Arlt/Becker/Mann/Wirtz: Einsam in Gesellschaft

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen zunehmende Einsamkeit, bei älteren Menschen in der letzten Lebensphase und eher unerwartet bei jüngeren Menschen zwischen 19 und 25 Jahren. Beide Gruppen deshalb, weil bei ihnen starke Veränderung im Lebensverlauf auftreten. Einerseits Eintritt in den Ruhestand, Verlust der Partnerin oder des Partners, Verselbstständigung der Kinder. Dann wieder Studienbeginn, Umzug, Wegbrechen der gewohnten Kontakte zu Familie und Freunden. Das Buch «Einsam in Gesellschaft» mit sehr unterschiedlichen Beiträgen zum Thema Einsamkeit ist zum großen Teil an der TU Dortmund entstanden, durch eine Vortrags- und Diskussionsreihe unter dem Arbeitstitel „Lonely Lectures: Perspektiven auf Einsamkeit“. Die Beiträge reichen von rein wissenschaftlichen Sichten auf das komplexe und nicht immer leicht zu fassende Thema, bis hin zu Praxisberichten aus der Bahnhofsmission oder Hospizarbeit. Damit wird klar, dass dieses Buch nicht als Ratgeber für Menschen mit Einsamkeitsgefühlen gedacht ist, sondern eher für professionell betraute Leute in der Beschäftigung mit alleinstehenden oder einsamen Menschen. Eindeutiger Schwerpunkt ist die Betrachtung der Einsamkeit aus wissenschaftlichem, speziell sozialwissenschaftlichem und psychologischem Blickwinkel. Trotzdem kommt die Praxis nicht zu kurz.

18 Beiträge plus Einleitung und Abschlussbetrachtung decken insgesamt ein weites Feld ab. Die ersten Schwierigkeiten kommen schon am Anfang zur Sprache, wo Einsamkeit definiert werden soll, wie sich Einsamkeit darstellt und vom Alleinsein abhebt. Einsamkeit ist auch kein rein negatives Gefühl, Einsamkeit kann auch gesucht werden. Gerade Künstler haben die Einsamkeit als Quelle für Inspiration und Selbstvertiefung bewusst gewählt. Einsamkeit heißt ebenso nicht, keine Menschen um sich herum zu haben. Gerade in den urbanen Zentren ist die Einsamkeit stärker verbreitet als in ländlichen Gegenden, wo der Smalltalk mit dem Nachbarn und das Vereinsleben noch eher zum Alltäglichen gehören. Deshalb ist die Einsamkeit begrifflich schwer zu fassen, weil sie immer ein subjektives Erleben ist. Selbst Menschen, die in einer Familie leben, oder mit vielen Kontakten, können sich am Ende doch einsam fühlen. Einsamkeit wird zutreffend definiert als ein Abweichen der tatsächlichen sozialen Einbindung von der gewünschten. Der Hintergrund sind nicht selten Gefühle des Aussortiertseins oder der Unsichtbarkeit. Die wissenschaftlichen Beiträge helfen bei einem grundlegenden Verständnis, was Einsamkeit ist, woraus sie entsteht und warum sie ein so persönliches Problem werden kann.

Die praktisch orientierten Beiträge sind wesentlich vielfältiger und lesbarer. Queere Einsamkeit in der Weimarer Republik, Sterben, Tod und Einsamkeit, Telefonieren gegen die Einsamkeit im „Silbernetz“, beraterische Unterstützung an der Universität oder Einsamkeit unter Wohnungslosen. Diese Berichte aus der Realität und dem Alltag repräsentieren nicht nur die unterschiedlichen Ursachen und Auswirkungen der Einsamkeit, sondern auch wie Organisationen und Projekte Auswege daraus suchen. Dabei werden auch umfassendere Auswirkungen der Einsamkeit auf Krankheit, Armut und Mortalität fassbar und plausibel. So empfand ich die Schilderungen der Praktiker wesentlich informativer. Denn sie beschäftigen sich mit einsamen Menschen nicht aus einer theoretischen Betrachtung. Insgesamt ist das Buch jedoch wesentlich auf die wissenschaftliche Seite ausgelegt. Beides zusammen, Theorie und Praxis, bieten dennoch insgesamt eine sehr informative und tiefgehende Beschäftigung mit einem alltäglichen Thema. Das leider fast immer als Tabu betrachtet wird.

 

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