Gerhard Roth: Über den Menschen

Schon die Philosophen des Altertums stritten über die Frage, ob Seele und Geist des Menschen etwas vom Körper Getrenntes seien. Oder ob der Geist erst durch den Körper erzeugt werde und mit dem Tod des Körpers vergehe. Mit dem Aufkommen moderner naturwissenschaftlicher Betrachtungen endete die Diskussion nicht, bekam durch die Methoden bildgebender Verfahren in Medizin und Biologie sogar neuen Aufschwung. Heute wissen wir im Grunde immer noch nicht besonders viel über das menschliche Gehirn, aber genug, im seine Funktionen erstmals ansatzweise zu verstehen. Wir wissen, wo dort auditive oder visuelle Reize verarbeitet werden, wissen etwas über die Funktionen von Botenstoffen und Neurotransmitter. Dazu gehört, dass wir das, was wir Bewusstsein nennen, in der Hauptsache im frontalen Cortex stattfindet. Doch ist viel von dem, was Gedanke oder Emotion wird, gesteuert von tieferen Bereichen im limbischen System, das sich in den unteren Schichten unserer Wahrnehmung völlig entzieht. Je mehr man über das menschliche Gehirn weiß, desto mehr Fragen kommen hinzu. Warum verfügen nur Menschen über eine syntaktisch-grammatikalische Sprache, nicht unsere nächsten Verwandten, die Primaten wie Gorillas und Bonobos? Was hat dazu geführt, dass aus unseren Vorfahren Wesen mit Vernunft, Sprache und transzendierendem Denken entstanden? Zu welchen Erkenntnissen führt das Wissen über unser Gehirn? Gibt es tatsächlich ein Verbrecher-Gen oder so etwas wie das genetisch bedingte Böse? Sind eineiige Zwillinge tatsächlich zu 100% genetisch identisch? Die letzte Frage lässt sich schon beantworten: Nein.

Gerhard Roth im Philosophischen Radio in WDR 5

Die Neurowissenschaften haben zu ganz neuen Erkenntnissen geführt, die viele alte Modelle des Menschen ablösen. Wie zum Beispiel die Annahme, dass alle Eigenschaften eines Menschen, körperlich und seelisch-geistig, von seinen ererbten Genen geprägt werden. Dass ein Mensch ein Produkt seiner Gene und seiner Umwelt ist, wissen wir schon länger, jedoch sind noch neue Fakten hinzu gekommen. Die Gene sind kein festes Bauprogramm, es gibt Abschnitte in den Strängen, die je nach Umweltbedingungen, schon im Mutterleib, Abschnitte der Gene aktivieren oder deaktivieren. Daraus entstand die Epigenetik, die viele Annahmen über Entwicklung des Menschen pulverisierten. Sie verfeinert weiterhin die Geschichte, wie sich unser Gehirn von der Zeugung bis ins hohe Alter verändert, abhängig von der Umwelt, den Beziehungen zu anderen Menschen und zu uns selbst. Das allein ist aber nicht Roths Thema. Er ist Philosoph wie auch Biologe, ihn interessieren die Interpretationen der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse, die Schlüsse daraus für ein eventuell neues Menschenbild.

Das ist das Kernthema des Buches. Die Bedeutung der aktuellen neurobiologischen Forschungen und die Auswirkungen auf die Vorstellung vom Homo Sapiens an sich. Die Folgen dieser Einsichten in die Arbeitsweise unseres Gehirns beziehen sich jedoch nicht nur einfach auf das Wissen über die Gehirnentwicklung, sie reichen weit in die Gebiete der Psychologie und Psychiatrie hinein, in die Fragen zu seelischen Erkrankungen, zur Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens, bis hin zur Frage nach Seele und Geist. Wie so etwas wie Geist und Seele aus der Interaktion von Synapsen und Neuronen, Pyramidenzellen, Neurotransmitter und Basalganglien entstehen. Roth begibt sich damit auf den schmalen Pfad zwischen Philosophie, Biologie und Psychologie. Wie diese Bereiche zusammen zu bringen sind und sich gegenseitig beeinflussen. Das Buch liefert somit viel Wissen zu den mehr mechanischen Funktionen des Gehirns und den erstaunlichen Auswirkungen.

Die ersten Kapitel des Buches bauen ein Grundwissen über das Gehirn auf, welche Bereiche wie und wozu angelegt sind. Erst mit den späteren Abschnitten kommt Roth zu den eigentlichen Themen. Je weiter man in diesem Buch fortschreitet, desto mehr kommen philosophische und psychologische Bezüge in den Vordergrund. Man merkt deutlich, dass dieses Buch eine einfachere Version eines vorherigen wissenschaftlichen ist, Roth verwendet viele Fachbegriffe, schneidet komplexere Themen nur etwas an, geht in anderen Punkten sehr tief in Details. Trotzdem sollte man sich auch als neurobiologischer Laie das Werk antun. Man lernt eine Menge über die Entwicklung des Gehirns und die Auswirkungen von Umwelteinflüssen. Wie zum Beispiel schon im Mutterleib das spätere Temperament eines Menschen geprägt wird, wenn die Mutter unter Stress steht oder seelische Probleme hat. Roth schreibt nicht immer für den Laien verständlich, er kann sich oft nicht aus den Tiefen seiner Arbeit nach oben arbeiten. Trotzdem bleibt eine Menge an Wissenswertem, damit Lesenswertem übrig. Über unser Gehirn, unsere biologische Vergangenheit und die vielfältigen Auswirkungen auf Geist und Seele.

Roth studierte nach dem Besuch des humanistischen Friedrichsgymnasium in Kassel von 1963 bis 1969 als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes in Münster und Rom zunächst Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie. Im Fach Philosophie wurde Roth 1969 mit einer Arbeit über den Marxisten Antonio Gramsci promoviert. Anschließend absolvierte er ein Studium der Biologie, u. a. in Berkeley (Kalifornien), das er 1974 an der Universität Münster mit einer zweiten Promotion in Zoologie beendete. Seit 1976 lehrt Roth als Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen, seit 1989 in der Funktion eines Direktors des dortigen Instituts für Hirnforschung bzw. heutigen Zentrums für Kognitionswissenschaften. Von 1997 bis 2008 war er Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und war von 2003 bis 2011 Präsident der Studienstiftung des deutschen Volkes. […] 2008 gründete er die Beratungsfirma Roth GmbH, 2016 das private Roth-Institut Bremen, das sich auch der Beratung und Weiterbildung widmet. Roths Forschungsschwerpunkte sind kognitive und emotionale Neurobiologie bei Wirbeltieren, theoretische Neurobiologie und Neurophilosophie. In mehreren Publikationen erörterte er die Bedeutung neuerer gehirnbiologischer Erkenntnisse für philosophische, moralische und pädagogische Fragen, z. B. in Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen (1994) und Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert (2001). (Wikipedia.de)

 

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