Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit

Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit

Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit

Zuerst erinnerte mich der Titel an meinen Spezi Bill Bryson: Eine kurze Geschichte der Dinge oder Eine kurze Geschichte von fast allem. Zufall? Eher nicht. Man kann die Geschichte von Dingen oder Menschen aus sehr verschiedenen Perspektiven erzählen. Aber welche Geschichte? Die biologische oder kulturelle? Yuval Noah Harari verbindet mehrere Sichten auf die Geschichte der Menschheit. Dabei kommt er eigentlich aus einer ganz anderen Ecke, lehrt seit 2005 an der Hebräischen Universität Jerusalem und ist einmal mit Forschungen zur Militärgeschichte und dann wieder mit allgemeinen historischen Thesen bekannt geworden. Sein Buch zur kurzen Geschichte der Menschheit wurde dann zu einem internationalen Bestseller. Zuerst in Hebräisch erschienen, dann ins Englische und 2013 auch ins Deutsche übersetzt. Wieder mit fast 600 Seiten ein mich sonst erschreckender Brocken Papier. Doch Harari wird sich etwas beim Umfang seines Werkes gedacht haben. Denn er schafft es, selbst für Wenig-Leser einen faszinierenden Bogen im Thema zu spannen.

Zuerst widmet sich Harari der Frage, warum gerade der Homo Sapiens von den sechs verschiedenen Menschenarten übrig blieb, warum er sich durchsetzte, während die anderen Zweige seiner Art ausstarben. Nicht nur Harari hält für den wesentlichen Unterschied die kognitive Revolution vor 70.000 Jahren, als eine der vielen Revolutionen in der Geschichte des Homo Sapiens. Damit erlangte er die einzigartige Fähigkeit zur Fiktion, sich Dinge vorzustellen, die in der Realität nicht existieren. Was nur Homo Sapiens kann, kein anderes Tier. Das half ihm, Visionen und Planungen Wirklichkeit werden zu lassen, über das Momentane und sogar das Vorstellbare hinaus zu denken. Doch diese Fähigkeit, die ihm erst zum Überleben und Ausbreiten gereichte, wurde ihm in gewisser Weise auch zum Verhängnis. Denn mit der Vision entstanden genauso Religionen und Ideologien, postfaktisches Denken und Aberglaube. So ging die Geschichte weiter, mit dem Übergang vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bauer, über die wissenschaftliche bis zur industriellen Revolution. Nicht immer machten diese Übergänge dem Menschen das Leben leichter, doch planbarer und zukunftssicherer. Doch der wirkliche Schub in der Entwicklung des Homo Sapiens sollte sich erst ergeben, als sich Wissenschaft, Imperialismus und Kapitalismus zusammen schlossen. Es begann auf einer damals eher unbedeutenden Halbinsel im Südwesten Europas.

Erst dieser Schritt führte zur Entwicklung der Welt, wie wir sie heute kennen. Mit Visionen, aber auch mit Aberglaube und realitätsfremder Ideologie. Harari streift dabei viele Themen am Rande, die Entstehung des Geldes und was es bewirkte und warum es funktioniert, die Grundlagen der Religionen und ihrer Denk- und Glaubensgrundlagen, die Veränderungen der menschlichen Existenz vom Jäger zum Bauer. Ein Happyend gibt es leider nicht. Gegen Ende des Buches geht es Harari um die unheilvollen Auswüchse des gierigen Imperialismus, des ausufernden Kapitalismus und der willfährigen Wissenschaft. Mit der industriellen Revolution wurde Homo Sapiens zu dem einzigen Tier, das dem Planeten gefährlich wird. Das hemmungslos alle Ressourcen, Tiere und Menschen ausbeutet, wie am Beispiel der Sklaverei. Das nun sogar ihre Geschwister für billiges Fleisch und billige Nahrungsmittel nicht mehr als emphatische Wesen sieht, sondern als industrielle Produktionsmittel. So böse diese Aspekte sind, so ist es wert, über diese Entwicklung des Menschen nachzudenken. Eine Antwort liefert Harari – zu Recht – nicht. Er endet mit der Frage, ob die Menschheit diesen Weg wirklich gehen will und kann. Wirtschaftlich und ethisch.

Die Parallelen zu Bill Bryson sind nicht zu leugnen. Harari spult ein ganzes Bündel von Haupt- und Nebenthemen ab, von biologischen über kulturelle, soziale, genetische bis zu politischen Verläufen. Es ist eine Kreuzfahrt durch die Erkenntnisse über die Evolution, der Hirnforschung und Psychologie. Dabei trotzdem immer letztlich im Thema zu bleiben, die Linien wieder zusammen zu führen und dem Homo Sapiens den Spiegel mit seinen unlogischen und der Wirklichkeit widersprechenden Aktionen vorzuhalten, ist eine Stärke in Hararis Text. In diesem Sinne passt er gut zu Kandel oder Schmidt-Salomon. So wie die Fähigkeiten des Menschen zu Abstraktion und Vision erst seinen Aufstieg zur eingebildeten Krone der Schöpfung ermöglichten, so können die Nebenwirkungen, Menschen verachtende Ideologien, krude Religion und wilde Verschwörungstheorien, zu seinem Ende führen. Harari behandelt die Geschichte der Menschheit aus vielen Blickrichtungen und unter vielen Aspekten. Gerade das letzte Drittel des Buches sollte uns alle sehr nachdenklich machen, ob nicht in einer gar nicht so fernen Zukunft besser Ratten und Schaben die Welt beherrschen, ohne sie zu zerstören.

Mein Rating: Eine tolldreiste Tour durch die Geschichte des Menschen mit vielen Blicken über den Tellerrand.

Wie haben wir, Homo Sapiens, es geschafft, den Kampf der sechs menschlichen Spezies ums Überleben für uns zu entscheiden? Warum ließen unsere Vorfahren, die einst Jäger und Sammler waren, sich nieder, betrieben Ackerbau und gründeten Städte und Königreiche? Warum begannen wir, an Götter zu glauben, an Nationen, an Menschenrechte? Warum setzen wir Vertrauen in Geld, Bücher und Gesetze und unterwerfen uns der Bürokratie, Zeitplänen und dem Konsum? Und hat uns all dies im Lauf der Jahrtausende glücklicher gemacht? Vor 100 000 Jahren war Homo sapiens noch ein unbedeutendes Tier, das unauffällig in einem abgelegenen Winkel des afrikanischen Kontinents lebte. Unsere Vorfahren teilten sich den Planeten mit mindestens fünf weiteren menschlichen Spezies, und die Rolle, die sie im Ökosystem spielten, war nicht größer als die von Gorillas, Libellen oder Quallen. Vor 70 000 Jahren dann vollzog sich ein mysteriöser und rascher Wandel mit dem Homo sapiens, und es war vor allem die Beschaffenheit seines Gehirns, die ihn zum Herren des Planeten und zum Schrecken des Ökosystems werden ließ. Bis heute hat sich diese Vorherrschaft stetig zugespitzt: Der Mensch hat die Fähigkeit zu schöpferischem und zu zerstörerischem Handeln wie kein anderes Lebewesen. Und die Menschheit steht jetzt an einem Punkt, an dem sie entscheiden muss, welchen Weg sie von hier aus gehen will.
(Klappentext Pantheon-Verlag)

 

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert