Elizabeth Kolbert: Wir Klimawandler
«Machet euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier …». So steht es in der Bibel in Genesis 1, 28. Leichter gesagt als getan. Aber das mit den Fischen ist ein guter Einstieg. Da bauten nämlich Ende des 19. Jahrhundert die Leute in Chicago den Sanitary and Ship Canal, um die Abwasser aus Chicago statt in den Lake Michigan in den Chicago River und Mississippi zu leiten. Dazu musste die Fließrichtung des Chicago River ab einer bestimmten Stelle umgeleitet werden. Womit sich in einem großen Teil der USA die Wasserversorgung drastisch veränderte. Doch es kam noch schlimmer. Unterhalb des Chicago River hausten vier asiatische Barscharten, die man ausgesetzt hatte, um Algen in den Griff zu bekommen. Leider gerieten die Barsche außer Kontrolle und vermehrten sich explosionsartig. Diese vier Barscharten in Kombination fressen alles, was ihnen in den Weg kommt. Durch den neuen Kanal konnten die Barsche in die großen Seen im Norden einwandern, welche sie ratzekahl leer gefressen hätten. So bekam das United States Army Corps of Engineers den Auftrag, einen Elektrozaun im Chicago River zu bauen, um die Barsche fernzuhalten. Doch damit war die Kette an Problemen, die man sich eingebrockt hatte, noch lange nicht zu Ende. Also kein Buch über Theorien, sondern ganz praktische Beispiele, wie die Krone der Schöpfung die Kontrolle verlor.
Kolberts Buch ist eine Serie von Reportagen. Über das eingangs geschilderte Fischproblem zum Versuch, die sterbenden Korallenriffe in Australien zu retten, über Geoengineering, das Einbringen von Stoffen in die Stratosphäre, um die Erderwärmung zu stoppen. Für eigentlich Verteidigungsmaßnahmen bohrten die USA in Grönland riesige Hallen in den Eispanzer, einschließlich Supermarkt und Frisör sowie eine Bahnstrecke. Leider fließt auch Eis ähnlich wie eine Flüssigkeit, nur langsam, so dass die Anlage nicht in den Griff zu bekommen waren. Die Anlage wurde schließlich wieder aufgegeben. Dann zur anderen Seite der Erde. In Australien wurden einmal die Agakröten eingeschleppt, es nicht ganz klar, ob absichtlich oder nicht. Die werden nicht nur bis zu fast 40 Zentimeter groß, sondern geben bei Bedrohung einen giftigen Schleim ab, der kleinere Tiere sogar töten kann. Da es sonst in Australien keine Kröten gab und die heimische Tierwelt sie nicht kannte, dezimierten die Kröten die Fauna in manchen Gegenden auf diesem Erdteil erheblich. Versuche, die Kröten wieder zu beseitigen, ohne Tonnen Gift zu verteilen, gab es viele und recht abstruse. Aber was das Buch so drastisch schildert, ist ersichtlich.
Wann immer der Mensch etwas in der Natur verändert, ob er Gigatonnen Kohle und Öl aus dem Boden holt, Tierarten dahin bringt, wo sie nicht hingehören oder wenn er versucht, seine Missetaten zu beheben, kommen in einer hochkomplexen Welt Folgeketten zustande. Das Anthropozän, in dem der Mensch die Natur steuert statt umgekehrt, offenbart, dass Homo Sapiens keine Ahnung hat, was er da jeweils auslöst. Der Mensch bildet sich ein, er könne in die Abläufe der Welt eingreifen, übersieht jedoch, wie viele Dinge in der Natur miteinander verbunden sind. Wie in einer Dominosteinkette wird irgendetwas angestoßen und setzt sich in einer Kettenreaktion in Bereiche fort, die überhaupt nicht im Blick waren. Doch Elizabeth Kolbert theoretisiert nicht über diese Themen, sondern geht vor Ort, nach Grönland, in die USA und nach Australien. Wie eine Reporterin spricht sie mit Wissenschaftlern, was da passiert und warum. Oder auch, warum nicht, obwohl es doch so sein müsste. Doch Kolbert ist keine rasende Reporterin, sondern Journalistin mit wissenschaftlichem Hintergrund. So kann das Buch ganz verschiedene Momente wecken. Von der Belustigung über Staunen bis zum Erschrecken. Denn offensichtlich wird, dass es gerade der Größenwahnsinn und der Machtmissbrauch sind, was den Menschen am Ende auslöschen könnte. Besser: Der Mensch ist dabei, sich selbst zu beseitigen. Klarer als in diesem Buch kann man es nicht aufzeigen.
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