Bill Bryson: The Road to Little Dribbling
Manchmal überfallen mich wunderliche Gelüste. Zum Beispiel mal wieder ein englisches Buch zu lesen. Um mit der Heimat meines Herzens in enger Verbindung zu bleiben. Zum Glück hatte ich noch einige auf der Einkaufsliste, eines davon von einem meiner liebsten Autoren, Bill Bryson. Der US-Amerikaner aus Iowa, der 1973 in Großbritannien als Journalist seine Frau kennenlernte und blieb. Aus Liebe zu seiner Frau, und später aus Liebe zu dieser Insel. Arbeitete zuerst für die englischen Zeitungen «The Times» und «The Independent», besserte mit Reiseberichten sein Einkommen auf. Mit einem Buch über seine erste Reise, «Notes From a Small Island», sein Kennenlernen der neuen Heimat, gelang Bryson 2003 der Durchbruch als Autor. Seitdem ist er bekannt, in Großbritannien eher berühmt. Das war auch das erste Buch mit dem deutschen Titel «Reif für die Insel», das ich von ihm gelesen habe. Diese zweite Reisebeschreibung, erschienen 2015, ist bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden. Das hat seinen Grund, denn interessant ist es erst dann, wenn man wenigstens einige Gegenden und Orte, die Bryson beschreibt, selbst kennt. Bei mir waren es die meisten Gegenden, Dörfer und Städte, was die Spannung noch steigerte. Also heute ein englisches Buch. Zugleich ein Lob an die ÜbersetzerInnen der deutschen Ausgaben seiner Bücher, denn sie haben in diesen das erhalten, was auch die englischen Bücher von Bryson ausmacht: pures Lesevergnügen.
Brysons Verleger kam auf die Idee, dass man den Erfolg des ersten Buches noch einmal aufgreifen könne. Dieses Mal nicht eine Rundreise von hier nach dort, sondern das Maximum. Eine Tour vom südlichsten zum nördlichsten Punkt Großbritanniens. Bryson enthüllt schon am Anfang, dass die im britischen Einbürgerungstest erwartete Antwort falsch ist, denn sie führt nicht ausschließlich über Land. Daraus entsteht die «Bryson Line», von Bognor Regis an der Kanalküste zu Cape Wrath in Schottland. Doch so einfach geht die Geschichte nicht. Fast die gut erste Hälfe des Buches ist er im Süden der Insel, in Sussex, Devon, Hampshire, Cornwall. Besucht Stonehenge, vergleicht seine Erinnerungen an Penzance, Torquay oder die South Downs aus früheren Besuchen. Erst ab der Mitte des Buches geht es weiter nördlicher. Aber noch nicht wirklich nach Norden. East Anglia, Norfolk, Suffolk, die Midlands bis herüber nach Wales. Dann weiter nördlicher Westen bis Liverpool und Blackpool. Tatsächlich unternimmt Bryson nur sehr selten Reisen in wirklich neue Gegenden, in der Hauptsache bewegt es sich dort, wo er irgendwann schon einmal war. Und sei es nur eine Übernachtung im Schlafsack auf einer Wiese in Fishguard, früher der wichtigste Fährhafen nach Rosslare in Irland. Weiter geht es nach Lancashire, in den Lake District, in die Yorkshire Dales, über Durham und Newcastle, bis er dann endlich in Schottland ankommt. Doch wichtige Geschäfte rufen ihn zurück nach Hause. Erst später macht er sich mit dem Nachtzug auf die Reise bis Ullapool und dem Ende der Bryson Line, Cape Warth. Was ist da oben zu sehen? Eigentlich nix.
So gesehen ist Brysons Buch eine erweiterte Wiederholung von «Notes From a Small Island», nur dieses Mal quer über die Insel. Es ist keineswegs ein Reiseführer, nicht einmal eine Liste der wichtigen Sehenswürdigkeiten. Es ist Brysons Sentimental Journey. Er erzählt von seiner Vergangenheit an diesen Orten, von Erlebnissen, Anekdoten, Geschichten nach vierzig Jahren auf der Insel. Das ist der eine Bestandteil. Der andere ist die Reflektion über seine alte Heimat, Iowa, und seine neue, Großbritannien. Wie unterschiedlich die Menschen, das Land, die Sitten und Gebräuche. Dabei nimmt er eine eher ungewöhnliche Position ein, einerseits ist er vergleichender Beobachter aus den USA, andererseits inzwischen integrierter Teil des englischen Kulturraums. Stilistisch typisch Bill Bryson, ironisch mit seinen Mitbürgern, selbstironisch danach, nie verletzend oder herabwürdigend. Mit viel britischem Humor verwebt er Geschichten und Kultur, kritische Beobachtungen und Anerkennung. Man könnte auch sagen, das Buch ist natürlich ein echter Bryson. Ob nun Zufall oder Realität, kann ich mindestens 80% seiner Aussagen bestätigen. Vor allen Dingen, dass es selten irgendwo so liebliche Landschaften, merkwürdige und zugleich liebenswürdige Menschen sowie seltsame Gebräuche und Ortsnamen dort auf der Insel in der Nordsee gibt. Eine Art Liebeserklärung an seine schon nicht mehr ganz so neue Heimat. Deshalb komme auch ich von dort ja einfach nicht los. Wie Bill Bryson.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!