Stephan Lamby: Entscheidungstage
Ein Buch wie ein Film. Was nicht wundert, ist Stephan Lamby doch sowohl Journalist als auch Dokumentarfilmer. Ein wenig erinnerte mich das Buch an Robin Alexanders »Machtverfall«, die Beschreibung des Endes der Ära Merkel. Und doch ist Lambys Buch anders. Auch er widmet sich einer historischen Phase, nämlich der Zeit von ca. 2021 bis zum endgültigen Machtwechsel, der neuen Republik unter Rot-Grün-Gelb. Aber Lamby beschränkt sich nicht auf diesen überschaubaren Zeitabschnitt. Er geht in Rückblenden bis zurück in die Zeit Willy Brandts und Franz-Josef Strauß‘, vergleicht damalige und heutige Konstellationen, wie man politisch und persönlich als Politiker miteinander umgegangen ist. Der Hauptinhalt des Buches ist also die Serie von Entscheidungen, Aktivitäten und Fehlschlägen der hauptsächlichen Protagonisten. Laschet, Baerbock, Schulz, Scholz, Söder, Merz, Merkel. Und auch Ziemiak, Klingbeil, Kühnert, AKK. Dass mich das Buch so stark an einen Film erinnert hat, liegt an den spontanen Rückblenden in ähnliche oder verwandte Geschehnisse, vorherige Wahlen, frühere Wahlkämpfe. Schon im nächsten Satz steht man wieder in 2021 oder 2022. War gerade noch Olaf Scholz im Fokus, dreht sich der nächste Abschnitt um Robert Habeck. Mit solchen Aktionen kann man den Leser vollends verwirren. Aber da ist Stephan Lamby zu erfahren, zu sehr Profi. Im Gegenteil, er baut aus Versatzstücken und kleinen Details eine spannende Story auf. Sehr zum Vergnügen des Lesers.
Der Film zum Buch:
Seinen Reiz bekommt das Buch dadurch, dass Lamby durch seine exponierte Position und seine engen Kontakte in die Politik sehr viele Einzelheiten mit einflechtet. Der Filmemacher Lamby hat einen sehr genauen Blink für kleinste Details, kleinste Bewegungen seines Gegenübers im Bundeskanzleramt, im Konrad-Adenauer- oder Willy-Brandt-Haus. So kann er die Geschichte um den Machtwechsel, in den Entscheidungstagen, viel detaillierter und … feinsinniger aufzeigen. Bei allen persönlichen Eindrücken und Erfahrungen in den deutschen Machtzentralen bleibt Lamby immer distanzierter Beobachter. Doch spürt man auch, dass er die Personen in seinen Geschichten sehr gut kennt. Und sie ihn auch. Anders sind die beinahe intimen Einzelheiten nicht zu erklären. So sind die Politiker hier einmal sehr in ihrem angestrebten Bild zu erleben, dann wieder werden persönliche Aspekte sichtbar.
Man muss dem Buch weiterhin zugute halten, dass die geschichtlichen Abläufe über eine lange Zeit interpretiert werden. Der Verlauf der Bundestagswahl 2021 war nicht historisch losgelöst. Vieles verlief komplett ungeplant oder aus dem Ruder. Baerbocks geschönter Lebenslauf, ihre Nachzahlungen, die erst spät an die Bundestagsverwaltung gemeldet wurden. Die Fettnäpfchen, in die Armin Laschet freudig hineingelaufen ist. Der Zwist zwischen Laschet und Söder erinnert in Zügen schon an die Kombi Kohl-Strauß, andererseits sind die Personen völlig andere. Doch Lamby zeichet das Netz der Beziehungen sehr genau nach, in den Parallelen und in den Widersprüchen. Das macht das Buch so spannend, Lambys internes Wissen aus den Schaltstellen der Macht, seine genauen Beobachtungen der beteiligten Menschen vereint mit historischen Rückschauen. Vielleicht können nur FilmemacherInnen solche spannenden Bücher schreiben. Weil sie wissen, wie man Spannung aufbaut und den Leser bei der Stange hält. Bei mir hat das jedenfalls hervorragend geklappt.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!