Lobos Debatten-Podcast und der digitale Tribalismus

Sascha Lobo: Der Debatten-Podcast

Sascha Lobo: Der Debatten-Podcast

Seit vielen Jahren höre ich, bedingt durch meine Autobahnfahrten,  im Mittel fünf bis sechs Stunden pro Woche Podcasts. Dank WDR5 und Deutschlandfunk, 4000 Hertz und Spiegel Online bin ich eher überversorgt und kann oft Themen erst einige Wochen nach Ausstrahlung abarbeiten. Manche Sendungen sind informativ und zugleich unterhaltend, wie Alles in Butter mit Helmut Gote, manche üben das Denken und den Verstand, wie Das Philosophische Radio mit Jürgen Wiebicke. Und doch lässt sich dann und wann ein Erkenntnisgewinn verbuchen. Bisher nicht sehr häufig war das beim Spiegel Online-Podcast Der Debatten-Podcast von Sascha Lobo der Fall. Bis dann eine Sendung in meinem Auto ans Laufen kam, die meinen Blick nicht nur auf Soziale Medien, sondern insgesamt auf unsere Gesellschaft nicht unbedingt verändert, aber erklärlicher gemacht hat. Das legt Lobo plausibel und verständlich auf, und das macht die Folge #81 seines Podcastes so bemerkenswert.

In diesem Podcast warf Lobo einen Blick auf Hans-Peter Friedrich, den CSU-Politiker, der sich als Mitglied einer eindeutig demokratischen Partei im Süden Deutschlands oft genug als Wuttwitterer profiliert, gerne gegen Angela Merkel gewettert hat und auch sonst verbal nicht zimperlich ist. Lobo stellt die These auf, dass ein Retten der Demokratie nicht durch die Linken, Sozialdemokraten und Grünen gesichert werden kann, sondern nur durch Parteien und Politiker, die konservativ genug sind, Wähler davon abhalten können, ihr Kreuzchen noch weiter rechts zu machen. An der Stelle stimme ich mit Lobo auch darin überein, dass sich das politische Spektrum nicht mehr nur als rechts oder links darstellt, sondern als links, konservativ und rechts. Ein weiteres Erstarken des rechten Randes der Gesellschaft können nur konservative, wenn nicht erzkonservative Politiker und Parteien verhindern. Das ist plausibel und schon einen Gedanken wert. Oder glaubt jemand, dass ein AfD-Wähler demnächst wegen der guten Argumente die Grünen wählt? Nein, da muss mehr hinterstecken.

Was nun den Erkenntnisgewinn meinerseits angeht, kommt Sascha Lobo in der Mitte des Podcasts auf den digitalen Tribalismus zu sprechen. Tribes ist das englische Wort für Stämme und digitaler Tribalismus bezeichnet die Stammbildung in digitalen Medien aller Coleur. Lobo meint, dass es gerade, aber nicht nur, in den sozialen Medien nicht mehr um eine individuelle Meinung und den Diskurs darüber geht. Stattdessen, und auch das geht auf Forschungen in den USA zurück, wird der Stamm wieder von hoher Bedeutung. Eine Sammlung von Individuen, mit denen ich etwas teile, seien es Meinungen und Emotionen, oder einfach die Sicht der Welt. Die Entscheidung, gegen wen ich bin und für wen, richtet sich nach dem Nutzen für meinen Stamm, oder welchem fremden Stamm ich damit maximal schaden kann. Ich wähle AfD, weil sich die Linksgrünversifften darüber so herrlich aufregen. Das ist nicht einfach ein Protestwählen. Dahinter steht demnach nicht eine intellektuelle oder rationale Entscheidung, sondern ein geradezu instinktives Reagieren auf die Umgebung. Fremder Stamm, riecht schlecht, ist schlecht, ist gefährlich und verursacht den Untergang der westlichen Zivilisation. Aus vielen Individuen werden wieder Stammesangehörige, die in archaischer Manier nur noch für ihren Stamm kämpfen. Und das bis zum bitteren Ende. Offen bleibt die Frage, ob das nur am rechten Rand der Politik geschieht. Ich denke nein, denn die Reaktionen und das Verhalten von Linksextremen und Autonomen ist nicht anders. Es geht nur noch um den Kampf, um das Durchsetzen, um die Disqualifikation der anderen Stämme.

Zu klären wäre, woher diese Entwicklung gekommen ist, ob sie eventuell sogar erst durch die Digitalisierung ermöglicht wurde, durch das Internet für Jedermann. Frappierend jedoch, wie sie auf viele Bereiche passt und zumindestens ein Verhaltsmuster erklärt. Seien es Menschen, die einen dauerlügenden, herumpestenden und grenzdebilen Präsidenten stützen. Oder Gruppen, für die völlig irrational alle Flüchtlinge und Migranten Verbrecher und Gangster sind, sagen Statistiken auch noch so deutlich etwas anderes. Oder Zeitgenossen, für die Tempo 130 das Ende aller Mobiltät bedeutet, und der Rest der Welt nur aus Autoidioten besteht, die dauernd auf der Bahn einschlafen, die zu dumm sind, ordentlich den Sprit durch den Auspuff zu jagen. Das Modell des digitalen Tribalismus erklärt viele Entwicklungen, vor denen ich bisher nur staunend gestanden habe, Entwicklungen, die ich bisher nicht verstanden habe. Das Tribalismus-Modell behebt diese Fehlstellungen nicht. Aber wenn ich Kopfschmerzen habe, ist mir wohler, wenn ich weiß, dass es an einem oder zwei Gläschen zuviel Wein am Vorabend liegt.

Der Debatten-Podcast ist auf Soundcloud zu hören, ein Link liegt hinter dem markanten Bild auf der rechten Seite.

 

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