Frank Decker: Die deutsche Demokratie

Ein paar Quizfragen zum Einstieg. Was ist der Unterschied zwischen einem einfachen und einem konstruktiven Misstrauensantrag? Welches Bundesland hatte mal zwei Kammern, den Landtag und den Senat? Bis der Senat 1992 durch Volksentscheid als nicht demokratiekonform abgeschafft wurde. Warum ist der Bundesrat keine Kammer, und wie sind dort die Abstimmungsregeln? Insbesondere mit dem Hintergrund, dass es schon lange weder auf Bundes- noch auf Länderebene eine Regierung einer einzelnen Partei gibt. Und wie konstituiert sich eigentlich eine Kommune? Ich dachte immer, ich wüsste eine Menge darüber, wie die Bundesrepublik so funktioniert. Politisch strukturell, meine ich. Nach dem Lesen dieses Buches musste ich zugeben, dass ich eher wenig wusste. Frank Decker ist Politologe und Hochschullehrer. Daraus resultiert, dass dieses Buch über die deutsche Demokratie weder mit Meinungen noch mit Sichtweisen irgendetwas am Hut hat. Es geht streng wissenschaftlich zu. Aber nicht trocken. Schon gar nicht langweilig. Am Schluss versteht man dann, warum manche Dinge in Deutschland eben so sind, wie sie sind. Dass dahinter das Grundgesetz steht, oder weil es die Geschäftsordnung des Bundestages so vorschreibt. Doch damit nicht genug, man weiß auch mehr über die gravierenden Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der Berliner, ehemals Bonner Republik. Warum sie mit ihrer Verfassung so viel stabiler ist. In dem Buch geht es also um Fakten und Gesetze, was mich an ein Nachschlagewerk zur Physik in meinem Studium erinnert. Wie hieß es 1970 so schön in der Werbung: Achten Sie auf die Goldkante – es lohnt sich.

Eher in der Art eines Lehrbuchs zeigt Decker die Geschichte der Demokratie in Deutschland. Angefangen von der Weimarer Republik und ihrer Vor- wie Nachgeschichte ab der Entstehung des Kaiserreiches 1871 mit dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges. Im Vordergrund steht die Demokratieform, die wir heute in Deutschland kennen. Die Grundprinzipien der Staatsorganisation, Wahlen, politische Kultur, politische Repräsentation und Willensbildung, Parlament und Regierung. Ziel ist nicht die historische Sicht, sondern die politische und organisatorische. An diesen Stellen wurde mir klar, dass ich viele der Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Regierung und Parlament, Bund und Ländern und der praktischen Ausprägungen der Gewaltenteilung nicht wirklich wusste. Man könnte «Die deutsche Demokratie» fast ein bisschen wie eine Bedienungsanleitung lesen. Was der Bund, was die Länder und was die Kommunen müssen, dürfen und können, wie sie entstehen und wie Demokratie auf all diesen Ebenen funktioniert. Zum Ende weitet sich der Blick auf Europa und die Integration Deutschlands in die Europäische Union. Das ist das einzige Kapitel, was sich nicht so flüssig liest, was aber mehr an der Undurchschaubarkeit der EU liegt, an den komplizierten Regelungen zwischen Parlament, Kommission und Ministerräten. Zurück geht es zum Blick auf sich selbst. Wie Deutschland in seiner Organisationsform im Vergleich zu anderen Nationen da steht, wie es um die innere Sicht Deutschlands auf sich selbst steht. Der Krampf mit Nationalfeiertagen, die Probleme Deutschlands durch seine späte Nationswerdung und seine ältere und jüngere Vergangenheit, die Diskussionen um des Kaisers Bart in den Identitätsfragen. Schließlich: quo vadis, Deutschland?

Obwohl der Stil des Buches eher dem entspricht, was wir als Geschichts- oder Politikbücher in der Schule kennen, schafft Decker eine lesbare und praxisorientierte Darstellung, wie sich der Staat Deutschland organisiert und konstruiert. Voraussetzung für den nicht verzichtbaren Lesespaß ist, dass man sich für diese Themen ernsthaft interessiert. Deshalb würde ich das Buch allen Leuten in die Hand drücken, die sich politisch engagieren wollen oder müssen. Bisher ist mir eine so flüssig lesbare und interessante Anleitung für deutsche Politik noch nicht unter gekommen. Deckers Buch ist eine praktische Sicht, keine theoretische Abhandlung. Kleine Statistiken, Vergleiche mit anderen europäischen Staaten, Herleitung von Folgen der Staatsorganisation auf den Politikalltag runden die Sache ab. Einziger Schwachpunkt ist das Kapitel über die europäische Integration. Das zum Nachdenken anregt, ob die aktuelle Form der EU so sinnvoll ist. Oder ob die Briten nicht auch zu verstehen sind.

Frank Decker (* 1964 in Montabaur) ist ein deutscher Politologe und Hochschullehrer. […] Er studierte Politische Wissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Publizistik und Öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Universität Hamburg. 1989 schloss er sein Studium als diplomierter Politologe ab und war im Anschluss daran bis 2001 als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Oberassistent an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg tätig. Während dieser Zeit erfolgte 1993 die Promotion (Dr. rer. pol.) und 1999 schließlich die Habilitation, begleitet von Jürgen Hartmann am Fachbereich für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften. Im Anschluss wurde Decker ebendort Privatdozent für Politikwissenschaft. Seit 2001 ist Decker Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 2002 bis 2011 war er geschäftsführender Direktor des Instituts. Bereits 2007 wurde er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Progressiven Zentrums und 2011 zusammen mit Volker Kronenberg wissenschaftlicher Leiter der von Bodo Hombach gegründeten Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind westliche Regierungssysteme, Parteien, Populismus, Föderalismus und die Demokratiereform. Decker tritt häufig als Studiogast beim aus Bonn sendenden Informationskanal Phoenix auf.

Dieser Text basiert auf dem Artikel Frank Decker aus der freien  Enzyklopädie Wikipedia  und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.

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