Philipp Lepenies: Verbot und Verzicht

Große Transformationen hat es immer wieder in der Menschheitsgeschichte gegeben. In der Neuzeit waren es zum Beispiel die französische Revolution oder der Übergang zur Industrialisierung. Nun stehen wir wieder vor der Notwendigkeit einer großen Transformation. Unsere Produktionsweisen und unser Konsum bedrohen das natürliche Gleichgewicht auf diesem Planeten. Ökologie und Klima könnten schneller kippen, als es bisherige Klimamodelle voraussagten. Man blicke nur auf die Gletscher in den Alpen. Wir müssen also dringend nicht nur ein wenig, sondern sehr viel verändern. Dabei passiert immer wieder das Gleiche, ob heute oder bei der französischen Revolution. Es treten Gruppen auf den Plan, die mit den immer gleichen rhetorischen Kunststückchen jede Veränderung blockieren wollen. Entweder sagen sie, die angesagten Verbote und der Verzicht würden doch eh nix ändern, es sei alles maßlos übertrieben, der Schuss würde nach hinten losgehen oder es sei eh illegitim, wenn der Staat Verbote ausspricht oder zum Verzicht drängt. Dass diese Scheinargumente fast ausschließlich aus konservativen Kreisen kommen, wundert nicht. Ist doch dort der Blick auf die Welt an der Vergangenheit orientiert, wird auf die Stabilität in der Vergangenheit hingewiesen, es soll sich bloß nichts ändern. Eher die Linken haben mehr die Zukunft auf der Tagesordnung, unsere eigene und die kommender Generationen. „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt.“ Ein wichtiger Faktor in der Denkweise vieler Konservativer ist der Neoliberalismus, der mehr eine Religion als eine ernsthafte wirtschaftlichen These ist. Da schallt der Ruf nach Freiheit, unbegrenztem Konsum und der heiligen Macht des Marktes durch die Hallen. Dass wir ohne Verbote und Verzicht unsere Lebensgrundlagen zerstören, anstatt eine rationale und faktenbasierte Beurteilung der Lage zulassen, kann nur an religiösen Überzeugungen liegen. Wie dem Neoliberalismus.

Dazu auch ein Podcast aus der Reihe »Dissens Podcast« von Lukas Ondreka mit Philipp Lepenies zum Weiterhören.

Dissens PodcastOhne Verbot und Verzicht wird es nicht gehen

Dabei war Verzicht bis in den Frühkapitalismus keineswegs negativ besetzt, wie heute, eher im Gegenteil. Verzicht statt Konsum erlaubte den Aufbau eines mehr oder minder großen Vermögens. Gerade durch den reformierten Glauben war dieses Vermögen ein Zeichen von Gottes Wohlwollen, ora et labora. Überbordender Konsum war peinlich und nicht gesellschaftsfähig. Sicher durfte man seinen Reichtum zeigen, aber nicht als Konsum. In der Mitte des 19. Jahrhundert kam dann der Liberalismus auf. Aber nicht primär als wirtschaftliche Richtung, sondern als politische. In diesem ging es mehr um Erwerbs- und Gewerbefreiheit, Bürgerrechte und Privateigentum, Pressefreiheit und verbriefte Rechte. Das, was wir heute als Neoliberalismus bezeichnen, ist ein Kind des 20. Jahrhunderts, so etwa beginnend mit den Zwanzigern, mit einem Höhepunkt in den Achtzigern und Neunzigern. Seitdem ist der Neoliberalismus in die Gesellschaft der westlichen Nationen eingesickert, hat sich in den Köpfen eingenistet, ohne noch als religiöse Glaubensrichtung wahrgenommen zu werden. Maßgebliche Köpfe des Neoliberalismus, der Begriff stammt vom Journalisten Walter Lippmann, waren besonders der Österreicher Friedrich von Hayek und der Amerikaner Milton Friedman sowie die Autorin Ayn Rand. Ein Hauptwerk Hayeks: »The Road To Serfdom«, »Der Weg in die Knechtschaft«. Der Kern des Neoliberalismus ist, dass sich der Staat aus der Wirtschaft komplett heraus zu halten habe und nur das einzelne Individuum entscheiden kann, was für es richtig und gut ist. Lepenies geht auf die Historie und Inhalte des Neoliberalismus sehr tief ein, das Thema nimmt mehr als die Hälfte des Buches ein. Lepenies macht keinen Hehl daraus, dass er den Neoliberalismus für unsinnig und schädlich hält, für Margaret Thatcher waren die Bücher von Hayek und Friedman Bibeln, die sie ständig in der Handtasche herum trug. Von ihr stammt dann auch der oft zitierte Satz, es gäbe keine Gesellschaft, nur Individuen.

