Maja Göpel: Unsere Welt neu denken

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken

Will man ihre Botschaft in einem Satz zusammen fassen, würde der lauten: Wir können so nicht weiter machen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich in den letzten 30 Jahren die Welt grundlegend verändert. Der Westen, allen voran die USA, betrachtet sich als Sieger im Wettlauf um die bessere Gesellschaftsform und verhält sich dementsprechend. Die Globalisierung hat Ausmaße angenommen, die vor 30 Jahren noch nicht vorstellbar waren. Unternehmen sind unabhängig von Staaten geworden, sie lassen sich dort nieder, wo der maximale Gewinn lockt. Es geht uns auf der Nordhalbkugel richtig gut. Aber das Wohlstandsmodell hat seinen Preis, Umweltschäden und Klimawandel bedrohen unsere Zukunft, Demokratien drohen zu zerfallen. Doch „der Markt“ und die Politik verkünden immer nur eine Richtung. Weiter machen wie bisher, bloß nichts verändern, bloß nicht verzichten. Stattdessen immer mehr, niemals weniger. Jedes sechste online gekaufte Paket geht zurück. Scheinbar kostenlos. Auch wenn es die kleinen Anbieter ruiniert. Scheinbar, weil niemand die Energie und Arbeit für den Rücktransport einrechnet. Vom zusätzlichen CO2 ganz zu schweigen. Wie bei den billigen Flugtickets, um den entstehenden Müll soll sich jemand anders kümmern. Das nennt man externalisierte Kosten.

Maja Göpel ist Politökonomin, Transformationsforscherin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. Wissenschaftliche Direktorin der 2020 in Hamburg gegründeten Denkfabrik The New Institute. Hat eine Honorarprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihr Buch Unsere Welt neu denken gibt es schon länger, bei mir ist es in der Auflage von 2021 gelandet, wohl weitgehend gegenüber früheren Auflagen überarbeitet. Es ist eine radikale Abrechnung mit einem ausufernden Lebensstil, der die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen arm und reich, globalem Norden und Süden, Umwelt und Konsum nur weiter verstärkt. Statt zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu kommen, Umwelt und Gesellschaft zu schonen, wird der Wahnsinn des westlichen Verbrauchs an Ressourcen nur immer weiter gesteigert. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber Maja Göpel setzt die Zusammenhänge neu zusammen. Und fordert ein radikales Umdenken.

Es wird langsam eng auf der Erde. In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Anzahl ihrer Bewohner beinahe verdoppelt. Die Menschheit nimmt immer mehr Platz ein, aber nicht nur der Platz ist ein Problem. Die Menschheit verbraucht auch immer mehr Ressourcen. Vor dreißig Jahren war China ein armes Land, heute ist es eine Wirtschaftsmacht, der Verbrauch an Energie und Umwelt hat sich vervielfacht. Derzeit gut acht Milliarden allein auf ihren Vorteil bedachte Erdenbürger würden die Ökosysteme des Planeten unweigerlich zum Kollabieren bringen. Zum Sinnbild für das absurde menschliche Streben wird für Maja Göpel ein Patent, das von der amerikanischen Einzelhandelskette Walmart beantragt wurde: eine Pflanzen bestäubende Drohne als technische Reaktion auf das Bienensterben. Der Glaube, man könnte mit Technologie oder Markt die Schäden auf diesem Planeten beheben, ist ungebrochen. Nicht wahr, Herr Lindner?

