Rupert Ebner/Eva Rosenkranz: Pillen vor die Säue

Als das Corona-Virus Anfang 2020 von China aus sich auf die Reise in alle Welt machte,  war recht schnell klar, woher es kam: Aus den früher unberührten Urwäldern, die immer mehr von Menschen durchdrungen werden. Doch mit dem Finger auf die Asiaten zu zeigen, die exotische Tierarten als Delikatessen verspeisen, sollten gerade wir Europäer uns sparen. Wir sind seit den Achtzigern fleißig dabei, noch viel gefährlichere Mikroben zu züchten. Nämlich Bakterien, die zunehmend gegen die Wunderwaffe der Medizin, die Antibiotika, resistent werden und über Penizillin nur lachen können. Sogar Infektionen, die wir schon lange als Vergangenheit sahen, wie Tuberkulose oder Salmonellen, tauchen vermehrt in einer Version auf, gegen die Antibiotika nicht mehr nützen. Von den mehrfach resistenten Keimen in den Krankenhäusern ganz zu schweigen. Das haben die Bakterien nicht selbst so ausbaldowert, sondern wir produzieren sie durch den unnötigen und massenhaften Einsatz von Antibiotika in den Megaställen. Wie in Niedersachsen, mit bis zu 50.000 Schweinen oder Hühnern, zusammen gepfercht auf kleinstem Raum, auf Legeleistung oder Fleischansatz gezüchtet, mit kaputten Immunsystemen und unerträglichen Haltungsbedingungen. Da werden allein prophylaktisch Tonnen Medikamente unters Futter gemischt, die nicht nur in Hühnerkot oder Gülle in die Umwelt gelangen. Selbst im Schnitzel oder in der Putenbrust beim Discounter sind die Antibiotika noch nachweisbar. Der Grund: So viel Fleisch und Umsatz wie möglich, so billig wie möglich. Wie beim Klimawandel heißt die Devise dann: Augen zu und durch. Hauptsache die Grillwurst schmeckt und kost‘ nix.

Die Hauptursache für diese Probleme ist als ein ganzes Bündel von Entwicklungen, die wir in den letzten dreißig Jahren gemacht haben. Angefangen beim immer weiter wachsenden Heißhunger auf Fleisch und tierische Produkte, weiter mit dem Ausrotten der kleinbäuerlichen Wirtschaftsweise, hin zu immer größeren Anlagen der industriellen Lebensmittelproduktion. Der Handel macht auch schön mit, die Prospekte von LIDL und EDEKA zeigen monströse Tablets mit Hackfleisch und fertig gewürztem Gyros. Das zu Preisen, die in keinem Verhältnis zu den verursachten Schäden dieser Methoden stehen. Würde auf den Plastikverpackungen des Fleisches das stehen, was die Massenproduktion von Fleisch, Milch und Käse tatsächlich kostet, müsste Fleisch drei Mal so teuer, Käse und Milch doppelt so teuer sein. Wegen der beliebig externalisierten Kosten, die der Unternehmer aber nicht zahlt, sondern eigentlich wir Verbraucher. Luft- und Bodenverschmutzung, Rückgang der Biodiversität und Insektensterben, Klimawandel, weil Kühe und Schweine quer durch die Gegend gekarrt werden. Dann noch die nächste Stufe, wenn Menschen an einem vereiterten Zahn sterben, oder komplizierte Operationen nicht mehr möglich sind, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Der Fußballer Matthias Sammer kann ein Lied davon singen, er starb beinahe an einer solchen Infektion nach einer Knieoperation. Es gibt noch einige wenige Antibiotika, die  zuverlässig wirken, so genannte Reserve-Antibiotika. Doch auch die werden zunehmend an Schweine und Hühner verfüttert. Wenn man genauer über diese Geschichten nachdenkt, könnte man Angst bekommen.

Der Grund für diesen Wahnsinn ist das massenhafte Verfüttern dieser Medikamente, weil sonst die Massenproduktion tierischer Nahrungsmittel nicht mehr funktioniert. Ohne Massenproduktion keine Spottpreise. In Deutschland wird sogar viel mehr an Schweinefleisch produziert, als wir selbst verbrauchen. Der größte Teil geht nach China oder Afrika, wo so die lokale Erzeugung von Nahrung zunichte gemacht wird. Dieses Thema ist der eigentliche Schwerpunkt in diesem Buch, einschließlich der Hintergründe für Überproduktion und wie sie betrieben wird. Wobei auch in der Medizin am Menschen gerne mit Medikamenten gepanscht wird, obwohl nicht notwendig oder sogar wirkungslos. Antibiotika helfen nicht bei Grippe oder Erkältungen, weil diese durch Viren verursacht werden. Das Ganze ist also so zu sagen systemimmanent, es hat mit dem grundlegenden Funktionieren unserer Wirtschaft zu tun. Doch gerade die, auf die gerne gezeigt wird, nämlich Verbraucher und Landwirte, sind es gerade nicht. Sondern die Agrarindustrie, die sich dabei ins Fäustchen lacht, und der Handel, der dem Mitbewerb gerne jeden einzelnen Euro abspenstig machen will. Das Problem der resistenten Keime ist also der Ausgangspunkt für das Buch, viel tiefer geht es darauf ein, was in unserer Ernährung und beim Umgang mit unseren Mitgeschöpfen schief geht.

Es ist wieder ein Buch mit vielen Zahlen, aber alle sind offensichtlich und einfach zu verstehen. Was Fleisch und Wurst wirklich kosten müsste, wer an der Überproduktion wirklich verdient, warum Bio im Grunde billiger ist als konventionell, wohin uns dieser Umgang mit der Gesundheit des Planeten in einigen Jahren führen wird.  Das macht manchmal tatsächlich wütend, weil dieser Umgang mit Ressourcen und Lebewesen so abgrundtief unsinnig ist. So ist das Fazit nach den letzten Seiten etwas zwiespältig. Zum Einen sind die aufgezeigten Missstände nicht unbekannt oder neu. Wir wissen eigentlich, dass das alles auf Dauer nicht funktionieren kann. Andererseits fasst das Buch zwei Aspekte, Massenkonsum und -produktion sowie die immer schlimmere Ausbreitung resistenter Keime logisch und zahlenmäßig zusammen. Es wäre also Unsinn, das Buch als überflüssig zu beurteilen. Es ist ein weiterer Wecker auf dem Weg in schlimme Zeiten, so wie in den Siebzigern niemand hören wollte, dass es immer wärmer und trockener wird. Da helfen auch an diesem Punkt Christian Lindners neue Technologien rein nüscht.

Mehr zu Rupert Ebner beim Oekom-Verlag.

Mehr zu Eva Rosenkranz beim Oekom-Verlag.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert