Inzwischen ein vertrautes Bild: Leute sitzen zusammen im Restaurant und wenigstens einige von ihnen wischen auf ihrem Smartphone herum. Anstatt miteinander zu reden. Doch auf „die jungen Leute“ zu schimpfen, verengt das Bild. Auch RentnerInnen sitzen nicht mehr auf der Parkbank und füttern Tauben, sondern tippen auf die winzigen Bildschirme. Das Wort von der Smartphone-Sucht ist immer häufiger in den Medien zu hören, Wissenschaftler sprechen lieber von problematischer Internetnutzung. Doch die Wörter verschleiern die wirkliche Situation, niemand ist von dem technischen Gerät abhängig, auch nicht von dem Netzwerk auf Basis des Protokols TCP/IP. Es sind die sogenannten sozialen Medien, von Facebook und Twitter über Instagram bis hin zu Snapchat und Whatsapp, die die Aufmerksamkeit binden. Es gibt sogar schon Länder, in denen die Nutzung des Smartphones beim Überqueren von Straßen mit Strafe belegt ist. Darüber ist schon viel geschrieben worden, meistens ging es dann um Datenschutz oder den digitalen Kapitalismus. Christian Montag geht auf das Thema aus psychologischer Sicht ein. Was bewirkt, dass Menschen so geradezu süchtig nach Facebook und Whatsapp sind? Was sind die psychologischen Hintergründe und wie machen die Plattformkonzerne es, dass sie Menschen so binden? Und gibt es eine psychologische Veranlagung dazu, derart in den Fängen der digitalen Welt zu landen? Ja, ein Buch mit wissenschaftlichem Hintergrund. Doch der Autor ist sich seiner eigenen Schwächen sehr wohl bewusst. Was das Buch menschlicher macht.
Beiträge
Man könnte annehmen, Verschwörungstheorien hätten erst mit der Verbreitung des Internets wirkliche Bedeutung erlangt. Tatsächlich gehen diese bis ins Mittelalter zurück, siehe Hexenverfolgung und die Inquisition der Kirche. Nun ist Evans nicht der Erste, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Eine Suche zu "Verschwörungstheorie" in Büchern bei Amazon liefert über 2.000 Einträge. Das Thema sollte genug behandelt sein. Doch Evans geht die Geschichte etwas anders an. Mit fünf Beispielen, die im Zusammenhang mit dem Dritten Reich stehen. Es geht ihm jedoch nicht darum, Verschwörungstheorien grundsätzlich zu betrachten und zu erklären, sondern ihre Funktion im historischen Kontext auszuforschen. Denn Evans ist in erster Linie Historiker. Und es geht in diesem Kontext natürlich um Antisemitismus, aber nur in drei der fünf Beispiele, in zwei davon eher konstruiert als begründet. Es versteht sich, dass die Funktionen, Merkmale und Stereotypen von Verschwörungstheorien mit einbezogen werden. Man könnte das Buch als eine Vertiefung zum Thema betrachten, als Aufzeigen von konkreten Konstruktionen, wem sie dienen und warum sie so wirkmächtig sind. Jedoch am Ende noch einmal mit der Warnung, dass Verschwörungstheorien nichts sind, das man nur belächeln und sich darüber lustig machen kann, sondern dass sie Bedrohungen der Wahrheit sind. In einigen Fällen sogar zu bedrohlichen Maßnahmen ihrer Anhänger führten.
Es gibt Fragen, auf die ich selbst nie kommen würde. Zum Beispiel die, ob die Menschen in den Städten und auf dem Land ihre Kreuzchen auf den Wahlzetteln an verschiedenen Stellen machen und warum. Spoiler alert: Es ist tatsächlich so. Nun wohne ich selbst auf dem Dorf, wenn auch in der Nähe zu einer Mittelstadt mit 130.000 Einwohnern. Aber wie viel Dorf ist mein Dorf eigentlich? Verglichen mit einem Dorf im Wendland, in der Lausitz oder im Bayrischen Wald ist unser Dorf recht bunt und gut ausgestattet. Ostwestfalen gehört sicher nicht zu den abgehängten Regionen, hier regiert vor allen Dingen die mittelständische Industrie. Vor meiner Haustür liegt Glasfaser, die drei Buslinien nach Paderborn, Büren und Salzkotten fahren im Stundentakt. Doch die landläufige Vorstellung von Land und Dorf ist anders. Und Dorf und Stadt sind unterschiedlich, in ihrem ökonomischen, kulturellen und politischen Selbstverständnis. Das war in den ersten drei Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg anders. Die Wahlergebnisse von CDU/CSU und SPD waren in Städten und Dörfern ähnlich hoch, beide Parteien waren noch Volksparteien. Inzwischen kränkelt selbst die CSU in den ländlichen Gebieten. In Sachsen eine ähnliche Entwicklung. Es gab aber vor den Achtzigern auch keine Grünen und keine AfD. Aber nicht nur das hat sich verändert. Auf dem Land gibt es kaum noch akzeptable Jobs, kaum noch Einkaufsmöglichkeiten. Die Städte, die urbanen Zentren, gelten deshalb als hip und anziehend. Die Gründe liegen nicht nur, aber zum Hauptteil in der Veränderung unserer Ökonomie und gesellschaftlichen Struktur. Wissensarbeiter und Kreative sind die neuen Helden, sie zieht es in die Städte, nicht aufs Land. Produziert wird nun in Asien oder Billiglohnländern. So verändert sich die Balance zwischen den beiden Polen, mit weitreichenden sozialen und politischen Auswirkungen.
Wofür die «Alternative für Deutschland», die AfD, im deutschen Parteienspektrum steht, ist einfach und zugleich schwer zu beantworten. Entstanden ist sie 2013 in Oberursel als Euro-kritische, liberalkonservative Partei, bis sie wenig später von Rechtspopulisten übernommen wurde. Die bisherigen Größen der Partei, wie Bernd Lucke, wurden entmachtet und aus der Partei gedrängt. Der verbliebene Vorstand mit Frauke Petri und Alexander Gauland steuerte die Partei bis ganz weit nach rechts. Ihren großen Auftritt hatte die AfD dann mit dem Einsetzen der Flüchtlingswelle in 2015, als sie sich an die Spitze der Flüchtlingsgegner, Islam-Hasser und angeblichen Retter Deutschlands setzte. Seit dem Abebben der Migration nach Europa kämpft sie darum, sich einen Sinn und eine Bedeutung zu geben. Zum Beispiel durch Anbiederung an Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Das, was anstatt politischem Wirken bis heute übrig blieb, sind interne Grabenkämpfe, noch immer nicht ganz aufgeklärte Spendenskandale, dazu rechtsextreme, fremdenfeindliche oder schlicht peinliche Auftritte im Bundestag und in den Ländern. Sieben Jahre lang haben Sebastian Pittelkow und Katja Riedel zusammen mit Kolleginnen und Kollegen das Treiben der AfD verfolgt. Und dabei erstaunliche wie verstörende Aktivitäten der Rechtextremen ans Licht gebracht. Wie die «Quasselgruppe», merkwürdige Spenden von deutschen und schweizerischen Milliardären sowie befremdliche Kontakte nach Russland. Wenn man über den Alltag hinausgehende Informationen über diese Partei, die eigentlich keine ist, erfahren möchte, liegt man mit diesem Buch goldrichtig.
Dass Politiker und Autoren zu vielen Zeiten verfolgt und sogar umgebracht wurden, weil sie Machthabern nicht in den Kram passten, ist nichts Neues. Aber auch Wissenschaftler waren immer wieder Verfolgung ausgesetzt. Entweder weil ihre Forschungen oder ihre Person Bildern und Erwartungen nicht gerecht wurden. Diesen Wissenschaftlern folgt Thomas Bührke durch ihr Leben und ihre Arbeitsgebiete. Die Liste ist erstaunlich. Wie Lise Meitner und Albert Einstein, die beide wegen ihrer jüdischen Abstammungen ihre Heimat verlassen mussten. Einstein traf es danach noch einmal, als er in den USA in der McCarthy-Ära als Kommunist verdächtigt wurde. Alan Turing war ein genialer wie seltsamer Spezialist für Informations-Wissenschaft und besonders für Kryptografie. Ihm wurde seine Homosexualität zum Verhängnis, der Versuch einer Konversion trieb ihn am Ende in den Suizid. Giordano Bruno war Astronom und Philosoph. Seine Erkenntnisse in der Astronomie konnte die Kirche nicht hinnehmen. Denn schon er ahnte, das Universum sei unendlich und die Zahl der bewohnbaren Erden unüberschaubar. Das passte nicht zum Gottesbegriff der Kirche.
So bietet Bührke acht Biografien berühmter Wissenschaftler und warum sie scheiterten. Obwohl diese Biografien eher grob gehalten sind, erfährt man doch eine Menge über diese Menschen, ihren Lebenslauf und einige Details zu ihren Forschungen. Die Gründe, warum sie verfolgt wurden, sind vielfältig, wie auch die Charaktere der Protagonisten. Gemeinsam haben die Verfolgungen, dass Widersprüche gegen Rassismus, politische Ansprüche und Intoleranz nicht ohne Folgen blieben. Eine interessante Übersicht zu einem selten beachteten Thema.
Thomas Bührke (* 7. Dezember 1956 in Celle) ist ein deutscher Astrophysiker, Wissenschaftsjournalist und Buchautor in den Bereichen Raumfahrt, Physik und Astrophysik. Nach der Schulzeit in Celle begann Bührke 1976 ein Physikstudium in Göttingen. 1980 wechselte er an die Universität Heidelberg, wo er 1983 am Max-Planck-Institut für Kernphysik abschloss. 1986 promovierte er am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Ab 1988 schrieb er als Redakteur bei den Physikalischen Blättern. Seit 1990 arbeitet er als Redakteur von Physik in unserer Zeit sowie als freier Wissenschaftsjournalist und Buchautor. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Darstellung astronomischer Themen. Regelmäßig veröffentlicht er in Tageszeitungen und Zeitschriften wie «Süddeutsche Zeitung», «Die Welt», «Berliner Zeitung», «Spektrum der Wissenschaft», «Bild der Wissenschaft» und «Sterne und Weltraum». Bührke wohnt in Schwetzingen.
![]() |
Manchmal überfallen mich wunderliche Gelüste. Zum Beispiel mal wieder ein englisches Buch zu lesen. Um mit der Heimat meines Herzens in enger Verbindung zu bleiben. Zum Glück hatte ich noch einige auf der Einkaufsliste, eines davon von einem meiner liebsten Autoren, Bill Bryson. Der US-Amerikaner aus Iowa, der 1973 in Großbritannien als Journalist seine Frau kennenlernte und blieb. Aus Liebe zu seiner Frau, und später aus Liebe zu dieser Insel. Arbeitete zuerst für die englischen Zeitungen «The Times» und «The Independent», besserte mit Reiseberichten sein Einkommen auf. Mit einem Buch über seine erste Reise, «Notes From a Small Island», sein Kennenlernen der neuen Heimat, gelang Bryson 2003 der Durchbruch als Autor. Seitdem ist er bekannt, in Großbritannien eher berühmt. Das war auch das erste Buch mit dem deutschen Titel «Reif für die Insel», das ich von ihm gelesen habe. Diese zweite Reisebeschreibung, erschienen 2015, ist bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden. Das hat seinen Grund, denn interessant ist es erst dann, wenn man wenigstens einige Gegenden und Orte, die Bryson beschreibt, selbst kennt. Bei mir waren es die meisten Gegenden, Dörfer und Städte, was die Spannung noch steigerte. Also heute ein englisches Buch. Zugleich ein Lob an die ÜbersetzerInnen der deutschen Ausgaben seiner Bücher, denn sie haben in diesen das erhalten, was auch die englischen Bücher von Bryson ausmacht: pures Lesevergnügen.
Homo Sapiens ist das einzige Lebewesen auf der Erde, das der Sprache mächtig ist. Sein großer evolutionärer Vorteil, weil so Erfahrungen, Wissen und Informationen weitergegeben werden, an andere Menschen und gerade an seine Nachfahren. Doch es ist nicht die Sprache allein, was den Menschen ausmacht. Mittels Sprache kann der Mensch Geschichten erzählen, seien es wahre Begebenheiten, Mythen, Märchen, Phantasien und Lügen. Denn nach Geschichten, so El Ouassil und Karig, sind die Menschen geradezu süchtig. Aus gutem Grund, denn nur Geschichten helfen zu verstehen, Zusammenhänge zu erfassen und Begründungen zu finden, für möglichst alles, was Menschen umgibt. Noch mehr, brauchen die Menschen sogar kausale Zusammenhänge, suchen sie verzweifelt, wenn sie nicht offensichtlich sind. Götter, die Wetter, Naturkatastrophen und Schicksale bestimmen, Freunde und Feinde, die über Wohl und Wehe entscheiden. Doch gerade da liegt auch die Gefahr von Geschichten. Von der Begründung der Religionen über angebliche Erbfeindschaften bis hin zu Lügengebäuden wie die der Nationalsozialisten oder eines Donald Trump. Schon wieder so ein Brecher von Buch. Und wieder eines, das bis zum Ende spannend bleibt. Sogar erstaunliche Einsichten liefert. Auch zu sehen auf der Buchmesse Frankfurt.