Spätestens in den Siebzigern war und blieb für Hayek der wichtigste Begriff der der Freiheit, verstanden als die Möglichkeit des Individuums, ohne äußeren und vor allen Dingen staatlichen Zwang zu leben. Ausgerechnet im Chile Pinochets sagte er in einem Interview, er würde lieber auf die Demokratie verzichten, als auf die Freiheit. Sozialfürsorge des Staates, Hilfsmaßnahmen für Arme und Arbeitslose fanden bei ihm kein Verständnis. Begründen konnte er seine Theorien nicht wirklich, was der Begeisterung für seine Ideen in manchen Kreisen keinen Abbruch tat. Blickte man lange Zeit auf die Unternehmen, kam erst in den Siebzigern des 20. Jahrhunderts der Konsument in den Fokus. Auch diesen Wandel nahmen die Neoliberalen gerne auf, in ihrem Sinne. Der Konsum ist der wahre Hüter des Marktes, KundInnen müssen kaufen und konsumieren können, wann, wo und wie viel sie möchten. Der Staat hat sich da heraus zu halten. Gemeinwohl stört da nur. Potenziert wurde diese Haltung durch die Digitalisierung. Damit wich Verzicht als Haltung der Affektsteuerung, Konsum war nun eher eine Affekthandlung als Bedürfnisbefriedigung. Damit waren Hyperindividualisierung und Komsum-Maximierung alle Türen geöffnet. Mit seinem Konsum zeigte man seine Einmaligkeit. Eine verhängnisvolle Entwicklung zum Status Quo, den der Neoliberalismus ja so wollte, nicht nur der Produzent, auch der Konsument durfte keinen Einschränkungen mehr unterliegen. Die Produzenten wechselten die Strategie, von der Bedürfnisbefriedigung zur Affektsteuerung. „Kunden, die dieses kauften, kauften auch das.“ Für Verzicht und Verbot, die unsere Existenz sichern und gerade die eher Unbeteiligten im Süden vom Abgrund fern halten, will man im Norden nichts hören. Lepenies zeigt am Ende des Buches noch einmal auf, was diese Haltung am Ende für Konsequenzen haben wird.

Das Buch ist am Ende jedoch keine Abrechnung des Autors mit dem Neoliberalismus. Lepenies zeigt mit vielen praktischen Beispielen die Entwicklung auf, von den ersten Ideen eines freien Marktes, über die begeisterten Fans dieser Ideen, wie Reagan und Thatcher, bis zum Eskalieren der quasi-religiösen Anbetung des Marktes. Gerade aus der Betrachtung der letzten Jahrzehnte, besonders mit dem Hintergrund der Digitalisierung, versteht man besser, warum heute ein Großteil der Konsumenten von Ökodiktatur und einem rigiden Staat faselt. Weil sich der Neoliberalismus als eine neue Religion in den Köpfen festgesetzt hat. So weit, dass selbst die Bilder abschmelzender Gletscher und das Auftauen der sibirischen Permafrostböden nicht mehr als Fakten in die Köpfe der Menschen geraten. Stattdessen freie Fahrt für freie Bürger, und bloß Finger weg von meinem täglichen Schnitzel. Ein eindringliches Buch, nicht immer leicht zu lesen, aber in seiner Darstellung verdammt nah am Alltag.

Mehr zu Philipp Lepenies auf der Website der Freien Universität Berlin

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