Nicole Zepter: Wer lacht noch über Zonen-Gaby?

Das Thema sollte doch inzwischen ausreichend durchgekaut sein. Irgendwann ist doch auch mal gut. Oder kann man dem Thema doch noch irgendwie neue Sichten, andere Aspekte beifügen? Habe ich mich vor der Leseprobe bei den Krautreportern selbst gefragt. Man könnte das Thema in der Tat abhaken, wenn es nur Vergangenheit wäre, aber noch immer sind viele der Schieflagen zwischen Ost und West nicht gerade gerückt. Noch immer sitzen in den Leitungspositionen der Unternehmen, Hochschulen und Medien fast nur westdeutsch sozialisierte Leute. Noch immer wird in Ostdeutschland weniger verdient als im Westen. Und noch immer ist von den Jammer-Ossis die Rede, wenn die Sprache auf die neuen Bundesländer kommt. Doch am schlimmsten ist, dass bei der ehemaligen DDR immer noch zuerst die Sprache auf Stasi, Trabbi, AfD und Bananenfreiheit kommt. Dabei ist Kühlungsborn anders als Wittenberg, und die Dresdener Neustadt erinnert mich eher an Kreuzberg. Stellt sich dazu die Frage, was denn »die DDR« gewesen sein soll. Die Menschen aus dem deutschen Osten gelten unverändert als rückständig, borniert und ein bisschen faul, sie hätten ja nie richtiges Arbeiten begriffen. Dass dieses Büchlein das wohl kaum ändern kann, leuchtet ein, doch Nicole Zepter möchte trotzdem aufzeigen, was da so schräg ist, warum Verständigung zwischen Düsseldorf und Leipzig noch immer ein schwieriges Unterfangen bleibt. Ich kann ihr da nur zustimmen, aus meinen eigenen Erfahrungen hier im Westen als häufiger Gast in Sachsen. Im Westen grassieren diese Meinungen und Stereotypen gerade bei den Leuten, die die Elbe noch nie in Richtung Osten überquert haben. Doch woher stammen diese Zuschreibungen?

Nicole ZepterWer lacht noch über Zonen-Gaby?

Ein Ausgangspunkt der Geschichte ist etwas, was auf dem Cover des Buches nur undeutlich zu erkennen ist. Die Titelseite des Satire-Magazins Titanic vom November 1989. Als ich dieses Bild sah, wurde ich wütend. Zonen-Gaby mit einer Banane in der Hand, die eine Gurke ist. Weil es nichts mit Satire, geschweige denn mit Humor zu tun hat. Es ist einfach nur eine menschenverachtende Unverschämtheit. Aber wenn diese Vorurteile, dieses Herabblicken auf Menschen aus Ostdeutschland, es sogar weit bis in links-liberale Kreise geschafft hat, muss die Situation bei Konservativen und beim Bevölkerungsdurchschnitt noch schlimmer, noch ärger sein. Es ist wirklich so, auch nach über 30 Jahren deutscher Einheit, dass Ossi beinahe ein Schimpfwort ist. Ost-Deutsche seien rückständig, würden sich dauernd beklagen und wären dazu noch demokratieunfähig. Nicole Zepter holt an dieser Stelle einmal tief Luft und legt los, geht noch einmal, weil auch Wessis manchmal etwas schwer von Begriff sind, zurück in die Achtziger. Nicht Kanzler Kohl hat die deutsche Einheit geschaffen, es waren die Menschen in den Straßen Leipzigs, Dresdens und in Ost-Berlin. Die Einheit ist der Verdienst des Ostens.

Die Währungsunion war nicht das Traumziel der Menschen in der DDR, es war der angeblich politisch unverzichtbare Faktor im Sinne der westdeutschen Regierung. Die Treuhand war einmal ganz anders gedacht, nämlich als Umverteilung des Volksvermögens der DDR an die Menschen in der DDR. Auch hier spielte der Westen eine unrühmliche Rolle, indem neoliberale Marktvorstellungen, befeuert von Thatcher und Reagan, der Treuhand einfach übergestülpt wurden. Privatisierung auf Gedeih und Verderb. Subsummiert haben westdeutsche Politiker und Wirtschaftsleute fast alles falsch gemacht, was man in den Sand setzen konnte. Obwohl es nicht nur in der SPD, sondern auch bei den Wirtschaftsweisen ganz andere Denkmodelle nebst Warnhinweisen gab. Was aber dabei kaum jemanden interessierte: Die Westdeutschen machten weiter wie bisher, die Ostdeutschen durften ihre Identität, ihre Kultur und ihre Lebensleistung entsorgen. Da wundert die Wut und die Enttäuschung da drüben wenig. Doch selbst davor stehen Wessis wie Ochs‘ vor dem Berg.

Nicole Zepters Buch „Wer lacht noch über Zonen-Gaby?“ ist jedoch keine Abrechnung. Schon gar keine Anklage. Stammt Zepter doch selbst aus Westdeutschland und kann deshalb den Blick auf das Leben in den Achtzigern im Westen wagen. Zu dieser Zeit begann ein Versuch der Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels Deutschlands in Schulen wie Medien. Scham war bis in die Jugend die Folge, als im Ausland nicht selten das Wort vom hässlichen Deutschen benutzt wurde. So gingen auch die Westdeutschen nicht unvorbelastet in das Abenteuer Wiedervereinigung, wenn auch mit einem vor sich getragenen Stolz auf den wirtschaftlichen und politischen Erfolg. Mir scheint nicht unwahrscheinlich, dass die inneren Verletzungen und Kränkungen dieser Zeit ein nicht zu vernachlässigender Teil der Geschichte waren. Der Meister tritt den Gesellen, der Geselle tritt den Lehrling, der Lehrling tritt auf der Stelle.

Die Stärke des Buches ist die unverstellte und unvoreingenommene Sicht Nicole Zepters in beide Himmelsrichtungen. Die Wessis sind nicht einfach die Bösen, die Ossis nicht einfach die Opfer. Die Wiedervereinigung war ein Zusammenkommen unter ungünstigen Bedingungen. Obwohl man nur hätte genauer hinhören müssen bei der Rede Angela Merkels in Halle am 3. Oktober 2021. Dort wurde die Geschichte nämlich genau so angesprochen wie bei Zepter (ab 6:55).

„40 Jahre Teilung brauchen 40 Jahre Heilung“, sagte Marianne Birthler, die ehemalige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Wir haben also noch einige Jahre Zeit. Die Voraussetzungen benennt Zepter klar und deutlich. Auf Augenhöhe aufeinander zugehen, die Ressentiments und Vorurteile ablegen, Verständnis aufbringen und das, was schlecht gemacht und gelaufen ist, auch so zugeben. Die Chance dazu gibt es noch.

Deutschlandfunk KulturLesart – Mit Nicole Zepter

 

Informationen über Nicole Zepter beim Klett-Cotta-Verlag.

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