Juliane Marie Schreiber: Ich möchte lieber nicht

Der Satz, der den Titel des Buches bildet, wird dem Einen oder der Anderen bekannt vorkommen. Er stammt aus der Erzählung von Herman Melville, Bartleby der Schreiber, der seinen Chef mit dieser Antwort – im englischen Original  “I would prefer not to” – auf Anweisungen in den Wahnsinn treibt. Doch um Bartleby geht im Grunde nicht, oder wieder doch. Genauer geht es darum, diese Antwort zu geben, wenn wir von der Glücksindustrie mal wieder angehalten werden, alles positiv zu sehen. Das Glück in Badesalz, parfümiertem Kräutertee oder der neusten Spielekonsole zu finden. Oder noch den letzten Reinfall als Chance zu sehen, statt als Versagen oder Pech. Auch passt diese Antwort fast immer auf den glänzenden Hinweis, jeder könne alles erreichen, wenn er es nur ganz fest will. Gerade neoliberale Zeitgenossen, oder auch Genossinnen, lieben diese Plattitüde bis zur Schmerzgrenze. Juliane Marie Schreiber schlägt vor, sich diesem Terror des Positiven möglichst zu entziehen. Als wenn Glück, oder das, was uns als solches verkauft wird, unserem Leben irgendeinen Sinn gibt. Es war der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman, der sich mit dem Konzept der positiven Psychologie die Taschen reichlich füllte, durch die US-Regierung und das Militär, als er behauptete, dass er mit seinen psychologisch positiv orientierten Verfahren sogar Kriegstraumata heilen könne und Soldaten motivieren, begeistert in den Krieg zu ziehen. Aufgegriffen hat das auch schon früh die Industrie, als sie suggerierte, sich mit diesem Waschmittel oder dieser Zigarettenmarke Glück kaufen zu können. Als wäre Glück wirklich eine Bereicherung oder ein Lebensziel. Mein erster Gedanke dazu waren die blöden Sprüche an Depressive, sie sollten doch nicht alles so schwarz sehen und positiv in die Zukunft blicken. Schreiber ruft zum Widerstand auf gegen diese Ideologie unserer Zeit, Scheitern als Chance zu sehen und ständig an unserer Optimierung zu arbeiten. Dagegen hilft nur Rebellion, meint sie. Die Welt sei nicht von den Glücklichen verändert worden, sondern von den Unzufriedenen.

Juliane Marie SchreiberIch möchte lieber nicht

Für die antiken Philosophen war nicht die Maximierung des Glücks, sondern die Vervollkommnung des Geistes und der Moral der Sinn des Lebens. Auch die meisten Menschen des 19. Jahrhunderts hatten Anderes im Sinn, als die Suche nach Glück. Eher war Überleben gefragt. Die Suche nach dem Glück ist eine Erfindung der Neuzeit, an der sich Autoren der Ratgeberliteratur, Industrie und Handel dumm und dusselig verdienen. Dabei ist Glück in seiner extremen Form eher eine Krankheit oder eine psychische Störung. So tendieren zum Beispiel sehr verliebte Menschen zur Unachtsamkeit und zum Egoismus. Auf der Suche nach Glück kaufen sich Menschen in die Privatinsolvenz, wie eine Sucht. Dabei ist Glück nicht das, was unser Leben bestimmt. Zu dieser unmöglichen Suche gehört speziell die Aufforderung, alles positiv zu sehen, zu wenden und zu drehen. Man müsste eben jeder Sache seine positiven Seiten abgewinnen. Versagen als Chance. Gleichzeitig werden andere Gefühlswendungen ins Negative verschoben. Dabei hat die Menschheit gerade große Fortschritte gemacht, wenn Wut und Neid im Spiel waren. Ohne ihre Wut und Empörung hatten die Leute nicht die Bastille gestürmt und erste Schritte Richtung Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gemacht. Ok, die Schwesterlichkeit fehlte, aber die kam ja dann später noch. Zum Teil jedenfalls. So lange Wut konstruktiv und berechtigt ist, bringt sie uns vorwärts, jedoch nicht wie bei den Aluhüten von der AfD oder Querdenkern.

Ganz im Gegenteil kann Schimpfen, Wettern und Herummeckern eine durchaus positive seelische Wirkung haben. Es entlastet, schafft Raum für Aktivität statt Erleiden. Der Terror des Glücks kommt in vielen Facetten vor. Angefangen bei dem Glauben, wenn man nur dieses Haus, dieses Auto oder dieses Gadget hätte, dann wäre man glücklich. Selbst wenn man gemerkt hat, dass es nicht funktioniert, macht man so weiter. Oder das Glück der Selbstoptimierung. Das Unterdrücken negativer Gedanken und Emotionen kann sogar krank machen. Der depressive Realismus der Menschen, die im Grunde sehr krank sind und die Welt genau deshalb klarer und realer sehen, sollte einem zu denken geben. So fräst sich Schreiber durch die verschiedenen Arten des Glücksterrors, den uns besonders die bescheren, die am meisten daran verdienen. Dagegen hilft, so Schreiber, nur Rebellion: Schimpfen ist Ausdruck gelebter Freiheit, ohne Schmerz gäbe es keine Kunst und Wut ist der Motor des Fortschritts. Man könnte das Buch also ohne Weiteres auch in das Regalfach Ratgeber schieben, doch das wäre zu einfach. Die Autorin greift in ihrem Buch etwas auf, was nicht immer so sichtbar und verständlich ist, sie schafft ein Bewusstsein dafür, wie stark wir in der modernen Welt des Konsums manipuliert werden. Es sei ein Buch, so ein Rezensent, das zum Denken bringt, und das sei das Einzige, was heute zähle.

Mehr zu Juliane Marie Schreiber auf ihrer Website.

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