«Machet euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier ...». So steht es in der Bibel in Genesis 1, 28. Leichter gesagt als getan. Aber das mit den Fischen ist ein guter Einstieg. Da bauten nämlich Ende des 19. Jahrhundert die Leute in Chicago den Sanitary and Ship Canal, um die Abwasser aus Chicago statt in den Lake Michigan in den Chicago River und Mississippi zu leiten. Dazu musste die Fließrichtung des Chicago River ab einer bestimmten Stelle umgeleitet werden. Womit sich in einem großen Teil der USA die Wasserversorgung drastisch veränderte. Doch es kam noch schlimmer. Unterhalb des Chicago River hausten vier asiatische Barscharten, die man ausgesetzt hatte, um Algen in den Griff zu bekommen. Leider gerieten die Barsche außer Kontrolle und vermehrten sich explosionsartig. Diese vier Barscharten in Kombination fressen alles, was ihnen in den Weg kommt. Durch den neuen Kanal konnten die Barsche in die großen Seen im Norden einwandern, welche sie ratzekahl leer gefressen hätten. So bekam das United States Army Corps of Engineers den Auftrag, einen Elektrozaun im Chicago River zu bauen, um die Barsche fernzuhalten. Doch damit war die Kette an Problemen, die man sich eingebrockt hatte, noch lange nicht zu Ende. Also kein Buch über Theorien, sondern ganz praktische Beispiele, wie die Krone der Schöpfung die Kontrolle verlor.
Nach einer im «The Guardian» veröffentlichten Untersuchung sind drei Viertel der Kinder und Jugendlichen in Großbritannien weniger draußen als Gefängnisinsassen. Für Deutschland würden die Zahlen nicht viel anders aussehen. Vor der Bankfiliale in unserem Dorf parken nicht selten Leute direkt vor der Tür auf dem Gehweg, weil sie die zehn Meter vom Parkplatz nicht bis zum Eingang schaffen oder gehen wollen. Das andere Extrem ist der Norweger Erling Kagge, der sich zu Fuß auf den Weg zu Nord- und Südpol machte, den Mount Everest bestieg, New York durchquerte, zum Teil durch die Kanalisation. In seinem Buch beschreibt er, warum für ihn das Gehen so wichtig ist, warum das Gehen ein unverzichtbarer Teil seines Lebens ist. Doch es ist nicht nur das Gehen als solches, sondern das Unterwegssein, das Erkunden und Entdecken, die kleine Flucht aus dem Alltag mit Fernsehen, Kontoauszügen und Arbeiten in seinem Verlag. So ist sein Essay weniger eine Schilderung seiner Wanderungen und Unternehmungen, sondern eine philosophisch angehauchte Betrachtung, was Gehen für den Menschen bedeutet. Wenn nicht das Gehen erst den Menschen zu dem gemacht hat, was er heute ist. Das Gehen auf zwei Beinen, die Bipedie, ist jedoch nicht seine Erfindung, schon der Australopithecus war zwei Millionen Jahre vor ihm so auf dem Weg. Erst Homo Sapiens machte sich dann auf den langen Weg in alle Welt. Doch das sind nur die Seitenblicke auf das Wesentliche, der Verlust des Kontaktes des modernen Menschen zur Natur, zum bewussten Sehen und eben sich fortbewegen. Das Aufgeben des Gehens bedeutet nach Kagge viel mehr als Bequemlichkeit, es ist der Verzicht auf das wirkliche Wahrnehmen der Welt um uns herum. Es ist kein Märchen, dass das Wandern im Wald so erholsam und erleichternd sein kann. Beim Wandern zu sich zurück kommen, wieder einen Blick für das Wesentliche zu bekommen, das ist es, was Kagge antreibt. Und ich verstehe ihn und sein Buch sehr gut. Wenn ich an meine Wanderungen in Snowdonia und im Lake District zurück denke und mich erinnere, wie ich mit jedem Schritt der wahren Welt näher kam. Ein kluges Buch mit vielen Querbezügen, eine Aufforderung zum Entdecken und Erwandern.
