Wenn man von einem Nerd spricht, ist damit meistens der Computer-Nerd gemeint. Man stellt sich einen jungen Mann mit dicken Brillengläsern vor, unattraktiv, sozial unverträglich, etwas seltsam gekleidet, der sich überwiegend von Tiefkühlpizza und Coca Cola ernährt. Am Arbeitstisch, weil er den geliebten Mittelpunkt seines Lebens, seinen Computer, nicht einmal zur Nahrungsaufnahme verlassen will. Gleichzeitig ist er ein Wissender, ein Spezialist, der so viel weiß über Computer wie nur wenige. Sei es als „Coder“ oder als „Gamer“. Diese Sozialfigur, die bei uns in den Achtzigern und Neunzigern bekannt wurde, existiert tatsächlich nicht mehr. Computer sind keine Angelegenheit für wenige Experten mehr, die Beschäftigung mit ihnen findet nicht mehr in muffigen Kellern oder ausgedienten Dachzimmern statt. Trotzdem hält sich dieses Bild. Was aber dieses Bild repräsentiert, wie es entstanden ist und wie es sich verändert hat, untersucht Annekathrin Kohout in diesem Buch sehr eingehend. Wie so viele Sozialfiguren entstand der Nerd, lange bevor der Begriff in Europa gängig wurde, in den USA. Doch die Vorläufer des Nerds waren Stereotypen, die sich weit vor dem Auftauchen des Personal Computers ausbildeten. Was später der Nerd wurde, war zuvor in den USA der Square, ein Spießer, Unflexibler, Vorgestriger. So wäre das Buch ziemlich uninteressant, wenn es nur um diesen Computer-Freak ginge. Stattdessen untersucht Kohout weitere Aspekte soziokultureller Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Wie sich Rollenbilder überhaupt entwickelten, wie sich Zuschreibungen veränderten, wie sich Technologie vom Expertenwissen zum Alltagswissen veränderte. Erst mit dieser erweiterten Interpretation bekommt das Buch einen Reiz. Wenn man sich für Kulturwissenschaften interessiert.


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Es ist kein Roman, da nicht tatsächlich fiktiv. Es ist auch kein Sachbuch, denn es geht um die ganz persönlichen Erfahrungen des Autors. Eine Reportage auch nicht, denn Hendrik Bolz sagt im Vorwort zu diesem Buch: „Dieses Buch berichtet aus einer Welt, von der man schwer erzählen kann, ohne den Rassismus, den Antisemitismus, die Misogynie, die Homophobie und die Gewalt sprachlich zu reproduzieren, die in ihr zentrale Ordnungsprinzipien waren. Diese Ambivalenz sollte niemand aushalten müssen, der sich nicht bewusst dafür entschieden hat.“ Seine Erfahrungen in der Kindheit und frühen Jugend schildert er also, wie sie waren, hat aber Orte und Personen geändert. Verglichen mit meinem eigenen Aufwachsen, waren Bolz‘ Welt und meine in etwa so vergleichbar wie Essen-Borbeck und die Bronx. Leicht übertrieben, kommt dem Grundproblem aber nahe. Es geht um die Zeit nach der Wende, als den DDR-Bürgern blühende Landschaften versprochen wurden. Was tatsächlich kam, waren sterbende Industrien, Arbeitslosigkeit und Trübsal in den Schluchten zwischen den Plattenbauten. Das sind wichtige Faktoren, aber es geht mehr darum, dass schon in der DDR Rechtsradikalismus und Neonazis viel mehr den Ton angaben, als die dortige Parteiführung es zugeben wollte, lieber vom Rowdytum faselte als über braune Banden sprach. Herausgekommen ist so ein Buch, das in seiner Eindringlichkeit einem gelegentlich die Kehle zuschnürt. Wenn man eben nicht gewaltaffin ist.

Hendrik BolzNullerjahre


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Den britischen Autor George Orwell kennen die meisten Leute wohl von seinen beiden dystopischen Romanen Animal Farm und 1984. Zwischen März und November 1945 jedoch folgte George Orwell als Kriegsberichterstatter den alliierten Streitkräften durch Deutschland und Österreich. Von dort schrieb er Berichte für Zeitungen wie The Observer, Manchester Evening News oder Tribune. Diese Artikel sind nun erstmals vollständig übersetzt in Deutsch erschienen, mit einem Nachwort des Historikers Volker Ullrich. Nun könnte man meinen, dass diese Zeit doch schon genug dokumentiert, betrachtet und analysiert sei. Orwell fügt jedoch noch einmal eine neue Perspektive hinzu, seine Reportagen schildern frei von Triumph oder Hass, eher mit einer erstaunlichen Nüchternheit, welche Zerstörung der Krieg über Städte, Länder und Menschen gebracht hat.

George OrwellReise durch Ruinen


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Waren die US-Amerikaner lange ein Vorbild gerade für Deutschland, sind sie uns seit 2016 zu einem Rätsel geworden. Wie konnte eine Nation, die sich als demokratisches und liberales Vorbild in der Welt versteht, einen Menschen wie Donald Trump zum Präsidenten wählen? Was sind das für Leute, die man Evangelikale nennt, die die Bibel wörtlich interpretieren und für die Darwins Erkenntnisse barer Unsinn sind? Für die der Staat ein Feind ist, der "Deep State", der zu entmachten ist und dem jede Kompetenz zur Führung abgesprochen wird. Annika Brockschmidt schildert in ihrem Buch eine ganze Reihe von religiösen Gruppen in den USA, angefangen von den christlichen Nationalisten, über evangelikale Fundamentalisten, religiöse Rechte bis hin zu den zahllosen Splittergruppen. Scheinbar gründet in USA ständig irgendjemand ein Komitee, eine Vereinigung oder eine sonstige Gruppe, die jedoch Wesentliches gemeinsam haben: Die Überzeugung, die USA sei das von Gott erwählte Land, dass Religion und Politik nicht zu trennen sind und dass die USA eine christliche Führung haben sollen, keine weltliche. Alle säkularen, liberalen oder eben nicht gläubigen Menschen sind Feinde, von schwarzen Menschen, Einwanderern und Muslimen ganz zu schweigen. Diese Überzeugungen, auf die Brockschmidt im Detail eingeht und was ihre Ziele sind, lassen einen Europäer manchmal sprach- und verständnislos zurück. Nun könnte man diese Leute als Spinner und Verwirrte abtun und ignorieren. Jedoch haben sie inzwischen die amerikanische Gesellschaft, speziell die Politik, erschreckend durchdrungen, was von dieser Seite des Atlantiks nicht wirklich sichtbar ist. Und werden, nach Jahrzehnte langer Vorarbeit, zu einer Gefahr für die Demokratie in den USA.


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Nach der schweren Kost über die politische Mitte dieses unseres Landes brauchte ich etwas Einfacheres. Aber bitte keinen Roman. Hier eine Empfehlung im Shop des Buchhändlers meines Vertrauens aus dem Nachbarort. Nein, es ist kein Buch über das Schreiben, kein Lehrbuch und keine Anleitung. Hauke Goos schreibt schon seit längerer Zeit beim SPIEGEL eine Kolumne. Darin stellt er Glanzlichter der deutschen Sprache vor, die er seit langer Zeit sammelt wie andere Leute Briefmarken oder Bierdeckel. Das können Gedichte sein, einzelne Abschnitte oder sogar nur Sätze. In denen die Autoren lapidar auf den Punkt kommen, die in die Geschichte eingegangen sind, die einfach nur Beispiele sind, wie schön oder kraftvoll die deutsche Sprache sein kann. Jedes dieser Zitate, eben 50 an der Zahl, erläutert er. Die Hintergründe, die Entstehung, auch die Bedeutung und warum sie in seine Sammlung eingegangen sind. Natürlich ist das ein Stück schöngeistige Literatur, was er da serviert. Literatur für Menschen, für die Sprache mehr ist als Übermittlung von Informationen. Literatur, die Äonen entfernt ist vom Geschwafel im Internet, von den sozialen Medien ganz zu schweigen. Doch es ist nichts Abgehobenes, nichts Weltfernes. Denn es kommen illustre Worte, von Adorno und Zweig, aus der Bibel, aus Kinderbüchern und sogar aus einer Todesanzeige. Ja, es ist schön zu lesen, es macht Spaß. In diesem Fall, weil Goos wohl für mich ein Bruder im Geiste ist. Goos macht sich auch noch Gedanken darüber, wie man mit Worten und Sprache umgeht. Mit dem grassierenden angeblichen Fortschritt durch die Digitalisierung eine langsam aussterbende Gattung. Leider.

Hauke GoosSchöner schreiben

Nach einem Geschichtsstudium besuchte Hauke Goos die Henri-Nannen-Schule. Anschließend war er Reporter für das Magazin Akte bei Sat.1. Ab 1999 war er beim Monatsmagazin SPIEGELreporter, das nach der Einstellung 2001 als Gesellschaftsressort in das Magazin DER SPIEGEL integriert wurde. Seitdem schreibt er für den SPIEGEL und veröffentlicht eigene Bücher. Nach langer Tätigkeit im Gesellschaftsressort wechselte Hauke Goos 2017 für kurze Zeit ins Wirtschaftsressort, bevor er 2018 zum Gesellschaftsressort zurückkehrte. Im Zusammenhang mit der Relotius-Affäre wurde das Gesellschaftsressort umstrukturiert und Goos stellvertretender Leiter des in „Reporter“ umbenannten Ressorts. Hauke Goos erhielt den Henri Nannen Preis in den Jahren 2009, 2011 und 2012 sowie den Deutschen Reporterpreis 2009.

Dieser Text basiert auf dem Artikel Hauke Goos aus der freien  Enzyklopädie Wikipedia  und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

Als im Frühsommer 2021 die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, bekam sie im Gegensatz zu anderen Studien eher wenig Aufmerksamkeit in den Medien. Die Kritik an der Studie ist nicht ganz unberechtigt, ist doch die Anzahl Teilnehmer an der Studie eher überschaubar. Es sind nicht einmal so viele Leute befragt worden, wie in meinem kleinen Dorf zwischen Paderborn und Büren wohnen. Sogar gut 500 weniger. Trotzdem ist die Studie nicht ganz unerheblich, betrachtet sie doch insbesondere eine aktuell wichtige Frage: Wie stark sind Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Wobei die "Mitte" ein eher unscharfer Begriff ist, sie wird im Buch nicht genauer spezifiziert. Politisch gesehen würde ich sie bei den Wählern von SPD, CDU und FDP verorten. Gesellschaftlich im Mittelstand sowie kurz darüber oder darunter. Die Mitte-Studie gibt es seit 2002 im Abstand von zwei Jahren. Der Fragenkatalog ist jeweils an aktuelle Situationen angepasst, so tauchen Fragen zu Corona und Impfverhalten natürlich erst in dieser Studie für 2020/2021 auf. Was die Mitte-Studie aber schon liefert, ist ein Vergleich der Ergebnisse über nun 20 Jahre, wie sich die Einstellungen der Mitte verändert haben und unter welchen Einflüssen. So gesehen stimmen die Ergebnisse nicht unbedingt froh, zeigt sich doch ein Einsickern rechter und rechtsextremer Positionen in eine Gesellschaft der Mitte, die sich mal auf Vernunft, Bildung und Sachlichkeit berief.


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Eine Gruppe Studenten bekommt folgende Aufgabe gestellt:

Auf einem Teich wachsen Seerosen. An jedem Tag verdoppelt sich die von ihnen bedeckte Wasserfläche. Nach 48 Tagen ist der ganze Teich bedeckt. Wann war der Teich zur Hälfte bedeckt?

Nur 18% der Studenten lieferten spontan die richtige Antwort, von den anderen 82% meinte die große Mehrheit, das sei nach 24 Tagen der Fall gewesen. Was zeigt, dass Menschen, auch die mit einer höheren Bildung, mit exponentiellen Funktionen nicht umgehen können. So waren auch Politiker und sogar Wissenschaftler von der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus überrascht. Ich war ob des Themas von einer gewissen Skepsis beim Beginn des Buches befangen, musste aber schnell feststellen, dass Stöcker mit seiner These völlig recht hat. Dieser eingebaute Mangel an Verständnis für Mathematik hat Konsequenzen. Unsere Entscheidungsblindheit und unsere Neigung zu unlogischen Annahmen hat schon Daniel Kahneman bewiesen, der in diesem Buch oft zitiert wird. Die eigentliche Frage ist daher, was diese Einschränkung bewirkt, in einer Welt, die von exponentiellen Entwicklungen geprägt ist. Sei es in der Technik und der Wissenschaft, in gesellschaftlichen und politischen Tendenzen, in der weltweiten Bevölkerungszahl oder beim Klimawandel. Doch ist das das nicht das einzige Thema, nicht einmal das zentrale, sondern Stöcker ist in der Forschung der künstlichen Intelligenz beteiligt. Auch die entwickelt sich exponentiell, nicht nur wegen immer leistungsfähigerer Hardware, sondern auch wegen ganz neuer Wege und Methoden in der Software. KI greift schon dort immer mehr in unser Leben ein als gedacht, wo wir sie direkt gar nicht sehen: in den sozialen Medien. Mit weitreichenden Folgen, die immer gefährlicher werden. Also ist es nicht ein Buch über menschliche Fehlannahmen, sondern mehr über künstliche Intelligenz.