Maja Göpel ist für mehr Verteilungsgerechtigkeit und für eine Rückkehr zum menschlichen Maß. Das Märchen vom ewigen Wachstum, von dem letztlich alle profitieren sollten, ist nicht eingetreten, weder ökologisch noch sozial. Wirklich profitiert, im wahrsten Sinne des Wortes, haben nur wenige. Das andere Märchen, vom Trickle-Down-Effekt, der sagt, wenn es den Reichen immer besser gehe, ginge es auch den Armen besser, hat sich als Luftnummer entpuppt. Das lässt sich einfach mit wenigen Zahlen aus öffentlichen Statistiken zeigen. Bill Gates, einer der drei reichsten Menschen der Welt, verbrachte 2017 zirka 350 Stunden in der Luft und verbrauchte dabei das Kohlendioxid-Lebensbudget von 38 Menschen. Nur in seinem Privatflugzeug. Das heißt, diejenigen, die es sich leisten können, sind in der Lage, ihre Umwelt zerstörende und Rohstoffe vernichtende Lebensweise uneingeschränkt fortzusetzen. Man könne deshalb die ökologische Frage nicht lösen, wenn man sie nicht auch als soziale Frage versteht, so Maja Göpel. Um der Mehrheit eine nachhaltigere Lebensweise zu ermöglichen, müssten hohe Einkommen massiver besteuert werden. Ebenso Unternehmen, die Infrastruktur und Ressourcen der Allgemeinheit nutzen, Gewinne privatisieren und die Umwelt belasten. Es geht also um Umverteilung, darum, dass sich die Menschheit wieder als solidarische Gemeinschaft versteht. Woher kam bei Apple die Sammlung von Technologien für das iPhone? Aus staatlich finanzierten Laboren. Nur Design und Marketing kamen von Apple selbst.

So stellt sich unweigerlich die Systemfrage. Der Kapitalismus, ein Wirtschaftssystem, das auf Profitmaximierung ausgerichtet ist, ist bei anhaltendem Bevölkerungswachstum, endlichen Ressourcen und voranschreitendem Klimawandel längst an seine Grenzen gestoßen. Aber es nutzt nichts, nur den Unternehmen und der Wirtschaft die Schuld in die Schuhe zu schieben. Auch wir als KonsumentInnen mit unserem Streben nach immer mehr und immer größer sind Teil der Geschichte. Nur zehn Prozent der gekauften Lebensmittel sind aus dem Bioanbau. Nur wenige Prozent des Fleisches daraus. Weil sich nur zehn Prozent der Leute die teureren Bioprodukte leisten können? Sicher nicht. Bioprodukte sind nicht zu teuer, sondern konventionelle Lebensmittel zu billig. Weil sie mit massiven Subventionen billig gemacht werden, und Großproduzenten besser gestellt werden als Familienbetriebe. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Doch der Staat zieht sich mit angeblich alternativlosen Argumenten zurück, anstatt das zu tun, was dringend notwendig ist: Regeln aufzustellen, soziale Entwicklung zu fördern, Grenzen zu setzen. Grenzen und Regeln schränken Freiheit nicht ein, sie ermöglichen Freiheit erst.

Ihre Analyse und Beweisführung sind präzise. Ihr Buch kommt in einer Zeit, in der die Folgen des Klimawandels ebenso unübersehbar sind wie die Halbherzigkeiten der Politik. Es ist ein eindringlich vorgetragenes Plädoyer für ein zukunftsorientiertes Denken, eine Einladung, von der man sich wünscht, dass sie von vielen angenommen wird.

Beitrag des Deutschlandfunks dazu:

Unsere Welt steht an einem Kipp-Punkt, und wir spüren es. Einerseits geht es uns so gut wie nie, andererseits zeigen sich Verwerfungen, Zerstörung und Krise, wohin wir sehen. Ob Umwelt oder Gesellschaft – scheinbar gleichzeitig sind unsere Systeme unter Stress geraten. Wir ahnen: So wie es ist, wird und kann es nicht bleiben. Wie finden wir zu einer Lebensweise, die das Wohlergehen des Planeten mit dem der Menschheit versöhnt? Wo liegt der Weg zwischen Verbotsregime und Schuldfragen auf der einen und Wachstumswahn und Technikversprechen auf der anderen Seite? Diese Zukunft neu und ganz anders in den Blick zu nehmen – darin besteht die Einladung, die Maja Göpel ausspricht. (Klappentext Ullstein-Verlag)

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