![]() |
[/av_promobox]
Dass man Geschichte durchaus interessant, sogar spannend und unterhaltend darstellen kann, hatten schon Bücher wie «Acht Tage im Mai» oder «Februar 33» bewiesen. Nicht ohne Grund bezieht sich Michael Wildt in seinem Vorwort auf «Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts» vom Historiker und Erzähler Golo Mann, immer noch ein Highlight der historischen Literatur. Nicht als Vergleich, sondern um eine neue, oder weitere Art der Darstellung der unruhigen und unrühmlichen Zeit in diesem unserem Lande zu eröffnen. Vergleichen kann sich Wildt mit Mann allerdings in einem Fall, nämlich was den Umfang des Buches angeht. Ein ziemlich heftiges Bündel Papier, was der Preis bei der BPB gar nicht vermuten lässt. Mit solchen Schinken tue ich mich immer zuerst etwas schwer. Weil sie doch eine lange Konzentration abverlangen und den Weg zu weiteren Büchern eine Zeit lang blockieren. So musste ich einen ordentlichen Anlauf nehmen, bevor ich die ersten Seiten aufschlug. Schon im Vorwort kündigt Wildt jedoch an, ein anderes Herangehen an die Erzählung der Geschichte wählen zu wollen als andere Autoren. Vereinfacht gesagt, einmal eher gröber, andererseits detaillierter. Und in der Tat entpuppt sich Wildts Art der Annäherung an diese vielschichtige und spannende Zeit als hervorragendes Rezept. So dass das Buch gerne immer wieder nach leider notwendigen Pausen in die Hand genommen wird. Um beim Begriff Rezept zu bleiben: es mundet ausgesprochen gut.
»Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Vox-Haus auf Welle 400 Meter.« So begann am 29. Oktober 1923 die Zeit eines damals ganz neuen Mediums. Inzwischen hat das Radio, genauer der Hörfunk, viele Etappen hinter sich bringen müssen. Argwöhnisch beäugt in der Weimarer Republik und wie selbstverständlich staatsdienend, als Propagandainstrument in den Händen der Nazis, auferstanden aus Ruinen nach 1945, im Westen runderneuert am Beispiel der BBC, bevor die Alliierten ihn in die Hände des neuen deutschen Staates gaben. Auf der anderen Seite des Zaunes blieb das Radio Instrument des Staates, mit ihm sollte im real existierenden Sozialismus der neue Mensch gebildet, erzogen und informiert werden. Auch diese Phase fand 1989 ihr Ende. Seitdem gibt es wieder den MDR und der NDR hat neue Sendegebiete hinzu bekommen. Deutschland, einig Radioland. Zum runden Geburtstag hat nun die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Deutschen Rundfunkarchiv diesen Sonderband heraus gegeben. Für mich als Radiofreak seit meiner Kindheit, Fan von WDR 5 und Deutschlandfunk, ein Muss. Dabei als Hardcover im Großformat für nur sieben Euro ein tolles Geschenk für alle, die immer noch Radio hören, lieben und nicht darauf verzichten möchten.
Donald Trump erzählte einmal, der deutsche Golfer Bernhard Langer hätte ihm berichtet, wie er vor einem Wahllokal in den USA 2016 merkwürdige Vorgänge beobachtet habe. Dazu befragt, sagte Langer, dass er Trump niemals persönlich getroffen hätte. Zwar konnte Langer sich daran erinnern, mit Leuten über die Ungerechtigkeit des amerikanischen Wahlsystems gesprochen zu haben, aber niemals mit Donald Trump. Ein typisches Beispiel für Halbwahrheiten, denen sich Nicola Gess in ihrem Essay widmet. Wie der Name schon sagt, sind Halbwahrheiten keine Lügen. Stattdessen werden Fakten aus dem Zusammenhang gerissen, verfälscht oder in einen anderen Kontext gesetzt, so dann uminterpretiert. Der Unterschied mag marginal erscheinen, doch die Wirkung von Halbwahrheiten ist verheerend. Wie im Buch zu lesen, sind Halbwahrheiten gefährlicher als Lügen, weil nicht mehr klar erkennbar ist, was noch Fakt und was Fiktion. Das Thema hat jedoch in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung zugelegt, weil Identitäre, Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsextremen diese Kommunikationsform ausgiebig nutzen. Weil die Wirkung von Halbwahrheiten umso größer ist, je stärker sie die schon vorhandenen Überzeugungen belegen. Wie auch immer bezeichnet, als Halbwahrheiten, alternative Fakten, oder als Bullshit.