Christian StöckerDas Experiment sind wir


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Ein Bücher-Tipp der ganz anderen Art. Schon bekannt, dass es nicht nur eine holländische Sauce gibt, sondern drei? Wie kocht man nun Blumenkohl so, dass er nicht wässrig wird und ist das bei Brokkoli genau so? Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendetwas, was mit Kochen, Backen und Braten zu tun hat, nicht in diesem Buch steht. Unter Koch-Profis bekannt wie der Semendjajew unter Ingenieuren, Amateure kennen das Buch wohl kaum. Sollten sie aber. Das "Kiehnle Kochbuch" ist ein schwäbisches Kochbuch, das seit 1921 in neun Ausgaben erschien. Autorin der ersten Ausgabe war Hermine Kiehnle, nach der das Kochbuch benannt ist. Für die aktuelle Neubearbeitung von 2010 ist Monika Graff verantwortlich. Das Kiehnle Kochbuch wurde im Laufe seiner Geschichte bis heute mehrfach und teilweise aufwendig überarbeitet. Maria Hädecke, die Ehefrau des Verlegers, kochte für die Ausgabe der 1960er Jahre fast 2.500 Rezepte in der heimischen Küche über mehrere Jahre nach. Auch die Folgeausgaben wurden von der Verlegerfamilie, Autoren und bei befreundeten Testköchen immer wieder unter die Lupe genommen.

Das Kochbuch führt in den ersten Abschnitten in die Grundlagen der Küche ein, erklärt Zutaten und Küchengeräte und erklärt die wichtigsten verwendeten Mengenangaben. Der Rezeptteil ist einerseits nach dem Kriterium Menübestandteil, aber auch nach Zutaten gegliedert. Es gibt eigene Abschnitte für Getränke, zum Backen und zum Konservieren. Am Ende des Buches finden sich Grundregeln der Ernährung, zur Vorratshaltung, sowie Ratschläge zur Gestaltung von Menüs und zur Tischdekoration. In den Umschlaginnenseiten befindet sich in der aktuellen Ausgabe auch ein Saisonkalender für Obst und Gemüse. Manchmal blättere ich gerne einfach darin. Und der Preis ist auch eine absolute Überraschung.

Braucht es noch ein Buch über die deutsche Einheit oder ist schon genug darüber geschrieben worden? Tatsächlich geht das Buch von Detlev Brunner und Günther Heydemann die Sache etwas anders an als andere Bücher. Der erste Teil des Buches behandelt die Geschehnisse rund um die Wiedervereinigung anhand von Zahlen, Umfragen und historischen Analysen. Ziemlich harte Fakten für Liebhaber harter Statistiken. Es geht um demografische Entwicklung und Migration, wirtschaftliche und soziale Folgen, Ablauf und Konsequenzen des Transformationsprozesses. Aber auch um Mentalitäten, Einstellungen und kulturelle Trends. Was zuerst wie stumpfes und langweiliges Zahlenmaterial klingt, zeigt jedoch in vielen Details, wie diese Transformation von DDR zu neuen Bundesländern tatsächlich abgelaufen ist. Die Rolle und das Versagen der Treuhand bekommen breiten Raum, wie die Menschen in Ostdeutschland die Transformation erlebt haben. So wundert es im Nachhinein eher weniger, wie viele Menschen 1990 und in den Jahren danach enttäuscht wurden, als Führungspositionen, Verwaltung bis in die Gerichte fest in westlicher Hand gerieten. Ein nächster Teil des Buches subsummiert dazu die weiteren Entwicklungen dieser Zeit, von der digitalen Revolution und Kommunikation bis zum Umbau der Wissenschaft und Lehre im Osten der Republik. Den Abschluss bildet eine historische Zusammenfassung, wie es nach der Einheit weiter ging, die Krisen und Kriege, die gesamtdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik, der neue aufkommende Rechtsradikalismus, die Entwicklung der Europäischen Union. In dieser Gesamtheit ein tatsächlich neues Buch über ein inzwischen beinahe altes Thema. Wäre da nicht die Gegenwart.


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Bevor nun der nächste Bücherstapel von der Bundeszentrale für politische Bildung mit schwerer Kost eintrudelt, etwas für zwischendurch. Der Begriff geistert in den letzten Jahren verstärkt durch die Medien: Narzissmus. Aber was ist das eigentlich? Nein, ganz so naiv bin ich nicht, aber ich wollte schon aus persönlichem Interesse etwas darüber aus berufenen Munde lesen. Um zu prüfen, ob ich schon NarzisstInnen ins Netz gegangen bin, ob die letzte zerbröselte Beziehung etwas damit zu tun hatte, oder ganz allgemein um mehr über meine direkten Mitmenschen zu erfahren. Bin ich etwa selbst einer, der sich in den sozialen Medien und im Radio produziert? Da fängt die Malaise an. So einfach ist die Geschichte nämlich nicht. Nur weil jemand sich öffentlich darstellt oder öffentlich äußert, hat das nicht unbedingt etwas mit Narzissmus zu tun. Genau so hat Narzissmus nichts mit einem starken Selbstwertgefühl zu tun, im Gegenteil. Der Begriff ist zuerst einmal sehr schwammig und undeutlich. Die Definition, was einen Narzissten von einem Zeitgenossen, oder einer Zeitgenossin, unterscheidet, die nur einfach selbstsicher und mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet ist, gerät nicht in das alltägliche Allgemeinwissen. Das Buch schien für dieses Ansinnen geeignet. Auch wenn es der manchmal belächelten Ratgeberliteratur angehört.


