Ernst Paul Dörfler: Aufs Land
Lange Zeit haben wir an den Fortschritt geglaubt. Dieser Fortschritt liegt in den Städten, im Urbanen, wohin es weltweit immer mehr Menschen zieht. Stadt steht für Kultur und Konsum, für Abwechslung und Anregung. Das Dorf dagegen gilt als langweilig, beschränkt und rückständig. Diese Stereotypen stimmen schon lange nicht mehr, hier auf den Feldern fahren moderne Trecker selbstständig, GPS-gesteuert, der Bauer sitzt zuhause am Rechner und pflegt seine Statistiken über Futterzuteilung und macht Videokonferenz, vor meiner Haustür in dieser 2.300 Seelen-Gemeinde im Paderborner Land liegt Glasfaser. Aber das ist es nicht genau, worauf Ernst Paul Dörfler hinaus will. Die Stadt steht auch für Enge und Verdichtung, erzwungene Nähe, Dreck, Lärm und Luftverschmutzung. Acht von zehn Kindern in der Stadt halten das Bild einer Gans für das einer Ente. Dörfler, nomen est omen, ist auf einem kleinen Dorf in der früheren DDR aufgewachsen. Seine Eltern hatten einen kleinen Hof, er wuchs noch in den Wäldern und Feldern zwischen den Höfen auf, war den weiten Blick in die Landschaft gewohnt. Aber auch den Schulweg zehn Kilometer zum nächsten Gymnasium, im Sommer wie im tiefsten Winter. Zum Studium trieb es ihn in die Großstadt, wo er es nicht lange aushielt und auf das ach so öde Land zurück kehrte. Sein Buch ist ein Plädoyer für das Leben auf dem Land, in Kontakt mit der Natur und abseits des Zwangs zum Konsum.
Dörfler hat das gleiche Problem wie viele Autoren seiner Richtung. Er erzählt uns zuerst, was wir schon wissen. Über die katastrophalen Auswirkungen des Massenkonsums und der industriellen Landwirtschaft, über das der Gesundheit nicht zuträgliche Leben in den Städten, über den Flächenverbrauch und was das Zubetonieren ganzer Stadtteile an Folgen hat. Über Insekten- und Vogelsterben, über die Auswirkungen chemischer Gifte und Düngemittel. Was ihn am meisten störte, war eben die Dichte der Stadt für jemanden, der lieber in die Ferne sehen möchte als vor Hauswände, der seinen Garten vermisste und den Kontakt zur Natur. Dieser Teil des Buches ist zwar informativ, aber keine Quelle neuer Erkenntnis. Interessanter dagegen seine Schilderungen, wie er mit Freunden in der DDR eine alte Hofstelle renovierte und eine ökologisch orientierte Wohngemeinschaft gründete. Die Probleme, vor denen er stand, hinsichtlich Baumaterial und Handwerkern, sind heute kaum nachzuvollziehen. Seine Aktionen, die nicht gerade typisch für das damalige Ostdeutschland waren, zog schnell die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich, er wurde beobachtet und ausspioniert. Dörfler schildert sein Leben in dieser Zeit in der DDR, und die Zeit im wiedervereinigten Deutschland, wo die Lage zuerst nicht besser, sondern eher schlechter wurde. Inzwischen hat sich die Situation doch gebessert. Bei den grundlegenden Problemen unseres Wirtschaftens und Lebens allerdings hakt es noch immer.
Dörfler schildert seine Sicht der Dinge und seine Art von Leben. In Kontakt mit der Natur, ohne Konsumzwang, und doch niemals langweilig. Er möchte dem Leser zeigen, wie das Leben auf dem Land wirklich ist, wie es sich anfühlt und welche Vorteile es hat. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für sich selbst und für seine körperliche und seelische Gesundheit. Wo der Verzicht auf Kinos, Restaurants und Shopping-Meilen zu einem Gewinn an Lebensqualität und Gesundheit führt. Das liest sich interessant und unterhaltend zugleich, wenn es zum Beispiel um sein Leben in der DDR geht. Ich persönlich teile seine Sicht aufs Dorf weitgehend. Nur hat das Buch genau das gleiche Problem wie viele Bücher über Klima, Umweltschutz oder alternative Lebensformen. Es wird nur ein sehr überschaubares Publikum erreichen, das sowieso schon in solche Richtungen denkt und liest. Die Stammkunden von McDonalds, die Empfänger von täglichen Stapeln von Paketen von Amazon und Couchpotatoes wird es kaum erreichen. Obwohl es gerade diese Leute sind, die Dörfler gerne ansprechen möchte. So ist das Schicksal der Propheten, es hören nur die zu, die eh der gleichen Meinung sind.
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