Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten
Juli Zehs Roman «Über Menschen» hatte es mir schon ziemlich angetan. Da ich mir das aktuelle 1.400 Seiten-Monsterbuch nur nach und nach erarbeite, brauche ich zwischendurch Auszeiten. Also mal wieder ein Roman. Theresa und Stefan haben einmal zusammen gewohnt, sind dann aber getrennte Wege gegangen. Nach über 20 Jahren treffen sie sich zufällig wieder. Stefan ist Redakteur in einem Hamburger Magazin, Theresa hat den Hof von ihrem Vater in Brandenburg übernommen. Zwei Welten treffen auf einander, hier der immer mit Gendersternchen schreibende Journalist mit Gutmenschentum, dort die mit den Problemen der Landwirtschaft ausgelastete Landwirtin. Ein persönliches Treffen in Hamburg endet im Desaster. Trotzdem tauschen sie sich weiter aus, über Messenger und E-Mail. Streiten sich, belehren sich, machen die Spaltung der Gesellschaft greifbar. Eher unerwartet eskalieren die beiden Geschichten. Ein unbedachter Spruch des Chefredakteurs des „BOTEN“ über eine neue Kollegin führt zum existenzgefährdenden Shitstorm, ausbleibender Regen und der Brand einer Trockungsstrecke für die Biogasanlage sind nur die Vorboten der weiteren Entwicklungen. Juli Zeh und Simon Urban nehmen sich die komplette heutige Lebenswelt im Digitalen und Analogen vor.
Man kann Zeh und Urban vorwerfen, dass sie die üblichen Klischees weit und monoton ausbreiten. Journalist Stefan ist am Anfang die personifizierte Wokeness, dessen größtes Problem die korrekte Verwendung von Gendersternchen und die Teilnahme an Seminaren zu relevanten Themen wie White Supremacy zu sein scheint. Der den Klimawandel aus einer theoretischen Perspektive heraus bekämpfen will, indem er eine „Klima-Ausgabe“ seiner Zeitung vorantreibt. Auf der anderen Seite Theresa, die als Landwirtin mit Bio-Hof ganz praktisch mit den Auswirkungen eben dieses Klimawandels konfrontiert ist. Doch auf ihrem Hof auch einen AfD-Wähler beschäftigt, eben weil sie in ihrer brandenburgischen Umgebung keine Alternativen hat. Weil diese trotz ihrer politischen Orientierung aus ihrer Sicht „trotzdem“ anständige Menschen sein können. Da schließt sich ein wenig der Kreis zu ihrem Buch «Über Menschen». Der Zündstoff ist also offensichtlich. Und doch setzt sich die Geschichte am Ende anders fort als erwartet. Auf beiden Seiten, in Hamburg und in der Prigniz.
Es gibt keinen Erzählstrang im Buch, sondern nur den protokollartigen digitalen Austausch. Ungewohnt, aber Zeh und Urban schaffen dadurch eine Realitätsnähe, wie wir E-Mails und Whatsapps bei uns selbst kennen. Vielleicht sind die Figuren etwas überzogen, etwas sehr nahe am Klischee. Auch die Zeitlinie scheint nicht immer plausibel. Den Kern der Geschichte trifft es trotzdem. Die jeweils eigene Lebenswelt ist die einzig richtige, die Leben in Stadt und Land differenzieren sich immer weiter aus, immer mehr Unverständnis für andere Realitäten. Bis hin zum oft katastrophalen Einfluss moderner Medien, wo Kreuzritter mit Internetanschluss und die Dirigenten der Shitstorms Karrieren ruinieren und Menschen in den Untergang treiben. Ohne nur eine Spur von Ahnung, was sich hinter den Dingen wirklich abspielt. Das Digitale ersetzt das wirkliche Leben, darin Menschen, die hilflos ausgeliefert sind. Oder dort ihre Machtgelüste ausleben. Doch auch die andere Seite ist Thema, Landwirte, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, denen Berlin und Brüssel tagtäglich Hürden und Blockaden vor die Nase setzen.
Es ist schon ein gehöriger Brocken, den sich Zeh und Urban vorgenommen haben. Überzeichnungen und Übertreibungen sind kaum zu umgehen. Manche Stereotype tun geradezu weh. Ob sich die Geschichte im Alltag so abspielen könnte, ist fraglich. Doch das ist nicht Sinn von Romanen, sie sind Fiktion und keine Tatsachenberichte. In diesem Sine ist das Buch ein Hinweis, über Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft nachzudenken. Warum es sie so extrem wie heute vor der digitalen Zeit nicht gegeben hat.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!