Ich habe einen Moment nachdenken müssen, warum mir der Titel des Buches so bekannt vorkam. Es ist der verballhornte Name des Monty Python-Films »Die wunderbare Welt der Schwerkraft«. Mit Sketchen oder Satire hat das Buch jedoch nichts zu tun. Es erhebt nämlich den Anspruch, auch physikalisch und mathematisch wenig vorbelasteten Lesern den Wirkungskreis der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie vorzustellen. Es geht um Neutronensterne, Schwarze Löcher und weitere Phänomene wie Gravitationswellen. Kompetenz kann man Luciano Rezzolla bestimmt nicht absprechen. Der in Deutschland forschende und lehrende Astrophysiker gehörte zu den Ersten, denen es gelang, fotografische Bilder eines supermassiven Schwarzen Lochs zu erstellen. Wie das ging, ist im Buch ausführlich beschrieben. Nun hat Charlie Chaplin bei einem Pressetermin zu Albert Einstein gesagt, die Menschen liebten ihn, weil alle verstehen, was er macht. Während sie Einstein liebten, weil sie nichts von dem verstehen, was er macht. An diesem Punkt war ich auch, wollte aber immer gerne wissen, was Ereignishorizont, Raumzeit und Gravitation eigentlich sind. So war ich gespannt, ob das Buch hält, was der Autor verspricht.
Was mich bei Querdenkern, Impfgegnern und anderen Schwurblern am meisten auf die Palme bringt, ist das völlige naturwissenschaftliche und technische Unwissen. Da passen elektronische Schaltkreise mit mehreren Millimetern Kantenlänge durch Injektionsnadeln, die außen weniger als einen halben Millimeter dick sind. Ganz zu schweigen davon, wo die Schaltungen im Blut ihre Stromversorgung herbekommen. mRNA-Impfstoffe verändern angeblich die Erbanlagen. Wenn man eine flache Scheibe im Weltall platzieren würde, wäre davon nach absehbarer Zeit eh nur noch eine Kugel da, weil physikalische Kräfte wie die Gravitation nun mal so wirken. Erst recht stutzig machte mich die Feststellung, dass mir Querdenker in Großbritannien oder den Niederlanden nicht aufgefallen sind. Also ein deutsches Phänomen? In gewisser Weise ja, sagt Ernst Peter Fischer in seinem aktuellen Buch. Die naturwissenschaftliche Bildung eines großen Teils der deutschsprachigen Gesellschaft sei praktisch nicht vorhanden, damit kann auch technisches Wissen nicht funktionieren. Millionen Leute wischen auf ihren Smartphones herum, ohne nur eine Spur von Ahnung darüber, was in der Schachtel passiert, und wie und warum. Je komplexer Technik wird, umso mehr erscheint sie als Mysterium. Auf dieser Grundlage grassieren dann Verschwörungstheorien, Mythen und Unsinn wie Schimmelpilze. Aber woher stammt diese Wissenschaftsfeindlichkeit, geradezu das Verlangen nach Unwissen und Inkompetenz, besonders in den Naturwissenschaften? Da muss man dann mit Fischer mal einige Jahrzehnte in die Vergangenheit schauen.
Die bestellten Bücher sind noch nicht in der Buchhandlung angekommen, also zur Überbrückung ein E-Book. Offen gestanden, kannte ich die beiden Autoren bisher gar nicht, was wohl an meinem homöopathischen Fernsehkonsum liegt. Inzwischen weiß ich, dass sie im Hauptberuf Kabarettistin sowie Journalist und Kabarettist sind, was mir im Nachhinein das Buch erklärt. Es ist also mehr Satire als Sachbuch. Nun darf Satire landläufig so ziemlich alles, also auch über ZeitgenossInnen herziehen, Geschichten überinterpretieren und Fakten zur Unterhaltung ein wenig verdrehen. Die Ziele sind nun jedoch mal nicht vorrangig Prominente oder Politiker, sondern die Menschen und Ereignisse unseres Alltags. Die merkwürdigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Menschen, Raucher, Autofahrer, Fleischesser, Jutta Ditfurth und Muslime, und weitere Entwicklungen der Neuzeit wie Influencer. Über all diese wird nun ein gewisser Hohn und Spott ausgekübelt. So stellte sich mir die Frage, was der Sinn darin sein könnte, was sich Gruber und Hock wohl dabei gedacht haben, außer Unterhaltung zu liefern. Wie bei Satire üblich, bewegt man sich als Satiriker wie auch als Kabarettist auf einer schmalen Linie, wenn nicht gleich auf mehreren. Zwischen Klamauk und Humor, Sinn und Unsinn, zwischen Gesellschaftskritik und Besserwisserei. Was das Buch zu einem wechselhaften Genuss macht. Und doch, manche Fehlentwicklungen sind nicht zu leugnen.
