Stephan Anpalagan: Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft
Vielen ist sicher noch das Zitat „Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen“ in Erinnerung. So richtig das Zitat ist, ist es aus dem Zusammenhang gerissen. Der Teil „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr“ davor wird immer weggelassen. Es stammt aus einer Rede von Max Frisch, ist aber eben nur ein Nebensatz. Es ging auch nicht um Deutschland und türkische Gastarbeiter, sondern um Schweizer und Italiener. Die kamen noch vor den Türken in die Alpenrepublik als Türken nach Deutschland, stießen auf Abwehr und Fremdenfeindlichkeit. Besonders berüchtigt waren Männer, denen das Messer in der Tasche locker saß. Nein, eben nicht Muslime in Deutschland, sondern Italiener in der Schweiz. Die ersten Gastarbeiter in Deutschland waren dann auch Italiener, nicht Türken. Die Italiener landeten gesellschaftlich wie in der Schweiz ganz unten. Erst als das Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen wurde, kamen türkische Gastarbeiter ab 1961 in die Bundesrepublik. Nun standen die Türken ganz unten und die Italiener durften aufsteigen. Diese Eingangsgeschichte wirft in Anpalagans Buch einen Blick zurück, in die Zeit, als das kleine Herrenvolk mit fremden Gebräuchen, Gerüchen und Gerichten konfrontiert wurde. Damals sprach noch niemand davon, Fremdenfeindlichkeit wie auch offener und subtiler Rassismus sei ein Phänomen des rechten Randes im politischen Spektrum. Schon damals waren es Themen der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft. Bis heute, so Anpalagan.
Damit führt Anpalagan in heute vertraute Diskussionen. Was ist eigentlich Deutsch? Was ist die vielfach beschworene Leitkultur, bei der man auf Nachfragen an die Erschaffer des Begriffs nur peinliches Stammeln hört? Was ist denn deutsche Identität und woran macht sie sich fest? Da würde der Ostfriese ganz andere Themen anschneiden als der Oberbayer, vom Sachsen und Schwaben ganz zu schweigen. Das Buch hat als wesentliches Ziel zu zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit immer noch ein Thema der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft ist. Die rechten Ränder mögen es drastischer und offener ansprechen, wie die NPD noch 1990 mit ihrem Slogan „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land“. Doch noch immer im 21. Jahrhundert bekommen eine Anke und ein Stephan viel leichter eine Wohnung oder einen Job als ein Çen oder eine Fatima. Und hatten wir bestenfalls geringfügige Besserung beim Wirken der Grünen und Sozialdemokraten, schwenkt mit einer kommenden Regierung Merz die öffentliche Debatte wieder in andere Richtungen.
Die bestehende Demografie und die Klagen der Handwerker und der Industrie zeigen deutlich, dass Deutschland nicht nur die Arbeitskräfte überhaupt ausgehen. Gerade Fachkräfte, ob Techniker, Ingenieure oder Wissenschaftler, werden immer rarer. Versucht man jedoch Fachkräfte im Ausland anzuwerben und teilt ihnen mit, dass der Arbeitsplatz in Magdeburg oder Dresden liegt, winken die Interessierten ab. PEGIDA und Chemnitz haben weit über Deutschland hinaus Bekanntheit erworben. Von Willkommenskultur ist in der Bundesrepublik eh nur etwas in Politikerreden zu hören. Ohne perfekte Deutschkenntnisse scheitert man in Deutschland schon beim Brötchenholen. Je tiefer man in diese Geschichten eintaucht, und das ist im Grunde Anpalagans Absicht, desto deutlicher wird es, dass Fremdenfeindlichkeit eben kein Hobby der Neonazis und rechten Spinner ist. Nicht nur in Deutschland, aber gerade hier, reichen Ressentiments und Ablehnung gegenüber Fremden bis tief in die Mitte der Gesellschaft. Man braucht dem früheren Leiter des Verfassungsschutzes, ehemaligen Verkehrs- und Innenministern, sogar als liberal verkleideten Kabarettistinnen nur zuzuhören. Jenseits aller Kriminalstatistiken werden alle Nordafrikaner und Araber zu Messerstechern und Vergewaltigern. Der Rassismus sitzt tief im deutschen Gemüt. Das empfindet Stephan Anpalagan als gebürtiger Singhalese mit rheinischer Prägung immer noch sehr stark. Oder wie er es formuliert: Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben. Und doch liebt er es.
Stephan Anpalagan liefert keine brandneuen Erkenntnisse oder verblüffende Recherchen. Er fasst nur das zusammen, was eigentlich jede und jeder im Alltag hören und beobachten kann, was beinahe täglich in den Medien zu finden ist. Was einem doch eigentlich der oft beschworene gesunde Menschenverstand sagen müsste. Das wichtigste Thema im Buch ist es zu zeigen, dass Fremdenfeindlichkeit eben kein rechtes Muster ist, stattdessen Teil des deutschen Alltages. Als wenn Migration und das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien, Religionen und Weltsichten eine Erfindung der Neuzeit wären. In diesem Sinne kein Buch für neue Erkenntnisse, sondern eine lesenswerte Betrachtung des Status Quo. Auch wenn der Titel des Buches es leider nicht auf den Punkt bringt.
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