Christian Geulen: Geschichte des Rassismus

Ein erstes Problem bei dem Begriff Rassismus ist schon seine Definition. Ist Rassismus nur das Einteilen von Menschen in niederwertige und höherwertige Gruppen? Woher stammt überhaupt der Begriff der Rassen auf den Menschen bezogen? Bei Hunden oder Pferden bleibt der Begriff gängig, ein Zwergschnauzer und eine Dogge unterscheiden sich offenbar erheblich. Aber ein Schnauzer ist auch nicht besser oder schlechter als eine Dogge. Wohingegen die genetischen Unterschiede zwischen einem Dänen und einem Italiener größer sein können als zwischen einem Polen und einem Afroamerikaner. Stichwort epigenetische Einflüsse. Doch es geht eben nicht um solche Fragen, deren Antworten heute weitgehend beantwortet sind. Es geht stattdessen um eine historische Sicht, wann Rassismus überhaupt entstanden ist, woran er sich festmachen lässt und wie seine gesellschaftliche und politische Deutung verläuft. So wird klar, dass Christian Geulen eine historische Sicht auf dieses Phänomen als Thema dieses Buches hat. Mit Geulens beruflichem Hintergrund kommt dabei nicht eine populärwissenschaftliche Schrift heraus, die man mal so eben durchliest, sondern ein schon komplexes und vielschichtiges Werk. Geschichte des Rassismus ist, nicht vom Seitenumfang her, jedoch in Inhalt und Darstellung, ein anspruchsvolles Buch. Mit Ecken und Kanten, steuert in dieser Thematik zugleich viele Details und Hintergrundinformationen bei. Zusammengefasst: Nicht ganz einfach zu lesen, aber die Mühe schon wert.

Man könnte meinen, es hätte Rassismus schon in der Antike gegeben, als die Römer und Griechen zwischen ihrer Kultur und den sogenannten Barbaren sehr genau unterschieden. Leider täuscht uns da unsere Wahrnehmung. Die Menschen in der Antike hatten eine andere Sicht der Welt, andere Denkweisen. Römer und Barbaren, also Nicht-Römer, waren keine Gruppen der Wertung, sondern eher eine kulturelle Differenzierung. Ansonsten waren gerade die römischen Städte die reinste Multikulti-Veranstaltung, in ihnen trafen sich die römischen Bürger aus aller Welt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihnen Wertungen zuzuweisen. Auch zwischen Bürgern und Sklaven gab es nichts, was man aus heutiger Sicht als Rassismus bezeichnen könnte. Eher wie eine Art von Ständen, aber nicht als Wertung wie besser und schlechter, sondern nur anders. Selbst wenn man einige Jahrhunderte weitergeht, in die Zeit der Sklaverei besonders in den Südstaaten der USA, waren die Sklaven nicht deshalb Sklaven, weil sie schwarz waren. Sklaven gab es im Mittelalter genauso in Europa. Darüber hätte damals nicht einmal jemand nachgedacht. Man muss an eine ganz andere Stelle gehen, die uns geografisch näher liegt als gedacht. So Ende des 15. Jahrhunderts in Europa. Dort fing es an, dass in sogenannten Rassen gedacht wurde. Man denke an die ersten Judenprogrome. Doch das war noch keine wirklich durchgreifende Ideologie.

Bezogen auf den modernen Rassismus finden sich erste Merkmale in der beginnenden Globalisierung, beginnend mit der Kolonialisierung Amerikas, später im 19. Jahrhundert mit dem Imperialismus und mit dem Kolonialismus. Erst in diesem Zusammenhang kommt es zu einem Rassismus, bei dem es um ein Kernthema geht: den Rassenkampf, die Herrschaft der Rassen und der Schutz der eigenen Gruppe. Diese Unterscheidung von Rassen hatte mit späteren Deutungen wenig zu tun, es waren eher kulturelle Einteilungen. Franzosen konnten eine Rasse sein, sogar Bettler oder Handwerker. Eine weitere Rassenteilung war der Adel auf der einen Seite, das niedere Volk auf der anderen. Erstmals biologisch begründete den Rassismus jemand, der das weder wollte noch wirklich tat. Charles Darwin prägte die Theorie vom Überleben des Stärkeren, des Fitteren. Das war die Grundlage des biologischen Rassismus ab dem späten 19. Jahrhundert, aber es war noch immer nicht der heutige Rassismus. Die drei Begriffe, die diesen Rassismus bestimmen sollten, waren die Eugenik, der Kampf der Rassen um Herrschaft und Überleben und Sicherung der eigenen gemeinten oder tatsächlichen Art.  Von dort führt die Linie zum modernen Rassismus, der nun wieder von einer anderen Argumentation lebt. Je mehr der Begriff der Rasse vermieden wird, weil sie wissenschaftlich nicht haltbar ist und sogar demokratiefremd, geht es aktuell nicht mehr um den Kampf der Rassen, sondern um den Kampf der Kulturen. Nicht mehr die Juden oder Schwarzen oder Türken sind die Bedrohung, sondern die Muslime oder Schwulen. Aus einer biologistischen Rassensicht wurde eine kulturelle. Dahinter verbergen sich jedoch immer noch die gleichen Mythen, Zuschreibungen und vermuteten Bedrohungen. Man sollte meinen, dass die Globalisierung der letzten Jahrzehnte den Unsinn des Rassismus offensichtlich gemacht hat. Das Gegenteil trat ein, heute werden Chinesen oder sogar Südamerikaner als minderwertig beurteilt.

So wäre ganz kurz gefasst der Inhalt des Buches. Geulen geht natürlich viel tiefer und differenzierter auf die einzelnen Stationen und Entwicklungen ein. Geschichtliche, kulturelle und politische Abschnitte sind zwar wohl unterschieden, jedoch sehr verdichtet und ohne jede Redundanz. Deshalb kein einfaches Buch, abschnittsweise sogar schwierig zu lesen. Trotzdem habe ich das Buch nicht aus der Hand legen können, denn die Informationsdichte ist hoch, die Bedeutung der historischen Entwicklung für die Gegenwart immer noch groß. Wem wissenschaftliche Denkweise und Argumentation keine Hürden sind, dem sei das Buch zum gegebenen Thema empfohlen. Es liefert eine fundierte Übersicht zur Historie des Rassismus, spart aber oftmals an Erklärungen.

Christian Geulen (* 1969 in Münster) ist ein deutscher Historiker und Hochschullehrer. Sohn des Münsterschen Literaturwissenschaftlers und Hochschullehrers Hans Geulen, studierte Geschichte und Sozialwissenschaft an den Universitäten Münster, Bielefeld und in Baltimore. 2002 wurde er an der Universität Bielefeld promoviert. Seit Oktober 2009 ist Geulen Universitätsprofessor für Neuere und Neueste Geschichte und deren Didaktik an der Universität Koblenz-Landau in Koblenz.
Er ist einer der Herausgeber des Onlinemagazins Geschichte der Gegenwart.

Dieser Text basiert auf dem Artikel Christian Geulen aus der freien  Enzyklopädie Wikipedia  und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

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