Robert Rauh: „Die Mauer war doch richtig!“

Ab Sonntag, dem 13. August 1961, machte die DDR gegenüber dem Westen dicht. Zuerst waren es Rollen aus Stacheldraht und sowjetische Panzer an den wichtigen ehemaligen Schnittstellen zwischen Ost und West. Wie am Brandenburger Tor. Über die Jahre wurden daraus eine Betonmauer mit Todesstreifen und Selbstschussanlagen. Daraufhin kam es zu Demonstrationszügen, Protesten und Kundgebungen. In West-Berlin und in der Bundesrepublik. In der DDR dagegen war es ruhig, kein Aufstand und keine wirkliche Regung, höchstens Ungläubigkeit und Betroffenheit. Die wenigen Versuche von Versammlungen wurden sofort aufgelöst. Also ganz anders als am 17. Juni 1953, oder nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Nachdenklich wurde der Autor, als ein wohl ehemaliger Bürger der früheren DDR bei der Besichtigung der früheren Grenze an der Berliner Bernauer Straße die Frage eines Schülers mit dem Satz „Die Mauer war doch richtig!“ beantwortete. Nämlich als der Schüler fragte, warum sich die Menschen in der DDR 1961 nicht gewehrt haben. Zuerst kann man alle denkbaren Gründe dafür finden, dass aus der Bevölkerung der DDR praktisch kein Widerstand kam. Angst vor Konsequenzen durch die DDR-Staatsmacht, Angst von Jobverlust oder sogar Gefängnis, oder Resignation. Oder Zustimmung. Robert Rauh geht in diesem Buch der Geschichte nach, warum die Bevölkerung der DDR damals stumm blieb, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Erscheint dieses Thema zuerst als sehr fokussiert, bietet dann der Verlauf der Betrachtung viele Einblicke in den realsozialistischen Staat der sowjetischen Zone, in das Leben, aber auch in Denkweisen und Überzeugungen seiner Bewohner. Ein weiterer Puzzlestein  der rätselhaften Welt, die Wessis noch immer zu ergründen versuchen.

Robert RauhDie Mauer war doch richtig!

Dabei hatte die Grenzschließung für die Menschen, die an den Grenzen oder in Berlin wohnten, teilweise drastische Folgen. Nicht nur der Kontakt zu Verwandten oder Freunden im Westen wurde unterbrochen, auch Einkaufen oder Arbeiten im Westen war nicht mehr möglich. Von Reisen, Kinobesuchen oder nur Spaziergängen im kapitalistischen Paradies ganz zu schweigen. Immerhin waren in der DDR noch drei Prozent der Bevölkerung im Westen berufstätig. Bis zum August 1961 konnte noch beliebig zwischen den Sektoren verkehrt werden. Das hatte jedoch noch weitere Entwicklungen zur Folge. West-Berliner kauften gerne im Osten ein. Als Beispiel kostete ein Herrenhaarschnitt im Osten 1961 1,10 Ost-Mark, umgerechnet 25 West-Pfennig. Der Schnitt im Westen schlug mit 2 West-Mark zu Buche. Lebensmittel für den Grundbedarf waren ähnlich billig. Ich selbst habe in den Achtzigern bei Berlin-Besuchen viele Fachbücher für Physik, Chemie oder Mathematik in Ost-Berlin gekauft, sie kosteten dort höchstens ein Drittel des Preises im Ruhrgebiet. Doch die offenen Grenzen hatten noch einen weiteren Effekt. Bis 1961 hatten sich drei der ehemals 20 Millionen Einwohner auf den Weg in den Westen gemacht, allen voran gut ausgebildete Fachkräfte und Ingenieure. Die Führung der DDR hatte im Grunde gar keine andere Wahl, als das Land dicht zu machen, weil es sonst leer gelaufen wäre. Und die guten Einkommen der Ossis im Westen und die Einkäufe der Wessis im Osten sorgten für weiteres böses Blut. Der Termin für die Abriegelung war nicht zufällig. Es war eben ein Sonntag mit bestem Sommerwetter, die meisten Leute waren ins Grüne oder in Urlaub gefahren.

