Michael Hartmann: Die Abgehobenen

Will man den Inhalt des Buches auf einen griffigen Satz reduzieren, ist es wohl dieser: Den Erfolg der AfD haben nicht die wirtschaftlich, sondern die kulturell Abgehängten bewirkt. Aber so einfach und plakativ lässt Michael Hartmann seine Leser nicht davonkommen. Davor zeigt er, wie sich nicht nur Deutschland, sondern auch Europa und die USA in den letzten zwanzig Jahren politisch, wirtschaftlich und kulturell entwickelt haben. Leicht macht er es sich und den Lesern nicht. Aber seine Analyse wird genau dadurch um so klarer und glaubwürdiger. Weil sie die betrifft, die tatsächlich in fast allen Bereichen das Sagen haben. Die Eliten.

Zu diesem Zweck betrachtet er die Geschichte aus der Perspektive des Buchthemas. Welche Eliten es gab und gibt, ihre Verhältnisse zueinander, wie sie ticken und agieren, wie sie die Welt sehen. Dabei räumt er auch gleich mit vielen Mythen auf. Dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten kosmopolitisch und liberal seien, oder dass Unternehmen global und rational agieren. Nach dem Lesen dieses Buches ist auch gleich mein Blick auf die politische Landschaft eine andere geworden. Von meinem Blick auf derzeitige und frühere Regierungen ganz zu schweigen. Laut Hartmann fiel der Startschuss für die heutige durchliberalisierte, um nicht zu sagen entfesselte Wirtschaft gerade durch die, die Anderes zu wollen vorgaben. Welche entscheidende Rolle dabei die Eliten spielten und immer noch spielen, ist der wesentliche Inhalt des Buches.

Hartmanns Buch „Die Abgehobenen“ analysiert schlüssig und detailliert die Entwicklungen, die in den letzten zwanzig Jahren zu einer immer weiter gehenden Spaltung der Gesellschaft führten. Dabei wird deutlich, dass es sich nicht um ein deutsches, nicht mal um ein europäisches, sondern internationales Problem dreht. Denkt man seine Analysen weiter, kann einem schon schon mal angst und bange werden. Eben weil viele Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte nicht offensichtlich sind. Hartmann geht es aber nicht um Elitenbashing. Seine Analyse ist bemerkenswert sachlich und neutral, was leider auch zur Folge hat, dass fast das ganze Buch vor Zahlen, Statistiken und arithmetischen Betrachtungen nur so strotzt. Wer es mit Daten und Zahlen nicht so hat, wird an diesem Buch keine Freude finden. Wer schwarz auf weiß mit mathematischer Exaktheit lesen möchte, warum Politik und Wirtschaft heute so sind, wie sie sind, findet viele Antworten.

Ein Buch, das Kollegen aus Medien und Journalisten mit Aufmerksamkeit lesen sollten. Denn auch Journalisten und Medienleute sind eine von ihm betrachtete Elite. Sind sie nicht? Doch. Mal gefragt, wie viele Arbeiterkinder Journalisten geworden sind? Könnte ja sein, dass der Fisch doch zuerst am Kopf stinkt und es mit der hochgelobten Sachlichkeit und Unabhängigkeit nicht so weit her ist wie immer behauptet. Wenn nicht beabsichtigt, dann wenigstens als Folge der eigenen Herkunft. Denn gäbe es einen weiteren Kernsatz dieses Buches, würde er lauten: Du denkst und handelst so, wie Du es im Elternhaus gelernt hat. Neben vielen Zahlen und Daten betrachtet Hartmann auch den Menschen in seinem Denken und Handeln. Spätestens dann liefert das Buch einen schlüssigen Erkenntniswert. Den es sich zu erarbeiten gilt. Ein schwieriges, oft staubtrockenes, am Ende trotzdem sehr lesenswertes Buch.

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