Was macht es mit einem, wenn man als liberaler Journalist seine gewohnten Medien, wie «Spiegel», «Süddeutsche Zeitung» und «Die Zeit», ignoriert und sich nur noch aus alternativen Medien informiert? Diesem Experiment unterzog sich Hans Demmel, indem er für sechs Monate nur bei KenFM, Compact oder Politically Incorrect las. Dazu sich in YouTube und Twitter in die Richtung der Querdenker und Corona-Leugner bewegte. Seine Frage war, ob diese geballte Portion an Desinformation, Falschmeldungen und Verschwörungstheorien seine Denkweise tatsächlich beeinflussen würde. Das Schlimmste befürchtend, holte er sich den Kollegen Friedrich Küppersbusch zur Seite, der gelegentlich über Demmel wachte. Ob da nicht etwas aus dem Ruder lief. Das Ergebnis ist eine Art Tagebuch, das Demmel über die Zeit geführt hat, was er wo gelesen hatte, wie ihn diese »Anderswelt«, wie auch das Buch heißt, beeinflusste. Das erwartbare Ende sei vorweg genommen. Es hat ihn nicht umgewandelt, hat ihn nicht von seinen liberalen, demokratischen Einstellungen abgebracht. Doch es hat trotzdem ein wichtiges Resultat gezeigt. Die Methoden, wie die alternativen Medien der Neurechten arbeiten, welche Methoden und Tricks sie anwenden. Und wie diese Leute zu denken und zu interpretieren pflegen.
Da ich gerade einmal in diesem Thema bin, kann ich mir das nächste Buch gleich noch vornehmen. Nach Andreas Wirschings Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts der Fokus nun auf die Zeit von 1933 bis 1945. Wobei ich mich mittlerweile immer mehr auf Geschichte konzentriere, weil sie erstaunlich viel Verständnis für die Gegenwart schafft. Eine Parallele zu Wirschings Buch bei Herbert ist die, dass auch er im Vorwort ausdrücklich erklärt, dass sein Buch keine detaillierte Darstellung ist. Es sollen die historischen Linien und Abläufe heraus gestellt werden, wie geschichtliche und politische Fäden aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu zwangsläufig in das Dritte Reich führten. Doch das streift Herbert nur am Anfang, bevor es in die tatsächliche Zeit vor und im Zweiten Weltkrieg geht. So lässt sich das Buch in zwei wesentliche Teile gliedern. Einmal den Weg aus der Weimarer Republik in die Nazidiktatur und ihre Methoden, danach die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Wobei die Kriegszeit eindeutig den größeren Umfang beansprucht. Das wieder im Taschenbuchformat, für kleines Geld bei der BPB. Nun halte ich mich selbst für sowohl interessiert in als auch gut informiert über die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Doch ich muss gestehen, dass in diesem – Verzeihung – Büchlein doch eine Menge mehr steckt als zuvor erwartet. Herbert schafft es, wirklich nur die historischen Linien heraus zu arbeiten, für ein überschauendes, doch trotzdem dichtes Bild zu sorgen.
An den Umfang des Wälzers von Golo Mann, "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" kommt Andreas Wirschings Buch nicht einmal annähernd heran. Soll es auch nicht. Wirschings Anspruch ist es, die Grundzüge der Entwicklung Deutschlands, politisch und sozial, vom Kaiserreich über Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung Deutschlands aufzuzeigen. Es geht also nicht um alle Details, alle Daten und eine Vielzahl von Beteiligten, sondern um ein Grundverständnis des deutschen Weges in die Moderne. Sozusagen ist es vergleichende Geschichte, die den nicht ganz so langen Weg beschreibt, bis Deutschland dort ankam, wo Nationen wie Frankreich und Großbritannien mit ihrer langen Vergangenheit, ihren Traditionen und Selbstgewissheiten halt zeitlich im Vorteil sind und waren. Nicht umsonst heißt das erste Kapitel des Buches "Ein deutscher Sonderweg in das 20. Jahrhundert?", mit einem Fragezeichen am Ende. Das Buch will ein grundsätzliches Verständnis dafür wecken, wie und warum Deutschland heute so und nicht anders aufgestellt ist. Dass die Gegenwart immer eine logische Konsequenz der Vergangenheit sein muss. Selbstverständlich ist Wirsching profunder Historiker, Interpretationen oder Vermutungen haben bei ihm nichts verloren, wissenschaftliche Fakten zählen. Und sind diese nicht oder noch nicht vorhanden, schreibt es das auch so. Ja, es ist ein wissenschaftliches Buch, trotzdem gut zu lesen, gut zu verstehen. Man fragt sich am Ende nur, was Reichsbürger, Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker da geraucht haben. Denn nicht ohne Grund ist das Buch bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen. Wie üblich bei solchen Büchern, lesen es aber immer die Falschen.
