Christoph & Sophie Schönberger: Die Reichsbürger
Lange Zeit waren die sogenannten Reichsbürger eher eine unsichtbare Truppe. Zwei Ereignisse brachten sie mehr in die Öffentlichkeit. Im Dezember 2022 rückten 3.000 Polizisten zu einem der größten Anti-Terror-Einsätze in Deutschland aus, um 137 Wohnungen zu durchsuchen und 25 Leute um Heinrich Prinz Reuß, „Heinrich den XIII.“, Nachfahre eines thüringischen Fürstenhauses, festzunehmen. Die Gruppe wollte den Bundestag stürmen, Politikerinnen und Politiker erschießen und eine neue Regierung einsetzen. Zwei AfD-Abgeordnete gehörten auch zu der spöttisch als „Rollator-Revolte“ bezeichneten Bewegung. Der zweite Fall war Wolfgang Plan. Als Polizisten seine Waffensammlung beschlagnahmen wollten, schoss er durch die Haustür auf sie, ein Beamter starb kurz danach an den Verletzungen. So skurril und wirklichkeitsfremd diese Leute erscheinen mögen, stellen sie doch eine Bedrohung dar, da sie die Bundesrepublik und ihre Repräsentanten und Institutionen als illegitim betrachten, ihre Häuser zu eigenständigen Staaten erklären und in Einzelfällen nicht vor Gewalt zurückschrecken. Tatsächlich gibt es die Reichsbürger seit den Achtziger Jahren, erst ab 2000 bekamen sie auch öffentliche Aufmerksamkeit. Ihre wichtigste Verschwörungserzählung ist, dass die BRD ein Privatunternehmen der Alliierten sei, eigentlich immer noch das Deutsche Reich von 1871 weiter existiere. Man mag zuerst über diese Verwirrten lachen, aber sie werfen tatsächlich juristische Probleme auf. Und Fragen, wie man mit ihnen umgeht.
Wenn es so etwas wir einen ersten Reichsbürger gab, dann war das Wolfgang Ebel. Die Geschichte ist ziemlich kurios. Nach dem zweiten Weltkrieg erklärte das neu geschaffene Bundesverfassungs-Gericht, dass das Deutsche Reich, also das Kaiserreich von 1871, im Prinzip nicht untergegangen sei, sondern wie eine juristische Mumie ohne irgendeine Ausprägung weiter existiere. Die BRD sei damit eher eine Organisationsform, die DDR hatte sich selbst neu gegründet und die BRD wäre der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, aber mit diesem nur teilidentisch. Eine Ausnahme gab es: West-Berlin. Nicht Teil der DDR, nicht Teil der BRD. Dafür fuhr nun in West-Berlin noch die Deutsche Reichsbahn, betrieben von der DDR. Erst später übernahm West-Berlin die S-Bahn im Westteil. Wolfgang Ebel wurde entlassen und begann nun seinen Kampf, er sei wieder einzustellen, weil West-Berlin ihn ja nicht kündigen konnte, sondern nur das Reich. Erst später kamen weitere Leute auf die Idee, das Deutsche Reich würde ja noch weiter bestehen und die BRD sei eine private GmbH, deshalb kein Staat und als solcher rechtswidrig. Die Begründung, der „Personalausweis“ würde anzeigen, dass die Leute nur Personal einer Firma seien, sonst müsste es „Personenausweis“ heißen, ist da fast schon ein Kalauer.
Es folgten weitere Leute, die man als Reichsbürger bezeichnet. Wie Rüdiger Hoffmann oder Xavier Naidoo. Sie zogen gelbe Linien um ihr Grundstück, stellten selbst gedruckte Pässe aus, gründeten Königreiche und sogar eigene Banken. Da die BRD kein Staat sei, bezahlten sie auch keine Steuern, wollten ihre Personalausweise in den Rathäusern zurückgeben und bombardierten Behörden und Ämter mit juristisch anmutenden Briefen. Die aber nur hanebüchenen Unsinn verkündeten. Papier-Terrorismus genannt. Statt Ausweisen und Pässen inserieren sie „Lebenderklärungen“ in Zeitungen, was auf ein englisches Gesetz von 1666 zurückgeht. Entweder werden sie zu Verrückten erklärt, belächelt oder in den Rechtsextremismus einsortiert. Tatsächlich sind die Verbindungen zu Rechtsextremen eher selten und lose, weil die Reichbürger weitgehend isoliert sind, sich höchstens zu kleinen Gruppen organisieren. Gewalttätig sind sie eher in der Form des Papier-Terrorismus, obwohl sie schon einen Hang zu Waffen haben, wie auch zu Urkunden und anderen Belegen ihrer Unabhängigkeit von der BRD-GmbH. Wegen ihrer Liebe zu Verschwörungserzählungen ergab sich zeitweise eine Verbindung zu Querdenkern und Corona-Leugnern. Nicht wegen Inhalten, sondern wegen ihres Lebensgefühls. Nur eins eint die Reichsbürger, Reichbürgerinnen sind eher selten. Eine oft gescheiterte persönliche und berufliche Existenz, ein Leben zwischen Ohnmachtsgefühlen und Allmachtsphantasien.
Christoph und Sophie Schönberger haben die Geschichte und Entwicklungen der Reichsbürger seit ihrem Entstehen zusammengefasst. In der Tat ist das Thema vielschichtig und hat viele Aspekte, die bis in das Grundverständnis des Staates Deutschland gehen. Es berührt grundsätzliche Fragen nach der Gültigkeit von Recht und Gesetzen, geht oft in Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie hinein. Trotzdem ist das Buch kein Exkurs in komplizierte juristische Fragen, sondern versucht zu zeigen, aus welchen Versatzstücken und Fehlinterpretationen die Reichsbürger ihr Weltbild gestalten. Es stellt auch die Frage, wie man mit diesen Leuten überhaupt umgehen soll, welche Auswirkungen ihr Treiben haben kann. Denn die Reichsbürger bedienen Theorien und Behauptungen, die man gelegentlich auch von Leuten hört, die mit diesen Zeitgenossen zuerst einmal gar nichts zu tun haben. Aber wo sich geistig Verwandte gegenseitig befruchten können. Wie die Rechtsextremen in der AfD oder im restlichen Rechtsextremismus. Christoph und Sophie Schönberger haben da ein sehr interessantes und lehrreiches Buch geschrieben, das solche Abstrusitäten wie die Reichsbürger als Entwicklungen der modernen Zeit aufzeigt und erklärt. In der sich Menschen wegen der Unüberschaubarkeit und Überforderung ohnmächtig fühlen und die Sache wieder in die eigene Hand nehmen wollen.
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