George Orwell: Reise durch Ruinen
Den britischen Autor George Orwell kennen die meisten Leute wohl von seinen beiden dystopischen Romanen Animal Farm und 1984. Zwischen März und November 1945 jedoch folgte George Orwell als Kriegsberichterstatter den alliierten Streitkräften durch Deutschland und Österreich. Von dort schrieb er Berichte für Zeitungen wie The Observer, Manchester Evening News oder Tribune. Diese Artikel sind nun erstmals vollständig übersetzt in Deutsch erschienen, mit einem Nachwort des Historikers Volker Ullrich. Nun könnte man meinen, dass diese Zeit doch schon genug dokumentiert, betrachtet und analysiert sei. Orwell fügt jedoch noch einmal eine neue Perspektive hinzu, seine Reportagen schildern frei von Triumph oder Hass, eher mit einer erstaunlichen Nüchternheit, welche Zerstörung der Krieg über Städte, Länder und Menschen gebracht hat.
Sie schildern Deutschland und Österreich in den Aspekten, die eher vergessen oder als unwichtig erachtet wurden. Die gravierenden Unterschiede der Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land, die wirklichen Verhältnisse der Wanderungsbewegungen nach Mai 1945, die Rolle der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen. Seine Sicht ist immer auch wieder eine politische. Wie wird die Friedensordnung in Europa in den kommenden Jahren gestaltet werden, wann wird die Anti-Hitler-Koalition zerbrechen, wie unterschiedlich ist der britische, der französische, der sowjetische und der amerikanische Blick auf Deutschland. Seine Reportagen unterscheiden sich von vielen schon bekannten, dass Orwell wie aus weiter Distanz auf Deutschland nach der Niederlage schaut. Er schildert das zerstörte Köln so eindringlich wie das beschauliche Bayern, wo wohlgenährte Kühe auf malerischen Weiden stehen, die Bauern ihrer Arbeit nachgehen, als hätte es diesen Krieg nie gegeben. Wenn nicht ein routinierter Journalist, sondern ein erfahrener Autor solche Reportagen schreibt, muss zwangläufig so etwas wie Literatur entstehen. Genau das ist das Faszinierende an Orwells Berichten, eine literarische Sprache, die sich der grausamen Wirklichkeit einer vom Krieg zerstörten Welt stellt. Das Nachwort von Volker Ullrich als profundem Historiker rundet das Buch ab. Eine vielleicht nicht neue, aber andere Sicht auf das Ende des Krieges, und welche Katastrophen erst dann sichtbar wurden.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!