Buch ist für Franca Parianens Beitrag vielleicht nicht das richtige Wort. Büchlein trifft es eher. Dafür ist es mehr ein Essay als eine ausgesprochen breite Betrachtung. Sie widmet sich der Frage, warum das Teilen, und teilhaben lassen, in unserer westlichen Gesellschaft so ausgesprochen schwer geworden ist. Sie sieht diese Unfähigkeit als einen wichtigen Grund in der zunehmenden Ungleichheit und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit im Verlauf des 20. Jahrhundert. Dazu geht sie zurück in die Anfänge des Homo Sapiens, der sich aufgrund einer speziellen genetischen Anlage dazu entschloss, gruppenübergreifend zu jagen, zu versorgen und zu pflegen. Und zu kommunizieren. Teilen galt jedoch nicht nur bei der Nahrung und dem Lebensraum als Vorteil, sondern besonders beim Wissen, bei Erfahrungen und handwerklichem Können. Die Fähigkeit, Wissen zu teilen, weiterzugeben und zu erweitern, war eines der Erfolgsgeheimnisse, warum sich Homo Sapiens gegenüber anderen Hominiden durchsetzen konnte. Teilen war überlebenswichtig. Bis zu der Zeit, als neoliberale Wirtschaftswissenschaftler den Homo Oeconomicus erfanden, der sich selbst immer am nächsten stand. Der nur auf seinen eigenen Gewinn und sein eigenes Fortkommen Wert legte. Doch die Wahrheit, so Parianen, ist eine andere. Der Mensch teilt aus vielen Gründen, aus Großzügigkeit, aus Mitleid oder auch aus ganz eigennützigen Gründen. Teilen heißt nicht verlieren, teilen kann den Gewinn sogar vergrößern. Mit diesem Startpunkt beschreibt Parianen eine ganz andere Gesellschaft, in der sich Preise aus dem Wert ableiten, nicht der Seltenheit oder dem Willen zu besitzen. Es ist eine Gesellschaft, in der CEOs von Aktiengesellschaften nicht das Tausendfache eines Arbeiters verdienen, in denen die Leute in den systemkritischen Aufgabenbereichen wie Handel, Sicherheit und Pflege das Geld bekommen, das sie wirklich verdienen. Ganz neu sind ihre Erkenntnisse nicht. Doch das Buch fasst noch einmal die wesentliche Argumente und historischen Hintergründe zusammen. Dazu sehr humorig und ansprechend geschrieben.
Informationen über Franca Parianen beim Rowohlt-Verlag.
Tatsächlich erschien dieses Buch in der Rubrik "Sachbuch". Was es eigentlich nicht ist, jedenfalls nicht im Sinne einer philosophischen, sozialwissenschaftlichen oder politischen Betrachtung. Es ist eher vielleicht ein Essay, aber es ist keine Fiktion. Auf jeden Fall ist es ein sehr persönliches Buch der Journalistin Christiane Hoffmann. Hoffmann ist die Tochter eines Vertriebenen, der kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine schlesische Heimat, das Dorf Rosenthal, wegen der vorrückenden Russen verlassen musste. So beginnt der Trek des damals Neunjährigen, mit seiner Mutter und anderen Verwandten, in Richtung Westen. Es ist Februar 1945, nur mit wenigen Habseligkeiten auf einem von Pferden gezogenen Leiterwagen legen sie die weite Strecke zurück, durch Tschechien bis an die Grenze zu Sachsen, damals noch in den Grenzen von 1939. Er landet irgendwann in Wedel bei Hamburg, dort lässt er sich nieder, baut sich sein Leben auf. In seine Heimat sollte er nie zurückkehren können, wegen der Westverschiebung Polens. Doch das ist nur die Einleitung der Geschichte. Die Gedanken zurück, der Verlust der Heimat bleiben in den Erinnerungen des Vaters verhaftet. Prägen nicht nur sein weiteres Leben. Nach dem Krieg und nach dem Zerfall des Ostens kehrt die Familie auf Besuch zurück nach Rosenthal, Christiane, ihre Eltern und ihr Onkel Manfred. Inzwischen ist der Hof des Vaters von Polen bewohnt, auch wenn sich das Dorf selbst kaum verändert hat. Das Dorf, das jetzt Rózyna heißt. Ihr Vater stirbt in 2018 und Christiane Hoffmann fasst einen Entschluss. Sie macht sich auf den Weg, den Fluchtweg ihres Vaters nachzugehen. Und sie schreibt auf, was sie erlebt, wie es sich anfühlt und wie die Reise ihr hilft, zu verstehen.