Ahmad Mansour: Generation Allah

Ahmad Mansour: Generation Allah

Ahmad Mansour: Generation Allah

Inzwischen habe ich so einige Bücher durch, die sich entweder mit dem Islam als solchem oder den soziologischen und politischen Einflüssen auf unsere Gesellschaft beschäftigen. Die meisten dieser Bücher gehen die Themen wissenschaftlich oder zumindest analytisch an. Ahmad Mansour dagegen ist ein Mann der Praxis. Der 39-jährige arabische Israeli, wie er sich selbst nennt, ist seit 2004 in Deutschland und hat seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft. Er wurde in wenigen Jahren zum wichtigen Ansprechpartner rund um die salafistische und islamistische Jugendszene in Deutschland. Aktuell engagiert er sich in leitender Funktion im Berliner Anti-Gewalt-Projekt Heroes, das sich unter anderem gegen patriarchale Familienstrukturen und religiös aufgeladene Frauenverachtung engagiert. Von 2012 bis 2014 war Ahmad Mansour Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Rein beruflich ist er Psychologe und Autor. Qualifiziert ist er nicht nur deshalb, sondern auch durch seine eigene Historie, er war in Israel Mitglied der Muslimbrüderschaft und einmal selbst auf dem Weg in die Radikalisierung. Dann wählte er einen anderen Weg, zum Glück. Sein Buch Generation Allah ist kein wissenschaftliches Werk, sondern mehr Erfahrungsbericht aus seiner Praxis. Aber kommt er auch zu machbaren, wirksamen und realistischen Vorschlägen, wie man Jugendliche vom Weg in den Salafismus und Islamismus abbringt?

Wenn Mansour als Berater oder Coach auf den Plan gerufen wird, ist es meistens schon zu spät. Wenn LehrerInnen oder BetreuerInnen von Jugendlichen mit ihrem Latein am Ende sind, wenn Jugendliche ihre Jeans und T-Shirts gegen knöchellange Kaftans tauschen oder sich mit merkwürdigen Sätzen auf den rechten Weg rufen. Neben den ausführlichen Schilderungen seiner Erfahrungen mit Jugendlichen auf dem Weg in den Fundamentalismus versucht Mansour aber auch zu ergründen, warum sie diese Wege gehen. Das tut er aus der Sicht des Psychologen. Ich denke, dass seine Betrachtungen schon nachvollziehbar und profund sind, wenn er Faktoren benennt, die die hierarchische und patriarchalische Pyramide solcher Familien aus dem Gleichgewicht bringen. Väter, die wegen Arbeitslosigkeit oder seelischer Schieflagen ihre angestammte Rolle nicht mehr ausfüllen können und Mütter, die diese Situation nicht mehr beherrschen oder in anderer Weise versagen. Diese Situation schreibt man gewohnheitsmäßig Familien mit Migrationshintergrund zu, was in der Praxis nicht so ist. Auch Jugendliche ohne Migration wandern nach Syrien ab oder schließen sich Salafisten an. Die Lebenswege der Jugendlichen, die Mansour ausführlich darstellt, die Gesprächsrunden in Schulen oder Jugendzentren, machen diese Entwicklungen überdeutlich.

Es wäre jedoch zu kurz gedacht, diese Geschichten nur den Jugendlichen zuzuschreiben. Es sind auch die LehrerInnen, Eltern und BetreuerInnen, die nicht erkennen, was da vor ihren Augen geschieht. Vielen dieser Leute fehlen Informationen und ein genaueres Verstehen des Islams und diese Lebenswelten, um zu erkennen, wie sich ihre Klientel entwickelt. Wie eine Lehrerin, die von 28 Türken spricht, ohne wahrzunehmen, dass es in Wirklichkeit um Türken, Syrer, Libanesen, Marokkaner und Bosnier geht. Mit den teils eklatanten Unterschieden in der Ausprägung von Religion und kultureller Historie. Trotz der inzwischen wichtigen Rolle von Integration mangelt es an entsprechender Ausbildung für die Leute, die das Thema doch ursprünglich bewältigen sollen. Doch Mansour klagt nicht an oder meckert, er hat durchaus greifbare und wichtige Aspekte, wie die Radikalisierung von Jugendlichen frühzeitig erkannt und bearbeitet werden kann. Er spricht im großen Teil des Buches von ganz praktischen Maßnahmen, auch wenn eine eher theoretische Analyse der Gründe für Radikalisierung und Islamisierung seine Geschichten hintermauern. So sieht Mansour die Integration, das Überwinden des Ihr und Wir, als die große Aufgabe der nun heranwachsenden Generationen. Damit auch als Aufgabe der Schulen, die leider im Moment weder in Hinblick auf Hintergrundwissen noch Ausstattung noch Lehrplänen darauf ausgerichtet sind. Deutschland verschläft die Integration. Und wundert sich über die Konsequenzen.

Die Zielgruppe für Generation Allah ist deshalb auf den ersten Blick begrenzt: alle Leute, die mit Jugendlichen aus der Zuwanderung, aber auch aus wackligen sozialen Systemen zu tun haben, LehrerInnen, JugendbetreuerInnen, SozialarbeiterInnen. Trotzdem ist das Buch für alle die interessant, die mehr über die Welt dieser Generation wissen möchten, warum Salafisten und Islamisten für Jugendliche so interessant werden, aus welchen Lebenslagen heraus sie sich dort Hilfe und Sicherheit erhoffen. Ob die jeweilige psychologische Betrachtung hilft, darüber kann man streiten. Zum Schluss erwartet man dann eigentlich von diesem Buch wieder die erhofften Kochrezepte. Diese Erwartung ist verständlich, aber nicht realistisch. Wann immer es um Menschen geht, ist jede Lebensgeschichte subjektiv, persönlich und individuell. Jede Lebensgeschichte ist anders. Deshalb kann es nicht die eine verheißungsvolle Antwort geben. Aber Mansour macht sensibel für die Hintergründe, nicht nur im Einzelfall, sondern in unserem gesamten sozialen System, die die Kids erst auf solche Pfade bringen. Seine Praxisnähe macht das Buch erstaunlich lesbar, ohne dass Mansour ins Allgemeine oder Plakative abdriftet. Ein Praxisbuch zum Verständnis von Menschen mit Migrationsgeschichte und eine sehr empfehlenswerte Ergänzung zu mehr theoretischer Literatur zum Thema.

Warum zieht es Jugendliche in den Dschihad? Ist der Islam verantwortlich für den Terror? Und wie können wir uns dem religiösen Extremismus stellen? Bislang stehen Politik, Gesellschaft und besonders die Schulen diesen Fragen hilflos gegenüber. Kein Wunder, denn die Debatten werden falsch geführt, wie der renommierte Psychologe und Islamexperte Ahmad Mansour nachdrücklich zeigt. Mansour beantwortet diese Fragen mit beeindruckender Klarheit und Reflexion. Denn keiner kennt wie er beide Seiten. Bevor er den mühsamen Ausstieg schaffte, war er selbst radikaler Islamist. Jetzt arbeitet Ahmad Mansour in Berlin als Psychologe und betreut Familien von radikalisierten Jugendlichen. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen und seiner konkreten Präventionsarbeit zeigt er beeindruckend, dass eine Deradikalisierung möglich ist und plädiert für eine Reform des praktizierten Islam. (Klappentext Fischerverlage)

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