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Was war das denn nun, am 6. Januar 2020 im Capitol in Washington. War es ein Putsch, war es eine Revolution, war es ein Sturm oder war es schlicht Terrorismus? Charlotte Klonk analysiert aus den Bildern heraus die Vorgänge, die zum Überfall auf das Parlament der USA führten. Damit kommt sie zu einer anderen Sichtweise auf das Geschehnis, sie deutet Motivationen und Emotionen aus der eher geschichtlichen Sicht. Viele Begriffe für diesen Tag jedoch, so Klonk, verfehlen das eigentlich Gefährliche an diesem Ereignis. Den Angriff auf die Volkssouveränität, der im Namen eines souveränen Volkes ausgeführt wurde. Eher Retrovolution als Revolution, eher Aufstand der weißen Männer, die in die Vergangenheit zurück möchten, als Volksbewegung.

Sie liegt damit nicht verkehrt, beriefen sich doch die Angreifer auf die amerikanische Verfassung, auf den Geist der Gründerväter und das, was die amerikanische Verfassung dem Volke garantiert. Oder angeblich garantiert. Denn ihre Interpretation der amerikanischen Verfassung ist genau so hanebüchen wie das Verständnis des Waffentragens in den USA. Das soll die Möglichkeit bieten, Haus, Hof und Person vor Verbrechen zu schützen, aber nicht dazu dienen, eine missliebige Regierung auszuschalten. So kommt Klonk zu dem Schluss, dass hier nicht "das Volk" am Werk war, sondern eine abstruse Mischung aus Esoterikern, QAnon-Anhängern und Verschwörungsgläubigen. Das Titelbild mit dem QAnon-Schamanen macht die Situation sehr klar. Das alles hätte man jedoch auch in der New York Times oder im Spiegel nachlesen können. Ob es dazu ein Büchlein im Reklam-Format mit gerade mal 60 Seiten und einem Preis von 12 Euro gebraucht hat, erscheint mir doch eher fraglich.


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Das Buch über den Sound des Jahrhunderts hat mich doch sehr lange beschäftigt, bis ich zu diesem Buch kam. Noch etwas befeuert von einer Sendung mit Bernd Stegemann in WDR 5. Nun ist Stegemann nicht gerade ein Zeitgenosse, den man politisch so einfach verorten könnte. Gilt als linksliberal, scheut aber auch nicht vor Kritik am linken Spektrum zurück. Dazu ist er weder Philosoph noch Soziologe oder Psychologe. Sondern in der Hauptsache Dramaturg. So bewegt sich "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde" eher auf der Ebene eines frei flottierenden Essays, als es wissenschaftliche Betrachtung oder Analyse ist, geschweige denn Sachinformation. Es beginnt mit der Frage, was denn Öffentlichkeit überhaupt ist. Geht man in die Siebziger oder Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, war Öffentlichkeit im Wesentlichen das, was von Medien wie Zeitungen und Rundfunk verbreitet wurde. Mit den technologischen Veränderungen im 21. Jahrhundert hat sich der Begriff Öffentlichkeit gewandelt, Sender und Empfänger sind nicht mehr klar unterscheidbar. Dafür ist Öffentlichkeit nun geprägt von Auseinandersetzungen, Streit und Beschimpfungen, bis hin zu Beleidigungen, Hass und Hetze. Diese Entwicklungen nur den Sozialen Medien in die Schuhe zu schieben, greift jedoch zu kurz. Die zunehmende Spaltung der Öffentlichkeit, die Betonung von Identitätsfragen und Gruppenzuordnungen hat, so Stegemann, seine Wurzeln zuerst an anderer Stelle. Und zeigt sie noch woanders, nämlich in den Veränderungen der Gesellschaft in neue Schichten. Denn der eigentliche Verantwortliche sei der Neoliberalismus. Als schleichendes Gift mit weitreichenden Folgen.


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