Konsequenzen. Unsere Entscheidungsblindheit und unsere Neigung zu unlogischen Annahmen hat schon Daniel Kahneman bewiesen, der in diesem Buch oft zitiert wird. Die eigentliche Frage ist daher, was diese […]

  2. […] Wobei das Thema an sich für mich nicht ganz so neu ist, denn auch Gerd Gigerenzer und Daniel Kahneman beschäftigen sich mit der Frage, warum wir mit unseren Bauchgefühlen und Instinkten so oft so […]

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