Barbara Bleisch: Mitte des Lebens
Es seien schon viele Bücher über den Beginn des Lebens und über den Weg in ein gutes Leben geschrieben worden, ebenso über den Tod, meint Barbara Bleisch. Also wäre es Zeit gewesen, ein philosophisches Werk über die Mitte des Lebens zu schreiben, die sogenannten besten Jahre. Sie meint damit das Alter von ca. 50 bis 60 Jahren, also nicht die arithmetische Mitte, sondern die Jahre vor dem subjektiven Alter. Was schwanken kann, manche Leute sind ja bekanntlich schon Mitte 40 steinalt und verknöchert. Und doch wird diese Phase des Lebens bei Männern und Frauen immer noch unterschiedlich gesehen. Zumindest in der männlichen Sichtweise steht diese Zeit, hier greift etwas die Lebensrealität der Autorin, für den Höhepunkt der beruflichen Karriere, die wesentlichen Etappen des Lebens liegen hinter einem, vieles ist erledigt oder bewältigt und es sollte etwas Ruhe und Ausgeglichenheit einkehren. Tatsächlich ist das eher selten der Fall. Diese mittleren Jahre sind oft eine Zeit der Rückschau, was gelungen ist, was erreicht wurde, oder eben daneben gegangen. Nicht zuletzt hadern viele Menschen mit unerreichten Zielen und verpassten Gelegenheiten, geraten in eine 1957 vom kanadischen Psychoanalytiker Elliott Jaques so genannte „midlife crisis“. Oder lässt sich dieser Lebensphase noch etwas anderes abgewinnen? Etwas Positives vielleicht?
Barbara Bleisch kenne ich schon seit vielen Jahren, ihre Sendung „Sternstunde Philosophie“ im SRF, im Schweizer Radio und Fernsehen, habe ich immer gerne gesehen. Zudem gehöre ich nach eigenem Empfinden zur Zielgruppe des Buches, auch wenn ich die 60 schon länger hinter mir habe. Doch schätze ich, ich bin ganz gut „dabei geblieben“. Aber ich kann bestätigen, dass seit dem Austritt aus dem Status des Lohnabhängigen der Blick verengt ist, dass der Satzanfang „Hätte ich doch damals …“ gar zu oft in Anspruch genommen wird. Entgegen Erwartungen oder Befürchtungen, man könnte hier einen Ratgeber in der Hand halten, geht es im Buch lediglich um eine philosophische Betrachtung der Lebensmitte. Die üblichen Verdächtigen kommen zu Wort, von Sokrates und Platon bis zu Wittgenstein und Adorno, gerade wenn sie selbst mit den Fragen des Alterns und Vergehens konfrontiert waren. Nimmt man sich diese Sichten und Interpretationen zu Herzen, ist in der Tat der Blick zu negativ, werden Seelenzustand und Gemüt zu oft davon geprägt, was nicht gelungen ist. Der Fokus liegt meist darauf, was aus aktueller Sicht nicht gut entschieden oder schlecht gewählt war. Die Frage ist also, wie kann der Blick geweitet werden, welche anderen Bewertungen stehen bereit, die etwas schwermütige und pessimistische Sichtweise aufzuhellen?
Barbara Bleisch hat einiges dazu zusammen getragen. Wenn auch philosophisches Buch, bleibt die Lebensrealität nicht außen vor. So mancher Einwand meinerseits beim Lesen kam dann sehr schnell zur Sprache, oft schon im nächsten Kapitel. «Mitte des Lebens» ist keineswegs eine theoretisierende, abgehobene Abhandlung. Das Buch bleibt erstaunlich dicht am alltäglichen Leben und den Fragen, die sich in diesem Lebensabschnitt stellen. Zudem macht es klar, dass diese Fragen keine Einzelfälle sind, dass man nicht allein ist mit der Plage, den kreisenden Gedanken. Dass schon Philosophen im alten Griechenland in einer ganz anderen Lebensrealität mit genau solchen subjektiven und objektiven Problemchen ihren Kampf hatten. Da trotz aller Philosophie und Gedankentiefe Barbara Bleisch immer im Alltagsjargon bleibt, passen ihre Gedanken auch in den Alltag. Sie fordern auf, die Blickrichtung zu ändern, den Fragen und Grübeleien eine neue Richtung zu geben. Dazu gehört auch, mit gewohnten Begrifflichkeiten anders umzugehen, wie zwischen Reue und Bedauern feiner zu unterscheiden. Eines würde ich jedoch noch hinzufügen. Das Buch eignet sich zudem hervorragend für junge Erwachsene, denen die besten Jahre noch bevorstehen. Als Vorbereitung, was da noch so alles auf sie zukommt. Smiley.
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