Doch Proteste oder Widerstand im Osten blieben aus. Im Gegenteil, große Teile der Bevölkerung und besonders der Künstler begrüßten die Maßnahme. Nur aus der Intelligenz und aus den Hochschulen kamen einzelne Einwände, die oft aber lieber im privaten vertrauten Kreis diskutiert wurden. Und doch stieg zuerst die Anzahl der Fluchtversuche in den Westen. Ende August 1961 kam es zum ersten Toten an der Grenze, der im Humboldthafen in Berlin von Grenztruppen erschossen wurde. Rauh erschließt aus Umfragen, Artikeln und Statistiken der SED und unabhängiger Beobachter, dass die Mauer zwar als hinderlich und ärgerlich gesehen wurde, die Maßnahme aber überwiegend begrüßt wurde. Selbst von Wolf Biermann, der ein Problem mit diesem Staat hatte, doch nicht mit der Mauer. In den weiter von der Grenze entfernten Gegenden war die Schließung sogar kein Thema, wie in Sachsen oder Mecklenburg. Rauh zeigt nach seiner tiefgehenden Betrachtungen vier Hauptgründe für den ausbleibenden Widerstand und die Zustimmung aus. Angefangen von den wirtschaftlichen Problemen in der DDR besonders in dieser Zeit, der mangelhaften Grundversorgung mit Lebensmitteln und notwendigen Dingen des täglichen Bedarfs, bis hin zu schlichter Angst vor dem Staat. Auch hatten viele Leute die Hoffnung, die ganze Sache sei nur eine vorübergehende Erscheinung, und der Rückzug der DDR von der Welt könnte eine Liberalisierung und Demokratisierung ermöglichen. Diese Annahmen, oder Hoffnungen, waren leider falsch, die Repressionen nahmen nach der Grenzschließung sogar zu. Das Bonmot der Geschichte ist eigentlich, dass es bei den Protesten im November 1989 auch nicht um die Beseitigung der Mauer ging, sondern um eine Reform und einen Umbau des sozialistischen Staates namens DDR. Dass am Ende die Mauer fiel, war eher ein Kollateralschaden als Ziel der Proteste.

Obwohl das Thema des Buches die Mauer zwischen Ost und West ist, zeigt die ganze Geschichte doch viel mehr über die innere Befindlichkeit der DDR, über die Art von Leben drüben, über das Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung, über die Lebenswirklichkeit in den ostdeutschen Ländern. So nähert sich Rauh viel deutlicher an den Fragenkatalog der Wessis heran als viele Bücher, die genau das Leben in der DDR zum Thema hatten. Es wird ein Stückchen transparenter, wie die DDR war und warum. Das Buch erklärt natürlich nicht alles, aber für ein Gesamtbild der DDR leistet es einen wichtigen Beitrag. Gerade für die Wessis.

Robert Rauh studierte von 1988 bis 1991 Archivwissenschaften bei Botho Brachmann an der Humboldt-Universität zu Berlin und von 1991 bis 1996 Geschichte und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Bevor er 2001 in den Schuldienst wechselte, war Rauh als Lehrgangsleiter an der DEKRA-Akademie und als Fachreferent für Gesellschaftswissenschaften im Cornelsen Verlag tätig. Seit 2001 arbeitet er in Berlin als Lehrer für Geschichte, Politik und Deutsch und seit 2008 als Fachseminarleiter Geschichte am 2. Schulpraktischen Seminar. Robert Rauh ist Autor und Herausgeber von Geschichtslehrwerken. Darüber hinaus moderiert Rauh seit 2011 die „Schönhausener Schlossgespräche“ im Schloss Schönhausen (Berlin-Pankow) mit Prominenten aus Kultur, Politik und Sport. Zur Wiedereröffnung der Hohenzollern-Residenz als Museumsschloss im Jahr 2009 konzipierte er für die Dauerausstellung die Geschichte des Schlosses in der DDR. […]

Dieser Text basiert auf dem Artikel Robert Rauh aus der freien  Enzyklopädie Wikipedia  und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

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